Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungsausschluß. Kausalitätsrecht. Verschlimmerung von Schädigungsfolgen

 

Orientierungssatz

1. Beruft sich der Kläger auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer bereits anerkannten Schädigung iS des BVG (Verlust des rechten Beines usw) und einer weiteren Gesundheitsstörung (Verschlimmerung eines Anlageschadens), ist die in der Kriegsopferversorgung nach § 148 SGG ausgeschlossene Berufung über § 150 Nr 3 SGG zulässig (ständige Rechtsprechung, vgl ua BSG vom 21.3.1967 9 RV 794/66 = SozR Nr 47 zu § 150 SGG).

2. Der Einwand, § 150 Nr 3 SGG erfasse nur die Fälle, bei denen die Entstehung, nicht die Verschlimmerung umstritten sei, geht fehl. Ihm stehen Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen. Sie zielen, wie den gesetzgeberischen Motiven zu entnehmen ist, in die Richtung, die Berufung in allen Fällen des ursächlichen Zusammenhangs wegen der "Bedeutung für die Betroffenen" zu eröffnen. Grundlegende Bedeutung für einen Betroffenen hat aber nicht nur die Anerkennung einer vorhandenen Gesundheitsstörung, sondern in gleicher Weise die Anerkennung der Verschlimmerung eines Leidenszustands.

 

Normenkette

SGG § 148 Nr 2, § 148 Nr 3, § 150 Nr 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 28.01.1986; Aktenzeichen L 6 V 183/83)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 21.04.1983; Aktenzeichen S 35 (31) V 197/79)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Anerkennung einer weiteren Schädigungsfolge sowie Erhöhung der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach ihrem im Februar 1982 58-jährig verstorbenen Ehemann. Dieser hatte wegen Verlustes des rechten Beines bei sehr kurzem Stumpf des rechten Oberschenkelknochens, leichter Bewegungseinschränkung im rechten Hüftgelenk, Narben am Stumpf von Splitterverletzungen, Narbe am Bauch von Blutaderunterbindung sowie Senk-Spreizfußes links iS der Verschlimmerung Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechend einer MdE um 80 vH bezogen. Später war die MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins (§ 30 Abs 2 BVG) auf 90 vH angehoben worden. Wegen eines im Juli 1969 erlittenen Herzinfarktes hatte der Versorgungsberechtigte im Oktober 1969 und im November 1971 Anträge auf Neufeststellung gestellt, die mit der Begründung abgelehnt wurden, daß der Herzinfarkt nicht Schädigungsfolge gewesen und eine wesentliche Änderung, welche die Erhöhung der MdE rechtfertige, nicht eingetreten sei (Bescheide vom 1. Juni 1970 und 26. November 1971).

Nachdem der Beschädigte sich im Dezember 1975 einen Re-Infarkt zugezogen hatte, beantragte er im Januar 1977 unter Hinweis auf zweimaligen Herzinfarkt und doppelseitigen Leistenbruch eine Überprüfung seiner Versorgung. Das Versorgungsamt beschied ihn ablehnend (Bescheid vom 22. Mai 1978, Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1979). Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, als weitere Schädigungsfolge: "Verschlimmerung der Funktion (gemeint: Funktionsstörung) der linken Herzkammer bei koronarer Herzkrankheit" anzuerkennen und ab 1. Januar 1977 die schädigungsbedingte MdE auf 100 vH zu erhöhen (Urteil vom 21. April 1983). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. Januar 1986). In den Entscheidungsgründen heißt es: Die Berufung sei entgegen einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Juni 1985 - 4b/9a RV 43/84 - nach § 150 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; sie sei auch begründet, weil die Verschlimmerung der Funktionsstörung der linken Herzkammer - wie Prof. Dr. H. in einem Gutachten vom 24. Oktober 1985 überzeugend dargelegt habe - nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die Benutzung der Gehstöcke bewirkt worden sei.

Die Klägerin rügt mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision unrichtige Auslegung der Vorschriften über die Statthaftigkeit der Berufung; § 150 Nr 3 SGG sei nur für die Fälle gedacht, in denen um die Entstehung, nicht um die Verschlimmerung einer Gesundheitsstörung gestritten werde. Auch habe das LSG § 103 SGG verletzt; es hätte prüfen müssen, ob - neben der Herzkrankheit - weitere geltend gemachte Gesundheitsstörungen (Leberschaden, Leistenbrüche und Diabetes mellitus) schädigungsbedingt seien und zu einer MdE von 100 vH führten oder ob eine solche losgelöst von zusätzlichen Schädigungsfolgen angenommen werden könne.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen,

