Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlung des Vomhundertsatzes durch Vergleichsberechnung nach § 32 Abs 7 S 2 AVG

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Berechnung des Vomhundertsatzes sind mit Beitragszeit und Ausfallzeit doppelt belegte Kalendermonate mit dem Wert und der Qualifikation der in diesem Monat höherwertigen Zeit in die Bewertung der jeweils nachfolgenden Versicherungszeiten einzustellen.

 

Normenkette

AVG § 32 Abs 7 S 2; RVO § 1255 Abs 7 S 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.07.1990; Aktenzeichen L 10 An 1899/89)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 26.06.1989; Aktenzeichen S 4 An 1773/88)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe einer Witwenrente.

Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährte der Klägerin mit dem streitigen Bescheid vom 22. Dezember 1987 Witwenrente seit dem 6. September 1987 aus der Versicherung ihres am 5. Dezember 1930 geborenen und am 6. September 1987 verstorbenen Ehemannes G. K. (Versicherter). Dieser hatte 513 Monate an anrechnungsfähigen Versicherungszeiten (42,75 Versicherungsjahre iS von § 35 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG) zurückgelegt. Im März 1986 hatte er einen Pflichtbeitrag aus Arbeitsentgelt und zusätzlich für die Zeit vom 13. März 1986 bis zum 15. März 1986, in der er arbeitsunfähig erkrankt war, einen Beitrag entrichtet. Vom 13. August 1986 bis zum 17. September 1986 nahm er an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil. Für diese Zeit wurde ein Beitrag, ferner wurden für die Zeiten vom 1. August 1986 bis zum 12. August 1986 und vom 18. September 1986 bis zum 30. September 1986 Pflichtbeiträge aus Arbeitsentgelt entrichtet. Die für die Monate März, August und September 1986 aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung entrichteten Pflichtbeiträge stehen - jeweils einzeln betrachtet - zum Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten iS von § 32 Abs 3 Satz 1 Buchst b und d AVG in einem "Werteinheit" genannten Verhältnis von: Monat März 15, 16; Monat August 6,5; Monat September 7,04. Der Wert der in den vorgenannten drei Monaten gleichfalls zurückgelegten Ausfallzeiten, der sich aus der Bewertung der Versicherungs- und Ausfallzeiten ergibt, die bis Ende 1985 10,88 Werteinheiten. Die BfA berechnete die streitige Höhe der Witwenrente, indem sie im Blick auf die beim Versicherten nur im Jahr 1986 gegebene Doppelbelegung von Monaten mit Beitrags- und Ausfallzeiten die persönliche Bemessungsgrundlage (iS von § 32 Abs 1 AVG) einmal unter Berücksichtigung ausschließlich der Beitragszeiten und zum Vergleich hierzu ausschließlich unter Berücksichtigung der drei Monate als Ausfallzeiten bestimmte. Die Vergleichsberechnung ergab wegen der hohen Anzahl an anrechnungsfähigen Versicherungsjahren (513 Kalendermonate) keinen unterschiedlichen Zahlbetrag (bis zu zwei Stellen hinter dem Komma).

Der - als Klage an das Sozialgericht (SG) Reutlingen abgegebene - Widerspruch der Klägerin, mit dem sie die Rechtswidrigkeit der Berechnungsmethode der BfA rügte und eine Anrechnung der jeweils monatlich höherwertigen Zeit begehrte, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 26. Juni 1989; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juli 1990). Das Berufungsgericht ist folgender Auffassung: Mit der ab 1. Juli 1985 geltenden Neufassung von § 32 Abs 7 Satz 2 AVG sei das sog Günstigkeitsprinzip eingeführt worden (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht - BVerfG - in: BVerfGE 63, 119 = SozR 2200 § 1255 Nr 17). Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs hierzu (BT-Drucks 10/2705 S 2, 11, 15) treffe die Berechnungsmethode zu. Eine monatsweise Gegenüberstellung habe demgemäß nicht zu erfolgen. Die von der Klägerin begehrte Optimierung des Rentenanspruchs gehe über das gesetzliche Günstigkeitsprinzip hinaus.

Mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 32 Abs 7 Satz 2 AVG. Höherwertige Beitragszeiten dürften ihr nicht genommen werden. Die Berechnungsmethode der Beklagten gewährleiste dies nicht.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juli

1990 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juni 1989 aufzuheben

und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22. Dezember 1987

zu verurteilen, bei der Berechnung der Hinterbliebenenrente für die

Monate August und September 1986 die jeweils höheren Werteinheiten als

Ausfallzeit zugrunde zu legen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, nach ihrer Berechnungsmethode komme es für den Rentenzahlbetrag nicht darauf an, ob sie die streitige Zeit als Beitrags- oder als Ausfallzeit anrechne. Bei einem Einzelvergleich, wie von der Klägerin begehrt, wären aber 8,22 Werteinheiten zusätzlich zu berücksichtigen, die heute einer monatlichen Rentenanwartschaft von rund 3,25 DM entsprächen. § 32 Abs 7 Satz 2 AVG, der ausdrücklich auf § 32 Abs 1 und Abs 3 AVG verweise, stelle eindeutig auf die Beiträge während eines Kalenderjahres ab. Schon dies schließe eine monatliche Gegenüberstellung von Werteinheiten aus, die auch sonst in § 32 AVG für die Ermittlung der persönlichen Bemessungsgrundlage nicht vorgesehen sei. Ein derartiger für die Systematik der Rentenberechnung fremder Monatsabgleich führe zu unüberwindbaren Schwierigkeiten, wenn in mehreren Kalenderjahren Doppelbelegungszeiten vorlägen. Dann müßte nämlich zur Ermittlung des jeweiligen Monatsdurchschnitts nach § 32a Abs 3 Satz 1 AVG der Wert der Ausfallzeit neu bestimmt werden. In einem solchen Fall sei aber nicht mehr ohne weiteres erkennbar, ob einmal die Beitragszeit, ein anderes Mal aber die Ausfallzeit zum höheren Rentenzahlbetrag führen würde. Es könne also nur der jeweils kalenderjährliche Gesamtwert verglichen werden, wie es auch in der Gesetzesbegründung ausdrücklich vorgesehen sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hat die Beklagte die Höhe der Witwenrente der Klägerin in dem streitigen Bescheid vom 22. Dezember 1987 nicht zutreffend festgestellt. Sie hätte nämlich bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage des Versicherten (§ 32 Abs 1 AVG) bei der Bildung des Durchschnitts für die gesamten zurückgelegten Zeiten für jeden iS von § 32 Abs 7 Satz 2 AVG doppelbelegten Monat den höheren Wert feststellen (§ 32 Abs 3 Satz 2 und 3 AVG) und bei der Berechnung des "Vomhundertsatzes" zugrunde legen müssen.

Rechtsgrundlage hierfür ist § 32 Abs 7 Satz 2 AVG (in der hier anzuwendenden Fassung durch Art 3 Nr 2b des Rentenanpassungsgesetzes - RAG - 1985 vom 5. Juni 1985, BGBl 1 S 913, in Kraft getreten am 1. Juli 1985 - Art 11 RAG 1985). §§ 70 ff Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind auf den am 6. September 1987 entstandenen Anspruch der Klägerin noch nicht anzuwenden (§ 300 Abs 2 SGB VI).

