Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. April 1992 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um das Bestehen einer Familienversicherung.

Der 1977 geborene Kläger lebt zusammen mit seiner Mutter und seinen beiden Halbbrüdern in häuslicher Gemeinschaft mit seinem Stiefvater. Die Allgemeine Ortskrankenkasse Worms-Alzey (AOK), deren Mitglied der Stiefvater war, stellte mit einem an diesen gerichteten Bescheid vom 20. Oktober 1989 fest, daß der Kläger nur bis zum 27. September 1989, nicht jedoch mehr für die Folgezeit familienversichert sei. Er habe Einnahmen aus Unterhaltspfändungen bei seinem leiblichen Vater und werde von seinem Stiefvater nicht mehr überwiegend unterhalten. Die Mutter und gesetzliche Vertreterin des Klägers bat später um Überprüfung der Angelegenheit und beantragte die Fortsetzung der Familienversicherung. Mit Bescheid vom 25. Juni 1990 teilte die AOK dem Kläger mit, auch nach Überprüfung bleibe es bei der Entscheidung vom 20. Oktober 1989. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die AOK mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 1990 zurück. Bei einem monatlichen Familieneinkommen von 3.207,24 DM, das sich aus dem Nettoeinkommen des Stiefvaters von 2.502,24 DM, dem Kindergeld für drei Kinder von 370 DM und einem beim leiblichen Vater gepfändeten Unterhalts-Teilbetrag von 335 DM zusammensetze, betrage der Unterhaltsbedarf für jedes der fünf Familienmitglieder 641,45 DM (= 3.207,24 DM: 5). Der Stiefvater bringe für den Kläger nach Abzug der Unterhaltsleistungen des leiblichen Vaters noch 306,45 DM und damit weniger als den halben Unterhaltsbedarf von 320,73 DM auf.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 26. April 1991 den Bescheid vom 25. Juni 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1990 aufgehoben und die AOK verurteilt, dem Kläger „Familienbeihilfe” zu gewähren.

Unter Berücksichtigung von Betreuungs- und Erziehungsleistungen unterhalte der Stiefvater den Kläger überwiegend. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 16. April 1992 die Berufung der AOK zurückgewiesen. Der Kläger sei Stiefkind, zugleich aber auch Pflegekind seines Stiefvaters. Als Pflegekind sei der Kläger nach § 10 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) familienversichert, ohne daß es darauf ankomme, ob er vom Stiefvater überwiegend unterhalte werde.

Gegen das Urteil des LSG hat die AOK Revision eingelegt. Mit Wirkung vom 1. Januar 1994 sind die rheinland-pfälzischen Allgemeinen Ortskrankenkassen, darunter die AOK Worms-Alzey, durch Landesverordnung vom 2. November 1993 (GVBI S. 529) zur Allgemeinen Ortskrankenkasse Rheinland-Pfalz zusammengeschlossen worden, die nunmehr die Bezeichnung „AOK – Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz” führt und als Rechtsnachfolgerin der AOK Worms-Alzey auf der Beklagtenseite den Rechtsstreit weiterführt. Sie rügt eine Verletzung des § 54 Abs. 1 und des § 55 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V sowie des § 56 Abs. 2 Nr. 2 des Sozialgesetzbuchs – Allgemeiner Teil (SGB I). Der Senat hat den Stiefvater mit dessen Zustimmung zum Rechtsstreit notwendig beigeladen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG vom 16. April 1992 und das Urteil des SG vom 26. April 1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und der Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich die Beklagte verpflichtet, den an den Stiefvater gerichteten Bescheid vom 20. Oktober 1989 aufzuheben, falls der Kläger eine Aufhebung des Bescheides vom 25. Juni 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1990 durch rechtskräftiges Urteil erreicht.

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung an das LSG begründet; die festgestellten Tatsachen reichen nicht aus, um abschließend zu entscheiden, ob der Kläger über den 27. September 1989 hinaus bei der Beklagten familienversichert ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klage als verbundene Aufhebungs- und Feststellungsklage zulässig. Angefochten ist der Bescheid vom 25. Juni 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1990. Dieser Bescheid ist nach Form und Inhalt ein feststellender (deklaratorischer) Verwaltungsakt i.S. des § 31 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren (SGB X) darüber, daß von einem bestimmten Zeitpunkt an die gesetzlichen Voraussetzungen für die Familienversicherung des Klägers nicht mehr bestehen. Wie das SG und im Ergebnis auch das LSG zu Recht entschieden haben, war der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung nur noch durch diesen Bescheid beschwert, mit dem die Beklagte den Kläger hinsichtlich seiner Familienversicherung erstmals beschieden hat. Den an den beigeladenen Stiefvater gerichteten Bescheid vom 20. Oktober 1989 wird die Beklagte aufheben, falls der Kläger eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch rechtskräftiges Urteil erreicht.

