Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsgerät. Abweg. Pkw-Ummeldung. Weg zur Kfz-Zulassungsstelle. Vorbereitung des Weges

 

Orientierungssatz

1. Ein Gegenstand, der zur Verrichtung einer betrieblichen Arbeit gebraucht wird, ist ein Arbeitsgerät im Rechtssinne, wenn er von einem Beschäftigten entsprechend den betrieblichen Erfordernissen zur Arbeit verwendet wird. Dies trifft nicht nur auf Gerätschaften zu, die ihrer Zweckbestimmung nach als typische Arbeitsgeräte in Betracht kommen, sondern zB auch auf Beförderungsmittel, wie beispielsweise einen Personenkraftwagen, die auch zu anderen Zwecken als zur Arbeit benutzt werden.

2. Der Umstand, daß ein Pkw im wesentlichen nur für die Zurücklegung des Weges zwischen der Wohnung und dem Arbeitsplatz benutzt wird, reicht nicht aus, um den Pkw als Arbeitsgerät anzusehen (vgl BSG 1966-02-23 2 RU 45/65 = BSGE 24, 243, 246 = SozR Nr 21 zu § 543 RVO aF).

3. Der Weg zur Kfz-Zulassungsstelle zur Ummeldung eines neugekauften Wagens, der für den Weg zur Arbeitsstelle benutzt werden soll, dient nur der Vorbereitung des Zurücklegens des Arbeitsweges und ist deshalb - ebenso wie andere Vorbereitungshandlungen - nicht vom Versicherungsschutz erfaßt.

 

Normenkette

RVO § 549 Fassung: 1963-04-30, § 550 Abs 1 Fassung: 1974-04-01

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 29.07.1981; Aktenzeichen L 3 U 1052/79)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 30.05.1979; Aktenzeichen S 4 U 272/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin wegen der Folgen des am 23. Mai 1977 erlittenen Verkehrsunfalls Unfallentschädigung zu gewähren hat.

An diesem Montag fuhr die Klägerin von ihrer Wohnung in . zunächst in Richtung auf ihre im Zentrum von F. gelegene Arbeitsstelle, bog dann aber von dieser Wegstrecke ab, um ihr am Samstag erworbenes Fahrzeug bei der für sie zuständigen Kfz-Zulassungsstelle in r. auf ihren Namen umzumelden. Auf der Straße nach r. kam es durch einen überholenden Kraftwagen zu einem Frontalzusammenstoß. Die Klägerin erlitt dabei erhebliche Verletzungen, die einen längeren Krankenhausaufenthalt erforderlich machten.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 28. Oktober 1977 Unfallentschädigung ab. Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt durch Urteil vom 30. Mai 1979 abgewiesen.

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 29. Juli 1981 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Arbeitsunfall nach § 548 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erlitten, weil die Ummeldung ihres Pkw bei der Kfz-Zulassungsstelle in r. keine im Rahmen ihres Dienstverhältnisses auszuübende, den Interessen des Unternehmens dienende Verrichtung darstelle; sie gehöre dem unversicherten Lebensbereich der Klägerin an. Die Ummeldung des Kfz sei auch keine nach § 549 RVO unter Versicherungsschutz gestellte Instandhaltung oder Erneuerung eines Arbeitsgerätes. Der Pkw sei für die Klägerin kein Arbeitsgerät gewesen, weil er nur für die Zurücklegung des Arbeitsweges benutzt worden sei und keinen Bezug auf die dienstlichen Verrichtungen habe. § 549 RVO nenne aber § 550 RVO nicht. Unfallversicherungsschutz ergebe sich schließlich auch nicht aus § 550 Abs 1 RVO. Die Klägerin habe zur Zeit des Unfalls nicht mehr die B 45 nach Westen in Richtung auf die B 3 befahren, auf der sie gewöhnlich nach F. gefahren sei, sondern sei in östlicher Richtung davon abgebogen. Dieser Abweg sei nicht aus betrieblichen Gründen erforderlich gewesen; die Ummeldung des Kraftfahrzeuges der Klägerin sei nicht notwendig gewesen, um den restlichen Weg zur Arbeitsstelle zurücklegen zu können. Die Betriebsfähigkeit des Fahrzeugs sei nicht in Frage gestellt gewesen.

