Leitsatz (redaktionell)

1. Ein PKW, den ein Arbeitnehmer auch für berufliche Zwecke verwendet, ist in der Regel nur dann als Arbeitsgerät iS von RVO § 549 anzusehen, wenn er seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen des Arbeitgebers gebraucht wird.

2. Bei Beschäftigten, welche mit dem eigenen Fahrzeug zur Arbeitsstätte fahren, ist nicht jede zur Erhaltung der Fahrbereitschaft erforderliche Verrichtung vom Versicherungsschutz umfaßt. Die Unfallversicherung greift jedoch ein, wenn die Maßnahme nicht allein von dem persönlichen Interesse getragen ist, das private Eigentum vor Schaden zu bewahren, sondern wenn sie in erster Linie dazu dient, dem zeitgerechten Ablauf des Heimwegs von der Arbeitsstätte sicherzustellen (hier: Unfall bei Kontrolle des Fahrzeugs während eines gegen Dienstschluß einsetzenden schweren Gewitters.

 

Normenkette

RVO § 549 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 1967 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger ist als Bautechniker bei der Amtsverwaltung K beschäftigt. Für den Weg von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte, der hin und zurück 26 km beträgt, benutzt er seinen Pkw. Diesen verwendet er vereinbarungsgemäß auch für dienstliche Zwecke; bei seinen Fahrten im Außendienst legte der Kläger im Tagesdurchschnitt eine Strecke von 20 km zurück.

Als der Kläger am 17. August 1964 nach Dienstschluß um 18.00 Uhr nach Hause fahren wollte, ging ein schweres Gewitter nieder. Zusammen mit anderen Amtsangehörigen suchte er deshalb den im Kellergeschoß des Amtsgebäudes befindlichen Ratskeller auf, um dort das Ende des Unwetters abzuwarten. Als gegen 18.30 Uhr während des Gewitters starke Windböen auftraten, verließen mehrere Amtsangehörige, welche ihren Wagen vor dem Amtsgebäude geparkt hatten, den Ratskeller, um nach ihrem Fahrzeug zu sehen. Dies tat auch der Kläger; er wollte sich überzeugen, ob die Fenster seines Pkw geschlossen seien, damit der Wagen durch eindringende Nässe nicht beschädigt würde. Als der Kläger die Ratskellertreppe hinaufstieg, fiel ihm ein Blumenkasten, der von einer Windböe erfaßt worden war, auf den Kopf. Wegen einer Gehirnerschütterung befand er sich bis zum 9. September 1964 in stationärer Behandlung.

Der Beklagte versagte durch Bescheid vom 26. Januar 1965 die begehrte Unfallentschädigung, weil durch den Aufenthalt im Ratskeller eine Lösung vom Unternehmen eingetreten und der vom Ratskeller aus angetretene Weg, auf dem der Kläger verunglückt sei, privaten Interessen gedient habe.

Das Sozialgericht (SG) Trier hat durch Urteil vom 11. März 1966 die Klage abgewiesen, weil der Kläger den Unfall bei einer unversicherten Vorbereitungshandlung für den Heimweg erlitten habe.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat durch Urteil vom 24. Februar 1967 unter Aufhebung der Entscheidung des SG und des Bescheides des Beklagten diesen verurteilt, dem Kläger Unfallentschädigung zu gewähren. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Der nach § 548 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erforderliche innere Zusammenhang des Unfalls mit der Beschäftigung im Unternehmen liege vor, weil der Kläger seinen Pkw nicht ausschließlich für private, sondern in erheblichem Umfang auch für betriebliche Zwecke benutze. Der Kläger habe glaubhaft versichert, sein Arbeitgeber sei daran interessiert, daß sein Pkw für Zwecke des Außendienstes ständig fahrbereit zur Verfügung stehe. Sein während des erheblichen Gewitters auf die Sicherung und Kontrolle seines Fahrzeugs gerichtetes Bemühen habe somit wesentlich im betrieblichen Interesse gelegen und eine rechtlich wesentliche innere Beziehung zu seiner Arbeitstätigkeit begründet. Dem stehe nicht entgegen, daß der Kläger damit gleichzeitig auch persönliche Interessen verfolgt habe. Selbst wenn anzunehmen sei, daß im Vordergrund der Bemühungen des Klägers die Absicht einer möglichst nicht beeinträchtigten Heimfahrt gewesen sei, sei der Versicherungsschutz, nämlich nach § 550 Satz 1 RVO, gegeben. Ob der Versicherungsschutz während des Aufenthalts des Klägers im Ratskeller unterbrochen gewesen sei, könne dahingestellt bleiben; jedenfalls sei dadurch keine Lösung vom Unternehmen eingetreten. Zwar habe sich der Kläger, als ihm der Unfall zugestoßen sei, nicht auf der Heimwegstrecke im Sinne des § 550 Satz 1 RVO befunden, denn er habe nach Erledigung seines Vorhabens sich wieder in den Ratskeller zurückbegeben wollen. Der Begriff des Weges im Sinne dieser Vorschrift sei indessen weit auszulegen. Dazu gehöre auch die vom Kläger beabsichtigte Kontroll- und Überprüfungstätigkeit. Diese hätte nur wenige Augenblicke in Anspruch genommen und sei, da sie an dem für die Abfahrt bereitstehenden Fahrzeug vorgenommen worden sei, mit der bevorstehenden Heimfahrt so eng verknüpft, daß sie von dieser versicherungsrechtlich nicht getrennt werden könne, sondern als Teil des nach § 550 Satz 1 RVO unter Versicherungsschutz stehenden Weges angesehen werden müsse.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:

Da der Kläger seinen Wagen, als sich der Unfall ereignet habe, nicht für Dienstfahrten, sondern für die Zurücklegung des Heimwegs habe benutzen wollen, entfalle der Versicherungsschutz nach § 549 RVO. Andererseits habe der Kläger den Heimweg noch nicht angetreten gehabt; er sei bei der Ausführung einer unversicherten Vorbereitungshandlung verunglückt, so daß auch die Voraussetzungen des § 550 Satz 1 RVO nicht erfüllt seien.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sein Pkw werde für seinen Arbeitgeber hauptsächlich gebraucht, weil dieser ihm für seine dienstlich notwendigen Fahrten kein Dienstfahrzeug zur Verfügung stellen könne und deshalb bei seiner Einstellung aus besonderem dienstlichen Interesse vereinbart worden sei, daß er seinen Pkw für Dienstfahrten benutze. Dies setze aber voraus, daß sein Fahrzeug laufend für Dienstfahrten einsatzfähig sei. Diesem Zweck habe das von ihm im Zeitpunkt des Unfalls beabsichtigte Vorhaben gedient. Deshalb sei nicht entscheidend, daß entsprechend der Zahl der gefahrenen Kilometer der Pkw nicht überwiegend für Dienstfahrten verwendet werde. Somit seien die Voraussetzungen des § 549 RVO gegeben. Dem LSG sei ferner darin zu folgen, daß es jedenfalls nach § 550 Satz 1 RVO den Versicherungsschutz bejaht habe.

Der Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist im Ergebnis nicht begründet.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht allerdings den Versicherungsschutz nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO bejaht, denn der Kläger hat den Unfall nicht, was diese Vorschrift voraussetzt, in Ausübung seiner nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Beschäftigung erlitten. Seine dienstliche Tätigkeit war in diesem Zeitpunkt, wie das LSG festgestellt hat, beendet. Der Kläger wollte vielmehr nach Hause, war daran jedoch durch ein heftiges Gewitter gehindert; deshalb wartete er in dem im Dienstgebäude befindlichen Ratskeller das Ende des Unwetters ab.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts laufen in Wirklichkeit darauf hinaus, daß der Kläger, als er den Unfall erlitt, die Absicht gehabt habe, seinen auch für dienstliche Zwecke verwendeten Pkw vor den Unbilden der Witterung zu schützen und deshalb Versicherungsschutz nach § 549 RVO gegeben sei. Dieser Auffassung kann indessen nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 24, 243) kann ein Pkw ein Arbeitsgerät im Sinne dieser Vorschrift sein. Dies setzt jedoch im Regelfall voraus, daß er seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen gebraucht wird. Dies ist hier indessen nicht der Fall. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG legt der Kläger mit seinem Pkw für dienstliche Zwecke täglich durchschnittlich 20 km zurück. Die Hin- und Rückfahrt zur Arbeitsstätte, für die der Wagen täglich benutzt wird, beträgt hingegen 26 km. Hinzu kommt die Verwendung des Pkw für andere persönliche Zwecke. Der auf die betriebliche Benutzung des Fahrzeugs entfallende Anteil ist im Verhältnis zu seiner gesamten Verwendung zwar nicht unerheblich. Dies genügt aber nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (im Gegensatz zur Rechtsprechung des RVA Breithaupt 1940, 391) trotz des Interesses des Arbeitgebers des Klägers, daß dieser mangels eines Dienstfahrzeugs seinen Pkw für dienstliche Fahrten gebraucht und dafür vom Arbeitgeber eine Entschädigung erhält, nicht, den Pkw des Klägers als Arbeitsgerät im Sinne des § 549 RVO anzusehen (BSG 24, 243, 246).