Mit seinem vor dem SG gestellten Klageantrag hat der Kläger neben der Anfechtung beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm Familienhilfe zu gewähren. Die zulässige und gebotene Auslegung dieses Antrags (vgl. BSGE 63, 93, 94 = BSG SozR 2200 § 205 Nr. 65) ergibt, daß damit die Feststellung des Bestehens der Familienversicherung gemeint war, weil für die Geltendmachung konkreter Leistungsansprüche keine Anhaltspunkte vorliegen. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (SozR 3-2500 § 10 Nr. 2), hat nicht nur der Stammversicherte, sondern auch der Familienangehörige selbst ein Rechtsschutzinteresse daran, das Bestehen oder Nichtbestehen seiner Versicherung feststellen zu lassen (§ 55 Abs. 1 SGG).

In der Sache durfte das LSG die Familienversicherung des Klägers nicht mit der Begründung bejahen, er sei Pflegekind des beigeladenen Stiefvaters.

Nach § 10 Abs. 1 bis 3 SGB V sind unter dort bestimmten Voraussetzungen der Ehegatte und die Kinder von Mitgliedern der Krankenkasse versichert. Als Kinder i.S. der Absätze 1 bis 3 gelten nach Abs. 4 Satz 1 der Vorschrift auch Stiefkinder und Enkel, die das Mitglied überwiegend unterhält, sowie Pflegekinder. Nach dem in diese Vorschrift aufgenommenen Klammerzusatz ist die in § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I enthaltene Begriffsbestimmung auch für das Pflegekind i.S. des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V maßgebend. Danach sind Pflegekinder Personen, die mit dem Berechtigten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind. Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger im Verhältnis zum Beigeladenen nicht vor; denn ein Stiefkind, das wie er zusammen mit seiner leiblichen Mutter und dem Stiefvater in einem Haushalt lebt, ist nicht Pflegekind des Stiefvaters.

Dies ergibt sich bereits aus § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Dort sind zuerst die Stiefkinder und Enkel des Mitglieds aufgeführt, die nur dann familienversichert sind, wenn es sie überwiegend unterhält; erst dann folgen die Pflegekinder, für die eine derartige zusätzliche Voraussetzung nicht vorgesehen ist. Diese Reihenfolge und das Fehlen von weiteren Einschränkungen der Familienversicherung bei Stiefkindern lassen darauf schließen, daß die vom Mitglied nicht abstammenden leiblichen Kinder seines Ehegatten (vgl. § 1590 des Bürgerlichen Gesetzbuches; BGB) uneingeschränkt auch Stiefkinder i.S. des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind. Insbesondere ist die Stiefkindeigenschaft nach dieser Vorschrift gerade in dem auch hier vorliegenden Regelfall gegeben, daß ein Kind mit einem leiblichen Elternteil und einem Stiefvater bzw. einer Stiefmutter zusammenlebt. Würde man der Auffassung des LSG folgen, wonach letztlich alle Stiefelternteile, die das Stiefkind gemeinsam mit dessen leiblichem Elternteil in ihren Haushalt aufgenommen haben, zugleich auch Pflegeeltern i.S. des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V sein können, wäre die an die Stiefkindeigenschaft geknüpfte Voraussetzung des überwiegenden Unterhalts im Regelfall ohne Bedeutung. Hätte der Gesetzgeber ein solches Ergebnis beabsichtigt, wäre dies durch eine andere Gesetzesformulierung zum Ausdruck gebracht worden: Das Gesetz hätte in § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V entweder die in den Haushalt des Mitglieds aufgenommenen Stiefkinder (und Enkel) ausdrücklich genannt und sie wie Pflegekinder von dem Erfordernis des überwiegenden Unterhalts freigestellt, oder die Pflegekinder wären zu Beginn der Aufzählung genannt und die Unterhaltsvoraussetzung nur für die Stiefkinder (und Enkel) aufgestellt worden, die nicht in den Haushalt des Mitgliedes aufgenommen worden sind.