Gemäß § 32 Abs 7 Satz 2 AVG bleiben bei der Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage nach den Abs 1 und 3 unberücksichtigt Beiträge, die entrichtet worden sind a) ua während einer anzurechnenden Ausfallzeit oder b) für Kalendermonate, die auch mit einer anzurechnenden Ausfallzeit belegt sind, für die der Versicherte ganz oder teilweise Beiträge nach § 112b AVG getragen hat, wenn dies eine höhere Rente ergibt. Nach dem Gesamtzusammenhang der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die für den Senat verbindlich sind (§§ 163, 164 Abs 2 Satz 3 SGG), hat der Versicherte sowohl im März 1986 als auch in den Monaten August und September 1986 während der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bzw der Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme Rentenversicherungsbeiträge nach § 112b Abs 1 AVG entrichtet. Im Blick auf die Monate August und September 1986 handelt es sich um sog Randmonate, die nach Abs 7 Satz 2 Buchst b aaO zu beurteilen sind (dazu zuletzt Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 12. Februar 1992 - 8 RKn 16/90 im Anschluß an BSG SozR 2200 § 1255 Nr 25). Im Blick auf den gleichfalls doppelbelegten Monat März reichen die Feststellungen zwar nicht aus zu beurteilen, ob die Pflichtbeiträge aus versicherungspflichtiger Beschäftigung, welche die Beklagte für die Zeit vom 1. März 1986 bis zum 31. März 1986 verbucht hat, auch für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 13. März 1986 bis zum 15. März 1986, also "während einer anzurechnenden Ausfallzeit" iS von Abs 7 Satz 2 Buchst a AVG entrichtet worden sind. Das kann jedoch für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ohne daß es einer grundsätzlichen Klärung der Anwendungsbereiche von Abs 7 Satz 2 Buchst a und Buchst b aaO bedürfte (vgl zu diesem Problembereich stellvertretend von Einem SGb 1986, 277 mwN); da § 32 Abs 7 Satz 2 Buchst b AVG - über die in Buchst a aaO erfaßten "Während-Fälle" hinaus - die Vergleichsberechnung gerade auch dann verlangt, wenn in einem Kalendermonat für aufeinander folgende Zeiten einerseits Beiträge aus versicherungspflichtiger Beschäftigung entrichtet und andererseits (anrechenbare, nicht pauschale) Ausfallzeiten zurückgelegt worden sind (vgl BSG Urteil vom 12. Februar 1992 - 8 RKn 16/90; Urteil vom 12. September 1990 - 5 RJ 44/89 = SozSich 1991, 286), für die - wie im vorliegenden Fall - Beiträge nach § 112b AVG entrichtet worden sind, und andererseits Pflichtbeiträge das Vorhandensein einer Ausfallzeit für denselben Zeitraum nicht schlechthin ausschließen (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 107), liegen für den Monat März 1986 in jedem Fall die Voraussetzungen dafür vor, daß "bei der Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage nach den Abs 1 und 3 Beiträge unberücksichtigt bleiben, wenn dies eine höhere Rente ergibt."

Die Witwenrente der Klägerin ist gemäß § 45 Abs 2 Satz 1 Nr 1, Abs 5 Regelung 1 AVG für die ersten drei Monate (Sterbevierteljahr) in Höhe der vollen, danach in Höhe von sechs Zehnteln der nach § 30 Abs 2 AVG berechneten Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten zu zahlen. Der Jahresbetrag der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die dem Versicherten zugestanden hätte, ist gemäß § 30 AVG für jedes anrechnungsfähige Versicherungsjahr (§ 35 AVG) 1,5 vH der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage (§ 32 AVG), abgesehen von Höherversicherungsbeiträgen und vom Kinderzuschuß (§§ 38, 39 AVG). Die - hier allein streitige - für den Versicherten maßgebende Rentenbemessungsgrundlage ist nach § 32 Abs 1 AVG der Vomhundertsatz der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage, der dem Verhältnis entspricht, in dem während der zurückgelegten Beitragszeiten der Bruttoarbeitsentgelt des Versicherten zu dem durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherungen der Angestellten und der Arbeiter ohne Lehrlinge und Anlernlinge gestanden hat.

