Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständige Krankenkasse für Beschäftigte eines Straßenbauamtes

 

Leitsatz (amtlich)

Straßenmeistereien sind keine Baustellen, die iS des RAMErl 1942-02-18 (AN 1942, 148) eine örtliche Zuständigkeit der AOK des Sitzes des Straßenbauamts begründen können.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 234 Abs 1 RVO sind Versicherungspflichtige, die keiner der dort aufgeführten besonderen Krankenkasse angehören, Mitglieder der allgemeinen Ortskrankenkasse ihres Beschäftigungsortes.

2. Der Begriff des Beschäftigungsortes ist seit dem Inkrafttreten des SGB 4 (1.7.1977) in dessen §§ 9 und 10 gesetzlich normiert. Nach dem Grundsatz des § 9 SGB 4 ist Beschäftigungsort der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird ("faktischer Beschäftigungsort").

3. Für Beschäftigte von Straßenbauämtern ist Beschäftigungsort jeweils der Ort, an dem eine Straßenmeisterei unterhalten wird.

4. Der Erlaß des früheren Reichsarbeitsministers vom 18.2.1942 - 2a2098/42 - AN 1942 - II, 148 - "Das Beitragsrecht"/Meuer SGB IV § 9 S 3/3 ist auf die Straßenbauämter (Straßenmeistereien) nicht anwendbar.

 

Orientierungssatz

Beschäftigungsort iS des § 9 SGB 4:

"Ort" iS des § 9 Abs 1 SGB 4 ist nicht als begrenzte geographische Örtlichkeit, sondern als Ortschaft bzw Gemeinde im politischen Sinne zu verstehen.

 

Normenkette

RVO § 234 Abs. 1 Fassung: 1972-08-10; SGB 4 § 9 Fassung: 1976-12-23; RAMErl 1942-02-18; SGB 4 § 9 Abs. 1; SGB 4 § 10

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 07.06.1982; Aktenzeichen L 5 Kr 43/79)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 21.08.1979; Aktenzeichen S 5 Kr 66/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin oder die Beklagte für die Krankenversicherung der bei dem Beigeladenen zu 1) beschäftigten Beigeladenen zu 2) bis 4) örtlich zuständig ist.

Bei der Neuorganisation der unteren Straßenbaubehörden des Landes S.-H. wurde das vormals für den Kreis D. zuständige Straßenbauamt H. mit Ablauf des Jahres 1977 aufgelöst. Die beigeladenen Arbeitnehmer zu 2) bis 4), die bis zu diesem Zeitpunkt dem Straßenbauamt H. unterstellt waren, wurden neben 75 weiteren Arbeitnehmern dem Beigeladenen zu 1), dem Straßenbauamt I., zugewiesen, blieben aber wie bisher im Kreis D. bei den dort belegenen vier Straßenmeistereien beschäftigt.

Der Beigeladene zu 1) beantragte daraufhin mit Schreiben vom 9. November 1977 unter Bezugnahme auf den Erlaß des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 18. Februar 1942 (AN 1942, S 148), die übernommenen Lohnempfänger ab 1. Januar 1978 bei der beklagten AOK I. zu versichern. Dem gab die Beklagte mit Bescheid vom 23. November 1977 statt.

