Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungsausschluß in der Kriegsopferversorgung. Versorgung für abgelaufenen Zeitraum

 

Orientierungssatz

Die Rechtsnachfolgerin eines Versorgungsberechtigten kann nur Versorgungsansprüche geltend machen, die nicht über dessen Tod hinausreichen. Das Berufungsverfahren betrifft daher einen Versorgungsanspruch für einen bereits abgelaufenen Zeitraum, wenn zum Zeitpunkt des Todes die Berufung noch nicht eingelegt war. Begehrt die Rechtsnachfolgerin eine höhere Beschädigtenrente, muß das LSG die Berufung als unzulässig zurückweisen, sofern nicht ein Fall des § 150 SGG vorliegt. Eine Sachentscheidung des LSG anstelle der gebotenen Verwerfung der Berufung als unzulässig ist ein Verfahrensfehler, der in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten ist (vgl BSG vom 26.7.1979 8b RKg 11/78 = SozR 1500 § 150 Nr 18).

 

Normenkette

SGG § 148 Nr 2 Fassung: 1958-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 09.08.1984; Aktenzeichen L 12 V 2041/83)

SG Mannheim (Entscheidung vom 27.09.1983; Aktenzeichen S 13 V 2183/80)

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und Gewährung von Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mehr als 30 vH für den am 2. November 1923 geborenen und am 13. Dezember 1981 verstorbenen Ehemann der Klägerin K. G. P. (Versorgungsberechtigter). Die Klägerin führt den Rechtsstreit als seine Rechtsnachfolgerin.

Der damals in Kattowitz lebende Versorgungsberechtigte stellte im August 1967 erstmals einen Antrag auf Auslandsversorgung. Nach dem hierzu erstatteten medizinischen Aktengutachten vom 18. November 1971 bestanden als Schädigungsfolgen "Leichte Nierenschädigung nach Nierenentzündung; Narbe und Stecksplitter an der linken Lende" mit einer MdE von 30 vH. Durch Bescheid vom 18. Februar 1972 hatte das beklagte Land dem Versorgungsberechtigten Teilversorgung als Kannleistung in Höhe von 45,-- DM monatlich gewährt. Schädigungsfolgen wurden in diesem Bescheid nicht genannt, eine MdE nicht festgestellt.

Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik im Oktober 1978 beantragte der Versorgungsberechtigte die Gewährung von Versorgung sowie die Anerkennung seines Herzleidens als Schädigungsfolge. Nach den hierzu eingeholten ärztlichen Gutachten handelte es sich bei der Herzerkrankung um ein Nichtschädigungsleiden; eine Nierenschädigung sei nicht nachzuweisen.

Durch Bescheid vom 25. Februar 1980 wurde als Schädigungsfolge "Narbe und Stecksplitter an der linken Lende" mit einer MdE von unter 25 vH anerkannt, weitergehende Versorgungsansprüche wurden abgelehnt. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. September 1980, Urteil des Sozialgerichts -SG- Mannheim vom 27. September 1983).

Im Berufungsverfahren hat sich der Beklagte am 9. August 1984 bereiterklärt, Beschädigtenrente nach einer MdE von 30 vH für die Zeit vom 1. September 1978 bis 31. Dezember 1981 zu gewähren. Dieses Angebot hat die Klägerin angenommen. Wegen der weitergehenden Ansprüche - Anerkennung der Nierenschädigung und der Herzerkrankung als Schädigungsfolge und Gewährung von Versorgung nach einer MdE von 50 vH ab 1. Januar 1979 - hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufung durch das angefochtene Urteil vom 9. August 1984 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Beklagte sei an das der Auslandsversorgung zugrunde liegende Aktengutachten vom 18. November 1971 nicht gebunden. Jedenfalls habe laut ärztlichem Gutachten ein Nierenschaden nach der Übersiedlung des Versorgungsberechtigten in die Bundesrepublik Deutschland nicht (mehr) vorgelegen. Dann aber sei der Herzschaden nicht nierenbedingt und auch keine Schädigungsfolge. Dem stehe nicht entgegen, daß der Versorgungsberechtigte schon vor seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik einen Anspruch auf förmliche Feststellung von Schädigungsfolgen und der daraus resultierenden MdE gehabt habe; ein entsprechender Antrag sei nämlich nicht gestellt worden. Ein Herstellungsanspruch könne nicht helfen, rechtswidrig einen nicht (mehr) bestehenden oder wahrscheinlich nicht auf eine Schädigung iS des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zurückgehenden Nierenschaden anzuerkennen.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision gegen die Verletzung der §§ 7 Abs 2, 62 Abs 1 und 3, 64 Abs 1 des BVG, der allgemeinen Rechtsgrundsätze über die Bindungswirkung von Bescheiden sowie der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und trägt dazu vor, der Beklagte hätte im angefochtenen Bescheid vom 25. Februar 1980 die Schädigungsfolgen nicht abweichend vom Aktengutachten vom 18. November 1971 feststellen dürfen. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 62 Abs 1 BVG sei nicht eingetreten. Der Beklagte hätte im übrigen den Versorgungsberechtigten rechtzeitig auf die Beantragung von Inlandsversorgung (§ 64 Abs 1 BVG) hinweisen müssen. In diesem Falle hätten die Schädigungsfolgen entsprechend dem Aktengutachten ausdrücklich anerkannt werden müssen. Die Klägerin sei so zu stellen, als wenn dies geschehen wäre. Im übrigen habe das LSG bei der Beurteilung der ärztlichen Gutachten die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. Zumindest hätte das LSG den Sachverhalt durch Anhörung medizinischer Gutachter noch weiter aufklären müssen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. September 1983 und das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. August 1984 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 25. Februar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 1980 zu verurteilen, bei dem verstorbenen Ehemann "leichte Nierenschädigung nach Nierenentzündung" sowie "Bluthochdruck mit nachfolgender Herzkranzgefäßerkrankung" als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen und ihr als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes ab 1. Januar 1979 Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 vH zu gewähren, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. August 1984 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen sowie die Kostenentscheidung dem abschließenden Urteil vorzubehalten.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Streitig sind nach dem angenommenen Teilanerkenntnis des Beklagten - Gewährung einer Beschädigtenrente nach einer MdE von 30 vH vom 1. September 1978 bis 31. Dezember 1981 - noch ein Versorgungsanspruch nach einer - höheren - MdE von 50 vH sowie die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen.