Der iS von § 32 Abs 1 Satz 1 maßgebende "Vomhundertsatz" ist nach § 32 Abs 3 Satz 2 und 3 AVG der Durchschnitt für die gesamten zurückgelegten Zeiten (Beitragszeiten, Ersatzzeiten, Ausfallzeiten, Zurechnungszeit), der sich errechnet, wenn die zuvor nach § 32 Abs 3 Buchst a bis d und § 32a AVG festgestellten Werte zusammengerechnet und durch die anrechnungsfähigen Versicherungsjahre geteilt werden. Die Feststellung der Werte für Beitragszeiten ist im übrigen in § 32, die der sonstigen anrechnungsfähigen Zeiten in § 32a geregelt. Im Blick auf den Wert der Beitragszeiten stellt - worauf die Beklagte insoweit zutreffend hinweist - § 32 Abs 3 Buchst a bis d AVG grundsätzlich auf das Jahresarbeitsentgelt und dessen Verhältnis zum Durchschnittsentgelt aller Versicherten ab. Jedoch zeigt § 30 Abs 4 bis Abs 6a AVG, daß - entgegen der Ansicht der BfA - auch hierbei - als Zwischenschritt - monatliche Beitragswerte zu ermitteln und durch monatlichen Vergleich in den Verhältniswert des jeweiligen Jahres einzurechnen sind. Für die Ermittlung der Werte von Ausfallzeiten, die nach § 112b AVG anrechenbar sind, kommt es gemäß § 32a Abs 3 Satz 1 AVG grundsätzlich darauf an, wie die Versicherungs- und Ausfallzeiten zu bewerten sind, die bis zum Ende des Kalenderjahres vor der zu bewertenden Zeit (hier: bis Ende 1985) zurückgelegt worden sind.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die von der Beklagten praktizierte Berechnungsgrundlage in § 32 Abs 7 Satz 2 AVG keine Stütze findet:

Keiner Darlegung bedarf, daß die Vergleichsberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip nur durchzuführen ist, wenn aufgrund einer Doppelbelegung zumindest eines Kalendermonats - der kleinsten Zeiteinheit der Rentenberechnung - fraglich geworden ist, ob der maßgebende "Vomhundertsatz" (§ 32 Abs 3 Satz 3 iVm § 32 Abs 1 AVG) bei Anrechnung einer Beitragszeit höher ist als bei Anrechnung der Ausfallzeit. Da grundsätzlich Pflichtbeitragszeiten einen zeitlich mit der Beitragsleistung zusammenfallenden Ausfallzeittatbestand verdrängen (BVerfGE 63, 119, 122; BVerfG, Beschluß des Ausschusses nach § 93a Abs 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vom 2. Mai 1984 - 1 BvR 963/81), sofern nicht ausdrücklich etwas anderes gesetzlich angeordnet ist, bedarf § 32 Abs 7 Satz 2 AVG - als Ausnahme von der Regel - insoweit einer einschränkenden Auslegung, die schon den Anwendungsbereich der Vorschrift eng auf das nach ihrem Zweck Erforderliche begrenzt. Nach dem bis zum 1. Juli 1985 geltenden Recht blieben Beiträge, die ua während einer anzurechnenden Ausfallzeit entrichtet worden waren, bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes unberücksichtigt. Rentenberechtigte sollten vor wirtschaftlichen Nachteilen bewahrt werden, die ihnen typischerweise aus dem Vorrang der Beitragszeiten drohten, wenn während einer Ausfallzeit und hierdurch regelmäßig bedingt geringere Beiträge entrichtet worden waren. Hierzu hat das BVerfG (aaO) entschieden, daß dieser Schutzzweck es nicht rechtfertigt, "bis zum 31. Dezember 1956 entrichtete Pflichtbeiträge, die während einer Ausfallzeit nach § 36 Abs 1 Nr 6 AVG (= Ruhegeldbezug vor Vollendung des 55. Lebensjahres mit Wegfall vor dem 1. Januar 1957) entrichtet worden sind, bei der Berechnung der Rente auch dann nicht berücksichtigt werden, wenn das für den Versicherten günstiger wäre als die Anrechnung der Ausfallzeit" (so die Entscheidungsformel). In der Begründung seiner Entscheidung (BVerfGE 63, 119, 126 f) hat es - über den entschiedenen Fall hinausgehend - den entscheidenden Verfassungsverstoß darin gesehen, daß - ohne einen dies hinreichend rechtfertigenden Grund - Beitragszeiten auch dann von Ausfallzeiten verdrängt würden, wenn dies den Versicherten ungünstiger stelle. Die am 1. Juli 1985 in Kraft getretene Neufassung des Gesetzes bezweckt, durch die Anordnung einer Vergleichsberechnung von Kalendermonaten mit Beitrags- und Ausfallzeiten, den Verlust von (grundsätzlich vorrangigen und) gegenüber zeitgleichen Ausfallzeiten höherwertigen Beitragszeiten zu verhindern. Hingegen bestand nach der og Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein Grund, die bis zum 30. Juni 1985 gültige Regelung abzuändern, daß bei der Berechnung des "Vomhundertsatzes" Ausfallzeiten im selben Monat zurückgelegte Beitragszeiten von geringerem Wert "verdrängen".