Auf die vor dem Sozialgericht (SG) Itzehoe erhobene Klage, mit der die Klägerin ihre Zuständigkeit für alle im Kreis D.  beschäftigten Arbeitnehmer des Beigeladenen zu 1) geltend machte, trennte das SG den Rechtsstreit insoweit zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung ab, als er die Beigeladenen zu 1) bis 4) betrifft. Mit Urteil vom 21. August 1979 hat es - in diesem abgetrennten Verfahren - der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten und des Beigeladenen zu 1) hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 7. Juni 1982 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Beigeladene zu 1) sei als "Baubetrieb mit zentraler Lohnabrechnung" iS des noch gültigen Erlasses des RAM vom 18. Februar 1942 anzusehen. Schon die Bezeichnung Straßenbauamt weise darauf hin, daß dieses Amt auch mit Straßenbauarbeiten beschäftigt sei, wobei ohne Bedeutung sei, ob der Betrieb privatrechtlich oder als Behörde organisiert sei. Die Straßenbauämter erbrächten privatrechtlichen Betrieben vergleichbare Bauleistungen, wobei ihnen als unselbständige Außenstellen Straßenmeistereien zur Durchführung der Instandsetzungs- und Pflegearbeiten sowie sonstiger Maßnahmen zur Regelung und Aufrechterhaltung des Verkehrs einschließlich des Wetterdienstes zugeordnet seien. Gerade deren Beschäftigte seien wesentlich mit Bauarbeiten befaßt. Daß die Straßenbauämter bei Straßenneu- und Umbauarbeiten Privatunternehmen heranzögen, sei unerheblich. Die getroffene Entscheidung werde auch durch die Bescheide des RAM vom 8. Oktober 1942 und vom 6. Januar 1943 bestätigt, wonach der Erlaß vom 18. Februar 1942 auch auf Straßen- und Wasserbauämter anzuwenden sei. Diese Bescheide seien zwar nicht verbindlich, aber als authentische Auslegung des Erlaßgebers zu betrachten. Danach müsse der Erlaß mindestens im Wege der Analogie auf die Straßenbauämter angewandt werden.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Erlasses des RAM vom 18. Februar 1942. Der Beigeladene zu 1) könne nicht als "Baubetrieb" im Sinne dieses Erlasses angesehen werden, weil er hinsichtlich der Auftragsvergaben an private Bauunternehmer nicht wie ein Baubetrieb, sondern wie ein Bauherr tätig werde; hinsichtlich der Aufstellung von Entwürfen, Bauüberwachung und der Abrechnung dieser Bauvorhaben entspreche er eher einem Architektenbüro als einem Baubetrieb. Nur bei der Unterhaltung und Instandsetzung von Straßen würden Bauleistungen erbracht. Gerade die Beschäftigten der Straßenmeistereien würden aber nicht wesentlich mit derartigen Bauleistungen befaßt, da ihnen vor allem Pflegearbeiten, Maßnahmen zur Regelung und Aufrechterhaltung des Verkehrs sowie der Winterdienst oblägen. Die Straßenmeistereien könnten auch nicht als "Baustellen" angesehen werden, sondern seien feste Betriebsstätten, die sämtlich in ihrem - der Klägerin - Kassenbezirk lägen. Deshalb habe es bisher bei den dort Beschäftigten keine Kassenwechsel oder Ummeldungen gegeben, so daß der Erlaß des RAM schon seinem Sinn nach nicht angewandt werden könne. Auch sonst würden in der Sozialversicherung Arbeitnehmer der Straßenmeistereien nicht wie Bauarbeiter und die Straßenbauämter nicht wie Baubetriebe behandelt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. Juni 1982 aufzuheben und festzustellen, daß für die Durchführung der Versicherung nach § 165 Abs 1 Nr 1 RVO der Beigeladenen zu 2) bis 4) die Klägerin zuständig ist.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im wesentlichen auf die Ausführungen des LSG.

Der Beigeladene zu 1) hat sich ebenfalls den Ausführungen des LSG angeschlossen; die Beigeladenen zu 2) bis 4) haben sich im Verfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des LSG kann keinen Bestand haben. Das SG hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin für die Versicherung der Beigeladenen zu 2) bis 4) örtlich zuständig ist.

Die Zulässigkeit einer auf Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers gerichteten Klage ergibt sich aus § 55 Abs 1 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Danach kann mit der Klage auch die Feststellung begehrt werden, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist. Diese Vorschrift gilt auch für Streitigkeiten von Versicherungsträgern untereinander (BSGE 15, 52, 54; BSG SozR 2200 § 234 RVO Nr 4 mwN).