Hinsichtlich des Anspruchs auf höhere Versorgungsrente für einen bereits in der Vergangenheit liegenden Zeitraum war die Berufung nach § 148 Nr 2 Alternative 2 SGG ausgeschlossen. Sie war auch vom Sozialgericht nicht zugelassen; Verfahrensmängel waren im Berufungsverfahren von der Klägerin nicht gerügt.

Ein Anspruch auf Beschädigtenversorgung bestand allenfalls bis zu dem am 13. Dezember 1981 eingetretenen Tod des Versorgungsberechtigten. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufung noch nicht eingelegt; das Urteil des SG ist vielmehr erst am 27. September 1983 ergangen, die Berufung der Klägerin hiergegen am 25. November 1983 eingelegt. Demzufolge betraf das Berufungsverfahren einen Versorgungsanspruch für einen bereits abgelaufenen Zeitraum. Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin ihren Berufungsantrag nicht ausdrücklich eingeschränkt hat. Entscheidend ist, was der Rechtsmittelkläger in Wirklichkeit als sachlich verfolgbares Prozeßziel anstrebt, was er unter den gegebenen Umständen allenfalls "wollen kann". Soweit der Berufungsantrag hierüber hinausgeht und durch die Sachlage nicht gerechtfertigt ist, kann hierdurch die Zulässigkeit der Berufung nicht herbeigeführt werden (BSG Urteil vom 5. März 1980 - 9 RV 44/78 = SozR 1500 § 148 Nr 5 S 7). Im übrigen ist das Berufungsgericht an die Fassung der Anträge durch die Beteiligten gemäß § 123 SGG nicht gebunden.

Auch im vorliegenden Fall konnte die Klägerin nach der gegebenen Sachlage als Rechtsnachfolgerin des Versorgungsberechtigten nur Ansprüche geltend machen, die nicht über dessen Tod hinausreichen konnten. Der von der Klägerin in der Berufung geltend gemachte Versorgungsanspruch war wegen seines Todes am 13. Dezember 1981 auf einen abgelaufenen Zeitraum beschränkt. Soweit also die Klägerin vor dem LSG höhere Beschädigtenrente begehrte, hätte die Berufung als unzulässig verworfen werden müssen, sofern nicht ein Fall des § 150 SGG vorgelegen hätte. Das war aber für den Rentenanspruch nicht der Fall; insbesondere hatte das SG die Berufung nicht zugelassen. Die Sachentscheidung des LSG anstelle der hier gebotenen Verwerfung der Berufung als unzulässig ist ein Verfahrensfehler, der in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten ist (vgl BSG Urteile vom 21. März 1978, 7/12/7 RAr 41/76 = SozR 1500 § 150 Nr 11 und vom 26. Juli 1979, 8b RKg 11/78 = SozR aaO Nr 18). Die Unzulässigkeit der Berufung hinsichtlich des Versorgungsanspruches führt dazu, daß das angefochtene Urteil mit einer entsprechenden Maßgabe zu versehen ist, durch die die Klägerin aber prozessual in keine ungünstigere Lage versetzt wird (BSG in SozR aaO Nr 11).

