Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei Maßnahmen zur Erhaltung der Fahrbereitschaft eines Beförderungsmittels

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein privateigener Personenkraftwagen ist in der Regel nur dann ein Arbeitsgerät iS des RVO § 549, wenn er seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen gebraucht wird; einer solchen Tätigkeit ist das Zurücklegen des Weges nach und von der Arbeitsstätte (RVO § 550) nicht gleichzustellen.

2. Maßnahmen zur Wiederherstellung oder Erhaltung der Fahrbereitschaft eines Beförderungsmittels, das zur Zurücklegung des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzt wird, können dem Unfallversicherungsschutz nach RVO § 550 S 1 unterliegen, wenn die Fahrt ohne Behebung einer unvorhergesehenen aufgetretenen Störung nicht fortgesetzt werden kann.

 

Normenkette

RVO § 549 Fassung: 1963-04-30, § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. Juli 1970 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger, der in Dornbusch wohnte, war als Maurer auf einer Baustelle in D/Ortsteil G beschäftigt. Am Freitag, dem 8. Dezember 1967, setzte starker Schneefall ein. Nach dem Ende der Arbeitszeit fuhr der Kläger gegen 16.40 Uhr mit seinem Pkw zu einer Vertragswerkstatt in K und kaufte dort Winterreifen, die an Ort und Stelle aufmontiert wurden. Um seine Wohnung in D zu erreichen, mußte der Kläger anschließend wieder nach D zurückfahren, von wo die Straße nach D abzweigt. Die Strecke von D nach K ist mit ungefähr 6 km etwa genau so lang wie der restliche Weg von D nach D. Auf der Rückfahrt von K geriet der Kläger, bevor er die Abzweigung in D wieder erreicht hatte, mit seinem Pkw in Schleudern und fuhr gegen einen Baum. Dabei zog er sich Knochenbrüche am linken Oberschenkel und am linken Arm zu, die eine stationäre Behandlung bis zum 14. März 1968 erforderten. Am Samstag, dem 9. Dezember 1967, an dem der Kläger ebenfalls hätte arbeiten sollen, mußten die Arbeiten wegen der ungünstigen Witterungsverhältnisse nach zwei bis drei Stunden eingestellt werden.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 27. März 1968 die Gewährung einer Entschädigung ab, weil sich der Unfall nicht auf dem Weg von der Arbeitsstätte, sondern auf einem - unversicherten - Abweg ereignet habe.

Der Kläger hat mit der hiergegen erhobenen Klage geltend gemacht, er habe wegen der unzureichenden öffentlichen Verkehrsmittel ein eigenes Fahrzeug für den Weg zur Baustelle benutzen müssen. Der plötzlich einsetzende Schneefall am Unfalltag habe ihn gezwungen, die Verkehrssicherheit seines Pkw durch Winterreifen zu erhöhen.