§ 32 Abs 7 Satz 2 AVG enthält - entgegen dem Vorbringen der Beklagten - keine eigenständige Regelung darüber, wie rechnerisch festzustellen ist, ob die Beitrags- oder die Ausfallzeit "günstiger" ist, dh zu einem höheren "Vomhundertsatz" und damit zu einer höheren Rente führt. Auch das BVerfG (aaO) hat hierzu nicht ausdrücklich Stellung genommen. Die im Gesetzestext enthaltene Bezugnahme ("bei der Ermittlung ... nach den Abs 1 und 3") auf die allgemeinen Regeln der Ermittlung des maßgebenden "Vomhundertsatzes" sprechen - worauf noch einzugehen ist - gegen die Auffassung der Beklagten.

Zwar ist schon in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 32 Abs 7 Satz 2 AVG (BT-Drucks 10/2705, S 11, 15) die jetzt von der Beklagten praktizierte Berechnungsweise - zumindest auch - ins Auge gefaßt worden. Dort heißt es, die Vergleichsberechnung erfolge in der Weise, daß alle Kalendermonate, die sowohl Beitragszeiten als auch Ausfallzeiten oder Zurechnungszeiten sind, bei der Ermittlung "des Jahresrentenbetrages" zunächst als Beitragszeiten und dann als Ausfall- oder Zurechnungszeiten berücksichtigt würden. Selbst wenn die Gesetzesinitiative der Bundesregierung damit den Vorstellungen der Beklagten, die diese gegenüber dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung geltend gemacht hat, Rechnung tragen wollte, reicht dies nicht aus, die Praxis der Beklagten mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen. Abgesehen davon, daß es für den normativen Inhalt eines Gesetzestextes auf den sog objektivierten Willen des Gesetzes ankommt, also darauf, welchen Sinn der Gesetzestext nach seinem sprachlichen Gehalt und nach dem Sinnzusammenhang, in dem er steht, ergibt, deshalb der Begründung der Bundesregierung für ihre Gesetzesinitiative also nur Hilfsfunktion im Rahmen der sog historischen Auslegung zukommt, ist die og Begründung der Bundesregierung mit dem geschriebenen Gesetzestext nicht vereinbar: Nach dem Wortlaut von § 32 Abs 7 Satz 2 AVG kommt eine Vergleichsberechnung nur im Blick auf die Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden "Rentenbemessungsgrundlage nach den Abs 1 und 3 aaO" in Betracht, nicht aber darüberhinaus für die des "Jahresrentenbetrages" iS von § 30 AVG, insbesondere nicht für die Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre. Eine derart mit dem Gesetzestext im Widerspruch stehende Begründung hat keine ausschlaggebende Bedeutung für die Gesetzesauslegung. Hinzu kommt, daß der Text der Begründung der Bundesregierung auch noch mehrdeutig ist. Wenn es dort heißt, daß "alle" Kalendermonate, die sowohl Beitrags- als auch Ausfallzeiten sind, zunächst als Beitrags- und dann als Ausfall- oder Zurechnungszeiten berücksichtigt werden, ist damit noch nicht geklärt, ob die Gegenüberstellung "jeweils aller" oder die "aller insgesamt" gemeint ist. Insoweit kann auch das von der Klägerin begehrte Berechnungsverfahren durch die Regierungsbegründung gedeckt sein.