äußerst hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Die Berufung des Beklagten war entgegen der Ansicht der Klägerin statthaft. Allerdings ist eine Berufung in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung gemäß § 148 SGG nicht zulässig, soweit sie nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume (Nr 2) oder soweit sie den Grad der MdE oder die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betrifft, es sei denn, daß die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente davon abhängen (Nr 3). Im vorliegenden Fall standen im Zeitpunkt der Berufungseinlegung sowohl Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum als auch Anerkennung eines höheren MdE-Grades, nämlich von 90 auf 100 vH, als auch Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse, nämlich wegen Verschlimmerung der Funktionsstörung der linken Herzkammer bei koronarer Herzkrankheit, im Streit, ohne daß von den beiden letztgenannten Ansprüchen Schwerbeschädigteneigenschaft oder Gewährung der Grundrente abhingen. Die Berufung war mithin nach § 148 Nrn 2 und 3 SGG grundsätzlich ausgeschlossen. Gleichwohl hat das LSG ihre Statthaftigkeit im Ergebnis zu Recht aus § 150 Nr 3 SGG hergeleitet. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung ungeachtet der §§ 144 bis 149 SGG ua dann zulässig, wenn der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung iS des BVG streitig ist. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind erfüllt. Der Beschädigte und die Klägerin als seine Rechtsnachfolgerin haben, wie dargetan, ihr prozessuales Begehren darauf gestützt, daß die Verschlimmerung der Funktionsstörung der linken Herzkammer bei koronarer Herzkrankheit wesentlich auf der durch die notwendige Benutzung von Gehstöcken verursachten Überbelastung des Herzens beruhe. Sie haben sich damit auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer bereits anerkannten Schädigung iS des BVG (Verlust des rechten Beines usw) und einer weiteren Gesundheitsstörung (Verschlimmerung eines Anlageschadens) berufen. In einem solchen Fall ist die in der Kriegsopferversorgung nach § 148 SGG ausgeschlossene Berufung über § 150 Nr 3 SGG zulässig (st Rspr, vgl etwa BSGE 8, 228, 230; 9, 104, 106; BSG KOV 1965, 33; BSG SozR Nr 47 zu § 150 SGG). Hier ist der für die Vergangenheit geltend gemachte Anspruch unabdingbar davon abhängig, daß eine weitere Schädigungsfolge anerkannt wird.

Der Einwand der Klägerin, § 150 Nr 3 SGG erfasse nur die Fälle, bei denen die Entstehung, nicht die Verschlimmerung umstritten sei, geht fehl. Ihm stehen Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen. Sie zielen, wie den gesetzgeberischen Motiven zu entnehmen ist, in die Richtung, die Berufung in allen Fällen des ursächlichen Zusammenhanges wegen der "Bedeutung für die Betroffenen" (vor allem in der Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung) zu eröffnen (BT-Drucks 4357). Grundlegende Bedeutung für einen Betroffenen hat aber nicht nur die Anerkennung einer vorhandenen Gesundheitsstörung, sondern in gleicher Weise die Anerkennung der Verschlimmerung eines Leidenszustandes (BSG KOV 1965, 33). So kann eine Verschlimmerung - wie dieser Fall zeigt - Grundlage für einen höheren Rentenanspruch sein - sonst auch für eine Heilbehandlung (§ 10 Abs 1 Satz 2 BVG)-. Darüber hinaus fällt ihr für die Frage Gewicht zu, ob der Geschädigte am anerkannten Rentenleiden gestorben ist (§ 38 Abs 1 Satz 2 BVG).

Der Senat sieht sich an seiner Auffassung zur Statthaftigkeit der Berufung nicht durch das Urteil des 4b Senats vom 26. Juni 1985 - 4b/9a RV 43/84 - gehindert. Jener Entscheidung lag ein anderer Sachverhalt zugrunde. Der genannte Senat wollte auch - so seine Berufsrichter - nicht von der ständigen Rechtsprechung des BSG abweichen; andernfalls hätte er sich mit ihr auseinandergesetzt. Daneben kommt seinen Ausführungen zum Berufungsausschluß eines Anspruches auf Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum lediglich untergeordnete Bedeutung zu; tragend waren allein seine Erwägungen zur Zulässigkeit der Berufung hinsichtlich des Anspruches auf Feststellung der Schädigungsfolgen (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG).

Schließlich beruht das Berufungsurteil, anders als die Klägerin meint, nicht auf einer Verletzung der Vorschrift des § 103 SGG. Insbesondere brauchte das LSG nicht zu untersuchen, ob - neben der Herzkrankheit - andere Gesundheitsstörungen (Leberschaden, Leistenbrüche und Diabetes mellitus) schädigungsbedingt seien und einen MdE-Grad von 100 vH bewirkten oder ob eine solche MdE ohne Rücksicht auf weitere Schädigungsfolgen anzunehmen sei. Der Beschädigte hatte schon im Verwaltungsverfahren seinen Antrag auf Erhöhung der MdE allein mit Herzinfarkt und doppelseitigem Leistenbruch begründet. Später im Klageverfahren haben er und die Klägerin sich nur noch auf Verschlimmerung der Funktionsstörung der linken Herzkammer bei koronarer Herzkrankheit berufen und durch einen rechtskundigen Verbandsvertreter einen entsprechenden Antrag stellen lassen (§ 123 SGG). Bei dieser Sachlage hatte das LSG keine Veranlassung, weiteren Fragen zum Ursachenzusammenhang und zur Höhe der MdE nachzugehen.

Die Kostenentscheidung leitet sich aus § 193 SGG ab.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657280

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