Des weiteren ist der in § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I enthaltenen Begriffsbestimmung des Pflegekindes, auf die in § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V verwiesen wird, zu entnehmen, daß Stiefkinder, die in den Haushalt des Mitglieds aufgenommen sind, im Regelfall, nämlich dann, wenn auch ein leiblicher Elternteil in diesem Haushalt lebt, nicht Pflegekinder des Mitglieds (Stiefvaters) sein können. Diese Legaldefinition kann, auch wenn sie nicht für die Sonderrechtsnachfolge, sondern bei der Familienversicherung herangezogen wird, nicht isoliert betrachtet werden. Auch hier sind zu ihrer Auslegung ihre Einbettung in den § 56 Abs. 2 SGB I sowie ihr Verhältnis zu den übrigen Regelungen dieser Vorschrift zu beachten. In diesem Zusammenhang ist die in ihrer Nr. 1 enthaltene Bestimmung von Bedeutung, wonach als Kinder i.S. des § 56 Abs. 1 SGB I Stiefkinder und Enkel gelten, die in den Haushalt des Berechtigten aufgenommen worden sind. Diese Regelung wäre weitgehend überflüssig, wenn solche Stiefkinder (und Enkel) in der Regel auch Pflegekinder wären.

Daß ein Stiefkind im Regelfall nicht Pflegekind ist, wird durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestätigt, wonach im Bereich der Rentenversicherung ein Kind Pflegekind i.S. des § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I nur sein kann, wenn ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen ihm und seinen Eltern oder einem Elternteil nicht mehr besteht. So hat das BSG in seinem Urteil vom 12. September 1990 (BSGE 67, 211 = SozR 3-1200 § 56 Nr. 1) entschieden, daß Kindererziehungszeiten nach § 1251a Abs. 3 Satz 1 und § 1227a Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und i.V.m. § 56 Abs. 3 Nr. 3 SGB V (Pflegeeltern) Großmüttern als Pflegemütter ihrer Enkelkinder nur angerechnet werden können, wenn die Beziehungen der Kinder zu ihren Müttern gelöst sind. In Fortführung seiner Rechtsprechung zur Pflegekindeigenschaft nach dem damaligen Kindergeldgesetz (KGG) und nach früheren Fassungen des § 2 des Bundeskindergeldgesetzes BKGG (BSGE 12, 25, 37 = SozR Nr. 1 zu § 2 SGG; BSGE 19, 106, 107 = SozR Nr. 6 zu § 1262 RVO, BSGE 25, 109, 111 = SozR Nr. 14 zu § 2 KGG; BSGE 30, 28, 29 ff. = SozR Nr. 4 zu § 2 BKGG) hat das BSG dies für erforderlich gehalten, weil Mutter und Großmutter nicht nebeneinander ein zweifaches Familienband mit dem Kind gleichzeitig unterhalten können und weil das familiäre Band zwischen Enkel und Großmutter nicht das typische Band ist, das Kinder mit Eltern verbindet. Diese Auslegung hat es auch aufrecht erhalten, nachdem mit Wirkung vom 8. Juli 1989 durch das 12. BKGG-Änderungsgesetz vom 30. Juni 1989 (BGBl. I 1294; BGBl. I 1990, 150) die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG für das Kindergeldrecht geltende Begriffsbestimmung des Pflegekindes dahingehend ergänzt wurde, daß ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen dem Kind und seinen Eltern nicht mehr besteht (Urteil vom 28. November 1990 – SozR 3-1200 § 56 Nr. 2; Urteil vom 15. Mai 1991 – SozR 3-1200 § 56 Nr. 3; Urteil vom 29. Oktober 1991 – 13/5 RJ 22/89 – insoweit nicht veröffentlicht; Urteil vom 8. Oktober 1992 – 13 RJ 47/91 – nicht veröffentlicht). Nach dieser Rechtsprechung ist im Sozialrecht grundsätzlich von einem einheitlichen Begriff des Pflegekindes auszugehen, falls nicht etwa Besonderheiten eines Rechtsgebietes etwas anderes erfordern. Da – wie im Urteil vom 28. November 1990 (a.a.O.) entschieden worden ist – durch den an § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG angefügten Zusatz „und ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen diesen Personen und ihren Eltern nicht mehr besteht”, im Kindergeldrecht ein im Vergleich zum Recht der Kindererziehungszeiten „gleichliegender Sachverhalt” geregelt ist, ist dieser Zusatz bei der Auslegung des § 56 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 3 SGB I i.S. einer Verdeutlichung und Klarstellung heranzuziehen. Die Unterschiede in den Gesetzesfassungen lassen danach insbesondere nicht darauf schließen, daß der Gesetzgeber für das Pflegekind im Kindergeldrecht etwas anderes gewollt hat als bei den Kindererziehungszeiten und der Sonderrechtsnachfolge; ein Grund für eine solche Unterscheidung wäre auch nicht ersichtlich.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung im Hinblick auf die Pflegekindeigenschaft bei der Familienversicherung jedenfalls insoweit an, als ein Stiefkind, das sich in einem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu einem leiblichen Elternteil befindet, nicht Pflegekind des Stiefvaters oder der Stiefmutter sein kann. Denn wenn § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I als Voraussetzung für die Anerkennung eines Pflegekindes fordert, daß die Betroffenen durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind, können Pflegeeltern nur solche Personen sein, denen infolge des Pflegeverhältnisses wesentliche Teile der Rechte und Pflichten eingeräumt worden sind, die Eltern gegenüber ihren Kindern haben. Insbesondere zählen hierzu das Recht und die Pflicht zur Aufsicht, Betreuung und Erziehung des Kindes, für dessen Ausübung Zuwendungen von dritter Seite nicht gewährt werden dürfen; Leistungen zur Deckung des finanziellen Unterhaltsbedarfs des Kindes sind dagegen im Rahmen eines Pflegeverhältnisses zulässig (BSGE 19, 106, 107 = SozR Nr. 6 zu § 1262 RVO; BSG SozR 5870 § 2 Nr. 16). Stehen Aufsicht, Betreuung und Erziehung wie hier nur einem Elternteil zu und werden diese Rechte und Pflichten durch ihn auch wahrgenommen, können Stiefeltern auch dann nicht als Pflegeeltern des Stiefkindes angesehen werden, wenn sie tatsächlich gewisse elterliche Funktionen übernehmen. Denn sofern dies der Fall ist, üben sie diese nicht aufgrund eines Pflegeverhältnisses, sondern nur und soweit aus, als sie ihnen von dem leiblichen Elternteil, mit dem sie zusammenleben, übertragen worden sind.