Der erkennende Senat hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und führt zur Begründung aus: Das LSG habe zu Unrecht § 550 RVO nicht angewendet. Die Ummeldung des Pkw am Morgen des 23. Mai 1977, einem Montag, sei für die Klägerin "unvorhergesehen" gewesen. Erst am Freitag der Vorwoche sei ihr mitgeteilt worden, daß eine Reparatur ihres alten Pkw nicht mehr lohnend sei, worauf sie am Samstag ein neues Gebraucht-Fahrzeug erworben habe. Sie habe sich dem Verkäufer gegenüber verpflichtet, so schnell wie möglich die Ummeldung durchzuführen. Sie habe deshalb die Kfz-Zulassungsstelle aufsuchen müssen. Einen Bekannten habe sie nicht bitten können, weil sie sonst die Arbeitsstelle nicht rechtzeitig hätte aufsuchen können. Außerdem habe das LSG entgegen der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht auf die Vorstellungen der Versicherten abgestellt, daß sie noch am Montagvormittag den Pkw ummelden müsse. Schließlich handele es sich bei dem Pkw der Klägerin, wie bei dem Auto eines Boten oder eines Reisenden, auch um ein "Arbeitsgerät" iS von § 549 RVO, denn es diene allein dem Zweck, den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück durchzuführen.

Die Klägerin beantragt, die Entscheidungen des Landessozialgerichts vom 29. Juli 1981 und des Sozialgerichts Frankfurt vom 30. Mai 1979 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1977 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Verkehrsunfall vom 23. Mai 1977 als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Unfall vom 23. Mai 1977 nicht von der Beklagten zu entschädigen ist.

Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Voraussetzungen nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO nicht vorliegen: Danach ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die Klägerin hat den Unfall nicht bei ihrer Tätigkeit als Sekretärin bei der Steuerberaterkammer in . erlitten.

Der von der Klägerin gekaufte Pkw war auch kein Arbeitsgerät iS des § 549 RVO. Nach dieser Vorschrift gilt ein Unfall im Zusammenhang mit einem Arbeitsgerät uU als Arbeitsunfall. Der Begriff des Arbeitsgerätes ist im Gesetz zwar nicht näher bestimmt. Aber im allgemeinen ist ein Gegenstand, der zur Verrichtung einer betrieblichen Arbeit gebraucht wird, ein Arbeitsgerät im Rechtssinne, wenn er von einem Beschäftigten entsprechend den betrieblichen Erfordernissen zur Arbeit verwendet wird. Dies trifft nicht nur auf Gerätschaften zu, die ihrer Zweckbestimmung nach als typische Arbeitsgeräte in Betracht kommen, sondern zB auch auf Beförderungsmittel, wie beispielsweise einen Personenkraftwagen, die auch zu anderen Zwecken als zur Arbeit benutzt werden (vgl BSGE 24, 243, 246 = SozR Nr 21 zu § 543 RVO aF). Das BSG hat die Frage, ob ein Personenkraftwagen, der zur Zurücklegung der Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz benutzt wird, ein "Arbeitsgerät" sein kann, in der Entscheidung vom 23. März 1972 - 2 RU 133/70 - in USK 7256 entschieden. Danach ist ein privateigener Personenkraftwagen in der Regel nur dann ein Arbeitsgerät iS des § 549 RVO, wenn er seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen gebraucht wird (BSG Urteil vom 29. April 1970 - 2 RU 94/67 = USK 7060); einer solchen Tätigkeit hat es das Zurücklegen des Weges nach und von der Arbeitsstelle (§ 550 RVO) nicht gleichgestellt. Etwas anderes hat das BSG auch in der von der Klägerin zitierten Entscheidung vom 30. September 1980 - 2 RU 40/80 - (SozR 2200 § 549 Nr 7) nicht gesagt (vgl aaO S 22). Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hat die Klägerin den Pkw im wesentlichen nur für die Zurücklegung des Weges zwischen ihrer Wohnung und dem Arbeitsplatz benutzt. Das reicht nicht aus, um den Pkw als Arbeitsgerät anzusehen. Das BSG hat darauf abgestellt, daß die Geräte zur Verrichtung versicherter Tätigkeiten gebraucht werden (vgl BSGE 24, 243, 246 = SozR Nr 21 zu § 543 RVO aF). Der Weg zur Arbeitsstelle und zurück gehört nicht zur versicherten Tätigkeit, er ist erst durch § 550 Abs 1 Satz 1 RVO durch eine Fiktion unter Unfallversicherungsschutz gestellt worden. Der Hinweis der Klägerin, daß ein Auto für einen Boten ein Arbeitsgerät sein kann, geht fehlt, denn entsprechende Feststellungen hat das LSG nicht getroffen. Der Pkw der Klägerin ist also kein Arbeitsgerät. Die Anwendung des § 549 RVO ist daher nicht möglich.