Das Sozialgericht (SG) Stade hat die Beklagte am 24. Juni 1969 verurteilt, den Unfall als Arbeitsunfall zu entschädigen. Wegen des überraschend frühen, plötzlichen Einbruchs des Winters mit starkem Schneefall hat es das SG für gerechtfertigt gehalten, den Unfallversicherungsschutz ausnahmsweise für das an sich nur als Vorbereitungshandlung zu wertende Aufziehen der Winterreifen zu bejahen, obwohl sich der Unfall auf einem Abweg ereignet habe; für den Entschluß des Klägers, nach K zu fahren, seien auch betriebliche Gründe wesentlich gewesen, zumal da der Kläger am nächsten Tag habe arbeiten müssen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten die Entscheidung des SG durch Urteil vom 13. Juli 1970 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe den Unfall nicht bei einer mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Instandhaltung des Arbeitsgeräts (§ 549 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) erlitten; er habe nämlich das Kraftfahrzeug nicht hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen, sondern nur für die Hin- und Rückfahrten zwischen seiner Wohnung und den Arbeitsstätten benutzt. Die Fahrt des Klägers von D nach K und zurück habe nicht zu seinem versichertem Heimweg (§ 550 RVO) gehört. Es habe sich vielmehr, da der Kläger zunächst wieder nach D hätte zurückkehren müssen, um einen in die eigentliche Heimwegstrecke eingeschobenen zusätzlichen Weg gehandelt, der örtlich und hinsichtlich seines Zwecks vom Zurücklegen des Heimwegs abzugrenzen sei. Auf diesem sogenannten Abweg sei der ursächliche Zusammenhang mit dem Zurücklegen des Weges von der Arbeitsstätte unterbrochen gewesen. Dies folge aus dem Zweck des zusätzlichen Weges. Das Aufmontieren von M+S-Reifen sei als Vorbereitungshandlung für die Wege nach und von der Arbeitsstätte zu werten. Es habe - wie allgemein Reparatur- und Wartungsarbeiten - der Erhaltung der Fahrbereitschaft im Winter gedient. Der Kläger habe zwar am folgenden Tage arbeiten müssen und die Sicherheit seines Kraftfahrzeugs erhöhen wollen. Das Aufziehen der Winterreifen sei jedoch nicht den Maßnahmen gleichzustellen, die unvorhergesehen während der Fahrt nach und von dem Ort der Tätigkeit zur Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit des Fahrzeugs notwendig würden und deshalb in den Versicherungsschutz einbezogen seien. Die Maßnahme sei nicht erforderlich gewesen, um am Unfalltag den restlichen Heimweg nach Dornbusch fortzusetzen, wie die ohne M+S-Reifen durchgeführte Fahrt von D nach K gezeigt habe. Die Fahrt nach K habe auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Kläger am nächsten Tag die Baustelle hätte aufsuchen müssen, in erster Linie dazu gedient, das Kfz den Witterungsverhältnissen anzupassen, die in den kommenden Wintermonaten zu erwarten gewesen seien. Derartige Maßnahmen stünden nicht unter Unfallversicherungsschutz.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Das LSG habe auf abstrakte Rechtsfragen abgehoben anstatt - wie das SG - die gesamten Umstände des Falles zu berücksichtigen. Es bestehe zwar der Grundsatz, daß im allgemeinen nur der plötzliche, unvorhergesehene Defekt des für die Zurücklegung des Weges von und zur Arbeitsstätte benutzten Beförderungsmittels Versicherungsschutz bewirken könne. Das LSG verkenne jedoch, daß auch Umwege von 26 km Länge (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 30.5.1969 - 2 RU 199/67 -) den Versicherungsschutz nicht in Frage stellten. In Wirklichkeit handele es sich bei dem Weg nach K und zurück um den "vorweggenommenen" Teil des versicherten Heimwegs von der Arbeitsstätte (Urteil des BSG vom 18.12.1969 - 2 RU 279/66 -). Das Beschaffen der Reifen habe den Zweck gehabt, die Benutzung des Fahrzeugs für die Heimfahrt von D nach D zu ermöglichen, aber auch, den Wagen für die Fahrt am nächsten Morgen fahrsicher herzurichten. Insoweit sei nicht nur das Interesse des Arbeitgebers, sondern auch dasjenige der Berufsgenossenschaft unmittelbar berührt gewesen. Es habe im betrieblichen Interesse gelegen, daß der Kläger am nächsten Morgen zur Arbeit erschien; ohne M+S-Reifen hätte er die Fahrt wahrscheinlich nicht antreten können, jedenfalls aber die Gefahr eines Unfalls vergrößert.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Das LSG hat zutreffend angenommen, daß der Versicherungsschutz nicht aus § 549 RVO hergeleitet werden kann. Das Montieren der Winterreifen ist nicht als Instandhaltung eines Arbeitsgeräts im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Der Pkw ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ein "Arbeitsgerät" im Regelfall nur dann, wenn er seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit in dem Unternehmen gebraucht wird; einer solchen Tätigkeit ist das Zurücklegen des Weges nach und von der Arbeitsstätte im Sinne des § 550 RVO nicht gleichzuerachten (vgl. BSG 24, 243, 246). Da der Kläger seinen Pkw nur in diesem Umfang, sonst jedoch nicht für das Unternehmen benutzte, liegen die Voraussetzungen des § 549 RVO nicht vor.

Mit Recht hat das LSG auch den Versicherungsschutz nicht nach § 550 Satz 1 RVO als begründet erachtet; der Kläger befand sich im Unfallzeitpunkt nicht auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg von der Arbeitsstätte.