Hingegen entspricht die von der Klägerin gewollte Ermittlung des maßgebenden "Vomhundertsatzes" dem in § 32 Abs 3 Satz 2 AVG vorgesehenen Verfahren. Der Durchschnittswert für alle zurückgelegten Zeiten wird danach - wie im Ansatz zutreffend auch im streitigen Bescheid vom 22. Dezember 1987 (Anlage 2 S 03) - dadurch ermittelt, daß die Summe aller Werteinheiten durch die Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre (ausgedrückt in Kalendermonaten) geteilt und (für den Jahresbetrag) mit zwölf vervielfacht wird. In die Summe der Werteinheiten aus allen Versicherungszeiten gehen - wie auch im streitigen Bescheid - die von der Beklagten je Kalendermonat ermittelten Werteinheiten ein.

Keiner Darlegung bedarf, daß sich die Summe der Werteinheiten, damit der maßgebende "Vomhundertsatz" und folglich auch die Rente iS von § 32 Abs 7 Satz 2 AVG erhöht, wenn bei Berechnung der Summe der Werteinheiten aus allen anrechnungsfähigen Kalendermonaten ein doppelt, dh mit Beitrags- und Ausfallzeit belegter Monat mit der höheren Werteinheit hiervon als Summand angerechnet wird. Schon hieraus ist zu ersehen, daß die - eher technischen - Bedenken der Beklagten, die monatliche Gegenüberstellung der Werteinheiten von Beitragszeit/Ausfallzeit lasse die Beurteilung der Günstigkeit der Werte nicht zu, nicht zutreffen. Vielmehr kann die Beklagte - ohne daß hierfür Schwierigkeiten ersichtlich oder von ihr dargetan sind - bei der Ermittlung der Werteinheit sowohl den monatlichen Wert des Beitrags als auch den Wert der Ausfallzeit ermitteln, ohne daß beide Werte von einander abhängig sind. Da sich der Wert der Beitragszeit aus dem Verhältnis der Beitragshöhe zum Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten iS von § 32 Abs 1, Abs 3 Buchst a bis c AVG im Jahr der Beitragsentrichtung (ausnahmsweise des Vorjahres - vgl § 32 Abs 1 Satz 2 und Abs 3 Satz 1 Buchst d AVG) ergibt und hierfür Ausfallzeiten keine Bedeutung haben, während sich der Wert der Ausfallzeiten grundsätzlich aus der Bewertung der bis zum Ende des Kalenderjahres vor der zu bewertenden Zeit zurückgelegten Versicherungs- und Ausfallzeiten ergibt (§ 32 Abs 3 Satz 1), ist bei der Ermittlung des Wertes der in die Durchschnittsberechnung nach § 32 Abs 3 Satz 2 AVG einzubeziehenden Summanden ohne Schwierigkeiten feststellbar, welchen rentenerhöhenden Wert ein doppelbelegter Kalendermonat als Beitragszeit oder als Ausfallzeit hat.