Hinsichtlich des weiter geltend gemachten Anspruchs auf Feststellung von Schädigungsfolgen (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG) ist die Berufung nach § 150 Nr 3 SGG zulässig. Dies gilt sowohl für das Vorliegen einer Gesundheitsstörung als auch für den ursächlichen Zusammenhang mit einer Schädigung iS des BVG (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl 1981, § 150 RdNr 20). Die Klägerin war auch insofern durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert (vgl BSG Urteil vom 24. November 1976 - 9 RV 2/76 = SozR 1500 § 150 Nr 5), als die dort versagte Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen in der weiteren Folge einen Anspruch auch auf Hinterbliebenenversorgung hätte begründen können (vgl §§ 38, 48 BVG). Die insoweit zulässige Berufung erweist sich jedoch in der Sache als unbegründet.

Hinsichtlich der Nierenschädigung stützt sich das LSG auf die im Verwaltungsverfahren erstatteten ärztlichen Gutachten, aus denen hervorgeht, daß sich kein Hinweis für ein Weiterbestehen mit entsprechenden Folgeschäden findet. Es stellt fest, daß bei dem Ehemann der Klägerin ein Nierenleiden nicht bestanden hat, jedenfalls nicht mehr fortbestanden hat. An diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der erkennende Senat nach § 163 SGG gebunden, es sei denn, die Klägerin hätte in bezug auf sie nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG zulässige und begründete Rügen der Verletzung von Verfahrensnormen vorgebracht.

Zwar hat die Klägerin in der Revision behauptet, das LSG habe die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG überschritten. Das wird regelmäßig nur der Fall sein können, wenn Erfahrungs- oder Denkgesetze verletzt sind. Daß sich das LSG bestimmten ärztlichen Äußerungen nicht angeschlossen hat, ist noch keine Verletzung des § 128 Abs 2 Satz 1 aaO. Im übrigen kann sich die Klägerin in bezug auf die behauptete, angeblich kriegsdienstbedingte Nierenschädigung nicht auf die Äußerungen von Frau Dr. S. und von Dr. F. berufen: Dr. F. hält in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20. Januar 1982 (Bl 47 der Akten des SG) eine solche für "nicht objektiviert". Frau Dr. S. (Bl 37 aaO) berichtet am 29. Oktober 1981 über eine Untersuchung in der kardiologischen Ambulanz des Klinikums der Stadt M. im Mai 1981, erhebt aber, worauf Dr. F. (aaO) zutreffend hinweist, keinen Nierenbefund.

Mithin hat die Klägerin nicht nur keine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG dargetan. Es kann bei dem geschilderten Sachverhalt auch nicht ersichtlich werden, wie das LSG durch § 103 Abs 1 Satz 1 SGG hätte verpflichtet sein können, nach einem nierenbedingten Herzleiden des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zu forschen.

Dem steht nicht entgegen, daß ein Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach einer MdE von 30 vH bestand und vom Beklagten im Berufungsverfahren nochmals anerkannt wurde. Diese Anerkennung beruht auf § 62 Abs 3 BVG, wonach im Hinblick auf das Alter des Versorgungsberechtigten die MdE nicht niedriger festgesetzt werden durfte. Dies gilt auch in den Fällen, in denen Versorgungsberechtigte in der Volksrepublik Polen Teilversorgung erhielten (BSG vom 5. Mai 1982 - 9a/9 RV 29/81 = SozR 3100 § 62 Nr 22). Diese gesetzliche Regelung beschränkt sich auf die MdE und gilt nicht für die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen (vgl BSG Urteile vom 12. Dezember 1974 - 10 RV 317/73 = SozR 3100 § 62 Nr 1, vom 24. März 1977 - 10 RV 45/76 = SozR aaO Nr 8 S 19, vom 17. Mai 1977 - 10 RV 53/76 = SozR aaO Nr 9 S 23). Der altersabhängige Besitzstand des Versorgungsberechtigten bezieht sich auch hier nur auf die Rente nach einer bestimmten MdE, nicht aber auf die dieser zugrunde liegenden Schädigungsfolge. Das Gesetz wollte den Rentenanspruch des Beschädigten und nicht die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen besonders schützen. Anderenfalls hätte es den Begriff "Versorgungsanspruch" anstelle von "Minderung der Erwerbsfähigkeit" wählen müssen.

Schließlich kann die Klägerin auch keinen Herstellungsanspruch geltend machen, um die Anerkennung eines Nierenleidens als Schädigungsfolge zu erreichen. Da das LSG bindend festgestellt hat, daß ein Nierenleiden nicht (mehr) vorliegt, hätte der Beklagte auch einen förmlich anerkannten Versorgungsanspruch nach § 62 BVG neu feststellen können.

Nach allem war die Revision der Klägerin mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß ihre Berufung gegen das Urteil des SG Mannheim vom 27. September 1983 hinsichtlich des Anspruches auf Beschädigtenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH als unzulässig verworfen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656725

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