Nach § 550 Abs 1 RVO gilt auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit als Arbeitsunfall. Wie das LSG festgestellt hat, ist der Unfall der Klägerin nicht auf dem direkten Wege zwischen ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstelle im Zentrum von F. eingetreten. Das LSG hat zutreffend die Gedanken wiedergegeben, die das BSG zu den Begriffen "Umweg" und "Abweg" herausgearbeitet hat (vgl neuerdings Urteil vom 29. Februar 1984 - 2 RU 73/82 - mwN), und festgestellt, daß der Unfall der Klägerin daran gemessen nicht zu entschädigen ist. Eine ursächliche Verbindung des Weges mit der betrieblichen Tätigkeit wird auch nicht dadurch herbeigeführt, daß die Klägerin die Kfz-Zulassungsstelle zur Ummeldung des neugekauften Wagens aufsuchen wollte. Abgesehen davon, daß nach den vorigen Ausführungen der Pkw der Klägerin kein Arbeitsgerät ist, dient die Ummeldung nur der Vorbereitung des Zurücklegens des Arbeitsweges und ist deshalb - ebenso wie die vom LSG zutreffend genannten Vorbereitungshandlungen: Besorgen einer Arbeiterwochenkarte (BSGE 7, 255), einer Lohnsteuerkarte (BSGE 11, 154) bzw einer Aufenthaltserlaubnis (BSGE 36, 222 = SozR Nr 41 zu § 548 RVO) - nicht vom Versicherungsschutz erfaßt.

Die Angriffe, die die Klägerin hiergegen erhebt, sind nicht begründet. Ein sachlich wesentlicher Zusammenhang einer Tätigkeit zur Erhaltung der Fahrbereitschaft eines Pkw mit der Zurücklegung des Weges nach und von der Arbeitsstätte ist nur gegeben, wenn sie unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg zurückgelegt werden kann (BSG SozR 2200 § 550 Nr 39). Anders als in den vom BSG entschiedenen Fällen (vgl zB BSGE 16, 245 = SozR Nr 36 zu § 543 RVO aF; SozR 2200 § 550 Nr 39) war es der Klägerin nicht unmöglich, den Weg zur Arbeitsstelle fortzusetzen. Zwar hatte die Klägerin die Pflicht, den gekauften Kraftwagen unverzüglich umzumelden (vgl § 27 Abs 3 Satz 1 der Straßenverkehrszulassungsordnung -StVZO-). Daraus ergab sich aber objektiv nicht die Notwendigkeit, diese Ummeldung unbedingt vor Antritt ihrer Arbeit am Montag, dem 23. Mai 1977, durchzuführen (vgl § 121 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-: "ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich)"). Es ist deshalb nicht erheblich, ob die Klägerin nicht auch einen anderen beauftragen konnte, den Pkw umzumelden, oder ob sie selbst dafür keinen Urlaub mehr beantragen konnte oder bekommen hätte. Die Klägerin mußte jedenfalls nicht unvorhergesehene Handlungen unternehmen, um die Fahrt zur Arbeitsstelle fortzusetzen. Die Verpflichtung, den Pkw umzumelden, oblag ihr nicht als versicherte Arbeitnehmerin, sondern als Kfz-Halterin und damit in ihrem persönlichen Bereich.

Selbst wenn die Klägerin angenommen haben sollte, sie müsse den Pkw noch am Montagmorgen ummelden, weil sie ihn sonst nicht hätte weiter benutzen dürfen, bestand kein Versicherungsschutz. Zwar hat das BSG in SozR 2200 § 550 Nr 39 S 98 auf die Auffassung des Versicherten abgestellt, ob eine Tätigkeit geeignet ist, den Interessen des Unternehmens zu dienen, und deshalb nicht näher überprüft, ob objektiv bei dem zu beurteilenden Unfall das Auffüllen des Tankes erforderlich war. Hierbei handelte es sich um einen Umstand, der die tatsächliche Zurücklegung des Weges unmöglich machen konnte. Die persönliche Vorstellung der Klägerin von ihrer Ummeldepflicht bezog sich jedoch auf ein rechtliches Verbot; dieses traf sie aber gerade nicht als versicherte Arbeitnehmerin, sondern als Pkw-Halterin.

Das LSG hat also zutreffend entschieden, daß der Klägerin für den Unfall vom 23. Mai 1977 keine Entschädigung von dem Beklagten zusteht. Ihre Revision ist daher unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664058

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