Dem steht nicht entgegen, daß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG in der seit dem 8. Juli 1989 geltenden Fassung ausdrücklich den Zusatz enthält, ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen Kind und dessen Eltern dürfe nicht mehr bestehen, in § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I ein solcher Zusatz jedoch nicht enthalten ist. Insbesondere kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob dem Zusatz klarstellende oder rechtsbegründende Bedeutung zukommt (vgl. hierzu Begründung zum Entwurf des 12. BKGG-Änderungsgesetzes, BT-Drucks. 11/4686 S. 6). Denn selbst wenn hierdurch im Kindergeldrecht eine neue, von der vorhergehenden abweichende Regelung herbeigeführt worden wäre, hätte dies auf § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I keine Auswirkungen. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG enthält nämlich auch insofern eine von § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I abweichende Begriffsbestimmung des Pflegekindes, als er neben der Aufnahme in den Haushalt die Verbindung „durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band” fordert, während § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I die Verbindung „durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern” verlangt. Letztere Regelung ist präziser gefaßt als die des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG in seiner vor dem 8. Juli 1989 geltenden Fassung. Sie läßt durch die Formulierungen „Pflegeverhältnis” und „wie Eltern”, keine Zweifel daran aufkommen, daß die Entlassung des Kindes aus dem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern oder zu einem Elternteil vorausgesetzt wird. Daher brauchte der Gesetzgeber dem § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB 1 auch keinen entsprechenden Zusatz anfügen.

Ebensowenig wie aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG kann aus der in § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) enthaltenen einkommensteuerrechtlichen Begriffsbestimmung der Pflegekinder geschlossen werden, Pflegekind nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V und § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I könne auch sein, wer von einem leiblichen Elternteil betreut wird. Die genannte Vorschrift des Steuerrechts, die mit Wirkung vom 29. Juni 1985 den Zusatz erhalten hat, ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen Kind und Eltern dürfe nicht mehr bestehen, hat eine dem § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG ähnliche Formulierung, die auch inhaltlich von der des § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I abweicht und daher für dessen Auslegung nicht herangezogen werden kann.

Ob ein Kind, das nicht mehr in der Obhut und Betreuung der leiblichen Eltern steht und in den Haushalt seines Stiefvaters oder seiner Stiefmutter aufgenommen worden ist (vgl. zum Fortbestehen der Stiefkindeigenschaft § 1590 Abs. 2 BGB), i.S. des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V Pflegekind der Stiefeltern sein kann, brauchte hier nicht entschieden werden.