Dies gilt - entgegen dem Vorbringen der Beklagten - auch dann, wenn doppelbelegte Kalendermonate in mehreren Jahren vorliegen. Wenn der gesamte Versicherungsverlauf bis zum ersten doppelt belegten Monat nach den allgemeinen Regeln durchgehend bewertet worden ist, liegt dessen Wert einerseits als Beitrags-, andererseits als Ausfallzeitmonat fest. Nach dem Günstigkeitsprinzip des § 32 Abs 7 Satz 2 AVG geht dieser Monat mit der höherwertigen Qualifikation (hier: März 1986 als Beitragsmonat mit dem Wert 15,16) in die weitere Bewertung der folgenden Monate und Jahre ein. Hierin erschöpft sich die Vergleichsberechnung. Sie führt insbesondere - entgegen den Befürchtungen der Beklagten - nicht dazu, daß nachträglich in die Feststellung der Werte der anzurechnenden Versicherungszeiten Unklarheiten hineingetragen werden. Denn die einmal festgestellten Werte der davor liegenden Zeiten wird durch die nur den jeweiligen Monat betreffende Verdrängung des ungünstigeren Wertes nicht verändert. Es bleibt für den gesamten nachfolgenden Versicherungsverlauf im übrigen jeweils bis zum nächsten doppelt belegten Monat bei den allgemeinen Regeln. Damit tritt auch kein - von der Beklagten besorgter - gesetzwidriger Optimierungseffekt ein: Da die Berechnung der Werte für alle nicht doppelt belegten Kalendermonate ausschließlich nach den allgemeinen Regeln erfolgt, werden sie von der Vergleichsberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip nur beeinflußt, wenn sie zeitlich nach einem doppelt belegten Monat liegen. Insoweit hat sich, wenn die Ausfallzeit höherwertig ist, gegenüber dem Rechtszustand vor dem 1. Juli 1985 nichts geändert. Denn auch damals ging der doppelt belegte Monat mit der (typischerweise höherwertigen) Ausfallzeit in die weitere Berechnung ein. Das neue Recht sieht - aus verfassungsrechtlichen Gründen - lediglich Gleiches für eine höherwertige Beitragszeit vor.

Mit der verfassungsrechtlich gebotenen (und mit der Neufassung von § 32 Abs 7 Satz 2 AVG allein bezweckten) Sicherung höherwertiger Beitragszeiten läßt sich die Berechnungsweise der Beklagten hingegen nicht vereinbaren. Durch die Zusammenrechnung der Werteinheiten aller jeweils in Betracht kommenden Beitragsmonate zu einem Gesamtwert werden Beitragsmonate mit höheren Werteinheiten mit Beitragsmonaten mit niedrigeren Werteinheiten kompensiert. In die Vergleichsberechnung wird nur ein Durchschnittswert für den Beitragsmonat eingestellt. Dieselbe Pauschalierung und damit Einschränkung des Günstigkeitsprinzips erfolgt auf der Seite der Ausfallzeiten. Dieses Verfahren gewährleistet nicht, daß für jeden Monat der nach den allgemeinen Regeln höherwertige Beitrag nicht durch eine im Monat der Beitragsentrichtung zurückgelegte geringerwertige Ausfallzeit verdrängt wird. Es ist schon deshalb mit den Grundsätzen der Entscheidung des BVerfG (aaO), denen die Neufassung von § 32 Abs 7 Satz 2 AVG Rechnung tragen wollte, nicht vereinbar. Daß das BVerfG, obwohl es im übrigen zur Rentenberechnung nichts gesagt hat, von einer monatlichen Gegenüberstellung des Wertes der Beitragszeit einerseits, der Ausfallzeit andererseits ausgegangen sein dürfte, wird schon dadurch nahegelegt, daß der von ihm entschiedene Fall, in dem Zeiten vom 1. Juli 1945 bis zum 31. Juli 1948 mit Pflichtbeiträgen während einer Ausfallzeit belegt waren, für die Jahre 1945 und 1948 eine monatliche Gegenüberstellung erforderte, falls die gerügte Grundrechtsverletzung abgestellt werden sollte.

Nach alledem waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Auf die Revision der Klägerin mußte die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 22. Dezember 1987 verurteilt werden, den für den Versicherten maßgebenden "Vomhundertsatz" aus einer Summe von Werteinheiten zu berechnen, in der die im Jahr 1986 doppelt belegten Monate jeweils mit dem höheren Wert (einmal 15,16; zweimal 10,88) eingerechnet sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652277

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