Der Entschädigungsanspruch des Klägers ist jedoch nach § 550 Satz 1 RVO begründet, wenn auch den vom Berufungsgericht zu dieser Vorschrift hilfsweise angestellten Erwägungen nicht in allen Punkten beizutreten ist.

Zutreffend hat das LSG angenommen, daß der Kläger sich im Zeitpunkt des Unfalls noch nicht auf dem in dieser Vorschrift bezeichneten Weg vom Ort seiner Tätigkeit befunden hat. Der Kläger wollte angesichts des noch andauernden Unwetters nicht sogleich nach Hause fahren, sondern nur nach seinem Wagen sehen und dann wieder in den Ratskeller zurückkehren. Diese beabsichtigte Tätigkeit, zu deren Ausführung es infolge des Unfalls nicht mehr gekommen ist, mag zwar in erster Linie dem dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Zweck gedient haben, das Innere des Fahrzeugs vor den Unbilden der Witterung zu schützen. Sie hat jedoch, obwohl sie im Zweifel auch von anderen in einer ähnlichen Lage befindlichen Autofahrern verrichtet worden ist, welche nach dem Ende des Unwetters nicht von der Arbeitsstätte nach Hause fahren wollten, auch der Zurücklegung des Weges vom Ort der dienstlichen Tätigkeit gedient. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, steht allerdings ein Beschäftigter auf einem Weg, welcher nur der Vorbereitung des Weges von der oder zur Arbeitsstätte dient, im allgemeinen nicht unter Versicherungsschutz (vgl. z.B. BSG 7, 255). Der Senat ist insbesondere der Auffassung, daß bei Beschäftigten, welche mit dem eigenen Fahrzeug zur Arbeitsstätte zu fahren pflegen, jede zur Erhaltung der Fahrbereitschaft erforderliche Verrichtung unfallgeschützt sei, entgegengetreten (BSG 16, 77, 78; SozR Nr. 72 zu § 542 RVO aF). In der hier zu entscheidenden Streitsache kann indessen nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kläger durch Umstände, die zu beeinflussen nicht in seiner Macht gelegen hat, gehindert worden ist, unmittelbar nach Dienstschluß - wie beabsichtigt - seinen Heimweg anzutreten, und die Gefahr gegeben war, daß die Fahrt nach Hause infolge des Eindringens von Regenwasser in das Wageninnere sich nach Beendigung des zeitlich abzusehenden Unwetters weiter verzögern würde, wenn er nicht sofort handelte. Das beabsichtigte Schließen der Wagenfenster war somit nicht allein von dem rein privaten unversicherten Interesse getragen, sein Eigentum vor Schaden zu bewahren, sondern hat auch bezweckt, daß der Weg von der Arbeitsstätte baldmöglichst angetreten werden konnte. Da dies nach den gegebenen Umständen in absehbarer Zeit zu erwarten war und die Sicherung des Fahrzeugs vor den Unbilden der Witterung in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn des Heimwegs erfolgen sollte, ist nach Lage des Falles die beabsichtigte Tätigkeit, bei deren Ausführung der Kläger verunglückt ist, rechtlich wesentlich für den im allgemeinen unter Versicherungsschutz stehenden Heimweg von der Arbeitsstätte (ähnlich: Bayer. LSG, Breithaupt 1962, 884; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 2. Aufl., Teil 1, S. 21). Das LSG hat somit den inneren Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit des Klägers und daher den Versicherungsschutz nach § 550 Satz 1 RVO zu Recht bejaht. Es hat ferner zutreffend die Voraussetzungen für ein Grundurteil nach § 130 Satz 1 SGG als gegeben angesehen (SozR Nr. 4 zu § 130 SGG).

Deshalb war die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670429

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