Die hier gefundene Auslegung des § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB 1 verstößt i.V.m. § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Pflegekinder sind nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V zwar im Gegensatz zu Stiefkindern und Enkeln unabhängig davon familienversichert, ob sie das Mitglied überwiegend unterhält. Die ungleiche Behandlung mehrerer Gruppen von Normadressaten ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz jedoch vereinbar, wenn zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können; ungleiche Behandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (BVerfGE 82, 126, 146 m.w.N.). Dieses trifft hier zu. Der Gesetzgeber ist in einer typisierenden Betrachtungsweise bei Pflegeeltern davon ausgegangen, daß sie aufgrund einer übernommenen Verpflichtung das Pflegekind ohne Gegenleistung betreuen, beaufsichtigen und erziehen und damit zumindest den vollen Betreuungsunterhalt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) erbringen, der grundsätzlich gleichwertig mit den Unterhaltsleistungen in Geld- und Sachmitteln ist (§§ 1615a, 1612 Abs. 1 BGB; vgl. BSGE 63, 79, 80, 81 = SozR 2200 § 1267 Nr. 35 m.w.N.). Demgegenüber ist ein Stiefvater oder eine Stiefmutter dem Stiefkind gegenüber familienrechtlich nicht verpflichtet. Die elterlichen Rechte und Pflichten werden gegenüber ihrem Stiefkind typischerweise von ihrem Ehegatten wahrgenommen, von dem das Kind abstammt. Bei diesen Unterschieden durfte der Gesetzgeber die Einbeziehung des Stiefkindes in die Familienversicherung auf den Fall beschränken, daß das Kassenmitglied sein Stiefkind überwiegend unterhält, wobei Unterhaltsleistungen in Form von Pflege und Erziehung mit gewertet werden müssen.

Der Kläger kann demnach über den Beigeladenen nur familienversichert sein, wenn er von ihm überwiegend unterhalten wird. Im Recht der Krankenversicherung ist nicht geregelt, wie der überwiegende Unterhalt zu ermitteln ist. Daher ist auf die Regelungen des Familienrechts zurückzugreifen. Nach § 1610 Abs. 2 BGB umfaßt der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung. Hiervon ausgehend ist bei der Ermittlung des überwiegenden Unterhalts zunächst im konkreten Einzelfall festzustellen, welche von dritter Seite erbrachten Geld-, Sach- und Betreuungsleistungen zum Lebensbedarf des Kindes gehören, und was als eigene Einnahmen des Kindes zu werten ist. Steht danach der gesamte Unterhaltsbedarf des Kindes fest, ist zu prüfen, in welchem Verhältnis die vom Stiefvater oder von der Stiefmutter erbrachte Geld-, Sach- oder Betreuungsleistung zu dem gesamten Unterhaltsbedarf steht. Der vom Stiefvater erbrachte Unterhalt überwiegt nur dann, wenn er höher liegt als die Hälfte des gesamten Lebensbedarfs des Stiefkindes. Zur Ermittlung dieser Werte erscheint es zweckmäßig, zunächst für die Geld- und Sachleistungen und sodann für die Betreuungsleistungen getrennt zu untersuchen, ob sie vom beigeladenen Stiefvater überwiegend erbracht werden (vgl. BSGE 63, 79, 80, 81 = SozR 2200 § 1267 Nr. 35). Ergibt sich ein Überwiegen weder bei den Geld und Sachleistungen noch bei den Betreuungsleistungen, so kommt auch bei einer Gesamtbewertung beider Leistungsarten ein Überwiegen nicht in Betracht.

Der Senat konnte selbst nicht entscheiden, ob der Beigeladene den Kläger hiernach überwiegend unterhält. Das LSG hat von seinem Rechtsstandpunkt gesehen zutreffend weder zum Barunterhalt noch zum Betreuungsunterhalt Feststellungen getroffen hat. Es wird dieses nunmehr nachzuholen haben. Bei der Ermittlung des überwiegenden Unterhalts hat es insbesondere zu beachten, daß die von der Beklagten angewandte Methode zur Ermittlung des Unterhaltsbedarfs unzulänglich ist, soweit sie nur den Barunterhalt erfaßt und nicht auch den Betreuungsunterhalt berücksichtigt. Auch kann bei der Ermittlung des Unterhaltsbedarfs des minderjährigen Klägers und seiner jüngeren Halbgeschwister nicht von Pauschalierungen ausgegangen werden, bei denen der Unterhaltsbedarf von Erwachsenen gleich hoch angesetzt wird wie von Kindern.

Bei der abschließenden Entscheidung wird das LSG auch über die Erstattung außergerichtlicher Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

 

Fundstellen

Breith. 1995, 840

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