Nach der Beendigung seiner Arbeitstätigkeit verließ der Kläger mit seinem Pkw die Baustelle in D/Ortsteil G und fuhr, von der zu seinem Wohnort D führenden Straße abweichend, nach K. Um nach Hause zu gelangen, hätte er von K aus zunächst dieselbe Strecke bis zur Abzweigung wieder zurückfahren müssen. Der Kläger hat sich folglich auf dem Streckenabschnitt von der Abzweigung nach K und zurück nicht auf einem Umweg befunden, der nur vorliegt, wenn der Versicherte die kürzeste Wegstrecke - nicht unbedeutend - verlängert, als Zielrichtung jedoch die eigene Wohnung beibehält (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 7. Aufl., S. 486 q mit Nachweisen u.a. aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats). Die an sich zutreffende Auffassung der Revision, daß unter Umständen auch ein längerer Umweg den Versicherungsschutz nach § 550 Satz 1 RVO nicht ausschließe, kann deshalb nach den Verhältnissen dieses Falles den Klageanspruch nicht stützen. Der Kläger hat vielmehr dadurch, daß er einen anderen, nicht in Zielrichtung zu seiner Wohnung führenden Weg in den Weg von dem Ort der Tätigkeit eingeschoben hat, diesen unterbrochen. Im Unfallzeitpunkt - vor dem Wiedererreichen der Abzweigung, von welcher die Straße zum Wohnort des Klägers führt - war die Unterbrechung nicht beendet. Während einer - wie hier - nicht nur geringfügigen Unterbrechung des Weges von dem Ort der Tätigkeit besteht kein Versicherungsschutz, wenn die Unterbrechung einer privaten Verrichtung dient (vgl. Brackmann, aaO, S. 486 s I ff mit Nachweisen). Zutreffend hat das LSG angenommen, daß diese, den Versicherungsschutz ausschließenden Umstände vorliegend gegeben waren; entgegen der Auffassung der Revision hat es dabei die Besonderheiten des Falles nicht unberücksichtigt gelassen.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats begründet der Umstand, daß das Zurücklegen der Wege von und nach dem Ort der Tätigkeit nach § 550 Satz 1 RVO der versicherten Arbeitstätigkeit gleichgestellt ist, nicht ohne weiteres auch den Versicherungsschutz für alle Tätigkeiten, die notwendig sind, um diese Wege zurücklegen und damit die Arbeit im Unternehmen verrichten zu können. Vielmehr sind diese - vorbereitenden - Tätigkeiten - wie z.B. das Reparieren und Auftanken von Fahrzeugen - grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen (vgl. BSG 16, 77, 78; SozR Nr. 72 zu § 542 RVO aF, Nr. 63 zu § 543 RVO aF). Maßnahmen des Versicherten zur Wiederherstellung oder Erhaltung der Betriebsfähigkeit (Fahrbereitschaft) eines Beförderungsmittels, das zur Zurücklegung des Weges von und nach dem Ort der Tätigkeit benutzt wird, können allerdings unter Umständen dem Versicherungsschutz nach § 550 Satz 1 RVO unterstehen, wenn die Fahrt ohne Behebung einer unvorhergesehen aufgetretenen Störung nicht fortgesetzt werden kann (vgl. BSG 16, 245, 247; SozR Nr. 63 zu § 543 RVO aF). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.

Selbst wenn zugunsten des Klägers unterstellt wird, daß es angesichts der durch Schneefall bedingten Straßenverhältnisse am Nachmittag des 8. Dezember 1967 auf der Fahrtstrecke zwischen Arbeitsplatz und Wohnort des Klägers zweckmäßig war, die Verkehrssicherheit des Pkw durch Ausrüstung mit Winterreifen (M+S) zu erhöhen, vermag das den Versicherungsschutz für die diesem Zweck dienende Fahrt nicht zu begründen. Denn der Umstand, daß der Weg, der zum Aufziehen der Winterreifen unternommen wurde, etwa ebenso lang war wie der Heimweg, macht deutlich, daß - wie das LSG mit Recht ausgeführt hat - der Reifenwechsel nicht erforderlich war, um den restlichen Heimweg fortzusetzen (vgl. SozR Nr. 72 zu § 542 RVO aF, Nr. 63 zu § 543 RVO aF), sondern vielmehr als eine dem unversicherten persönlichen Bereich zuzurechnende Vorbereitungshandlung wesentlich dazu bestimmt war, das Fahrzeug den Witterungsbedingungen anzupassen, die bei der Fahrt zur Arbeitsstätte am nächsten Tag und allgemein in den Wintermonaten zu erwarten waren.

Entgegen der Meinung des Klägers ist die vorliegende Sache der durch das Urteil des erkennende Senats vom 18. Dezember 1969 (2 RU 279/66) entschiedenen Streitsache, in welcher der Senat einen "vorweggenommenen Teil" des Heimwegs angenommen hat, nicht rechtsähnlich. Dieser Fall war nämlich, abgesehen von anderen Besonderheiten, abweichend von dem vorliegenden u.a. dadurch gekennzeichnet, daß ein Beschäftigter in einer zu diesem Zwecke eingeschobenen Arbeitspause das wegen der örtlichen Verhältnisse und der Witterung zur Zeit der Anfahrt zur Arbeitsaufnahme in einiger Entfernung stehengelassene Fahrzeug zunächst an seinen Arbeitsplatz holen wollte; der erkennende Senat hat wegen der besonderen Umstände dieses Falles den Weg zum Fahrzeug und zurück als einen "vorweggenommenen" Teil des versicherten Heimwegs von der Arbeitsstätte angesehen, weil der Beschäftigte diesen Weg auch hätte zurücklegen müssen, wenn er unmittelbar anschließend den Heimweg angetreten hätte. Im vorliegenden Fall handelt es sich demgegenüber bei dem Weg nach K und zurück nicht um einen solchen, der - auch wenn er bereits vor Beendigung der Arbeitszeit in einer Pause unternommen worden wäre - als Teil des versicherten Heimwegs angesehen werden könnte.

Das LSG ist somit - im Ergebnis mit der Auffassung der Beklagten übereinstimmend - zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht unter Versicherungsschutz stand.

Die Revision ist nicht begründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Der Senat hat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652706

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