Die Zuständigkeit der Klägerin für die Krankenversicherung der Beigeladenen zu 2) bis 4) ergibt sich aus § 234 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Danach sind Versicherungspflichtige, die keiner der dort aufgeführten besonderen Krankenkassen angehören, Mitglieder der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) ihres Beschäftigungsortes. Das ist für die Beigeladenen zu 2) bis 4) die Klägerin. Der Begriff des Beschäftigungsortes ist seit dem Inkrafttreten des Art I des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) am 1. Juli 1977 in dessen §§ 9 und 10 gesetzlich normiert. Nach dem Grundsatz des § 9 Abs 1 SGB IV ist Beschäftigungsort der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird ("faktischer Beschäftigungsort"). Dieser Grundsatz wird in den nachfolgenden Absätzen 2 bis 6 dieser Bestimmung, die hier allein in Betracht kommt, für bestimmte Fälle modifiziert. Es werden fiktive (rechtliche) Beschäftigungsorte ua mit dem Ziel festgelegt, Unzuträglichkeiten durch häufigen Wechsel der Kassenmitgliedschaft zu vermeiden, so zB wenn Personen von einer festen Arbeitsstätte aus mit einzelnen Arbeiten außerhalb dieser Arbeitsstätte beschäftigt werden (Abs 2 Nr 1).

Beschäftigungsort ist danach jeweils der Ort, an dem der Beigeladene zu 1) eine Straßenmeisterei unterhält, bei der die Beigeladenen zu 2) bis 4) beschäftigt sind. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht angegriffen worden und daher für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), sind die im vorliegenden Rechtsstreit betroffenen Arbeitnehmer jeweils bei oder von einer der vier Straßenmeistereien aus tätig, die sämtlich im Kassenbezirk der Klägerin liegen und deren Zuständigkeitsbereiche den Kassenbezirk der Klägerin nicht überschreiten. Es kann hier dahinstehen, ob sich die Zuständigkeit der Klägerin bereits aus § 9 Abs 1 SGB IV oder aus dessen Abs 2 ergibt. Wären die Arbeitnehmer nur innerhalb der jeweiligen Straßenmeisterei (zB im Büro) beschäftigt, wäre dies der Ort der - faktischen - Beschäftigung iS von § 9 Abs 1 SGB IV, wobei "Ort" iS dieser Bestimmung nicht als begrenzte geographische Örtlichkeit, sondern als Ortschaft bzw Gemeinde im politischen Sinne zu verstehen ist (vgl Merten in Krause/von Maydell/Merten/Meydam, Gemeinschaftskommentar zum SGB IV, § 9 RdNr 12). Der Sitz der Straßenmeisterei wäre deshalb auch dann der faktische Beschäftigungsort, wenn die Arbeitnehmer außerhalb dieser Einrichtung arbeiteten, sich aber der Bezirk (Zuständigkeitsbereich) der jeweiligen Straßenmeisterei mit dem Bezirk der Ortschaft oder Gemeinde im politischen Sinne deckte. Aber auch dann, wenn dies nicht zuträfe, wenn also die Arbeitnehmer außerhalb der Gemeindegrenzen eingesetzt würden, bleibt die Gemeinde, in der die Straßenmeisterei liegt, der Beschäftigungsort iS von § 9 Abs 2 SGB IV. Nach dessen Nr 1 gilt als Beschäftigungsort der Ort, an dem eine feste Arbeitsstätte errichtet ist, wenn Personen von ihr aus mit einzelnen Arbeiten außerhalb beschäftigt werden, dh, wenn sie von dort ihre Weisungen zu bestimmten Arbeiten erhalten und nach Erledigung dieser Arbeiten dorthin zurückkehren. Arbeitsstätte ist in diesem Fall für die Beigeladenen zu 2) bis 4) die Straßenmeisterei, von der aus sie zu bestimmten Instandhaltungsarbeiten uä ausgesandt werden.

Eine andere Zuständigkeit ergibt sich - entgegen der Ansicht des LSG - auch nicht aus dem Erlaß des RAM vom 18. Februar 1942 (AN 1942, 148). Nach diesem Erlaß wird die Krankenversicherung der versicherungspflichtigen Beschäftigten von Baubetrieben mit zentraler Lohnabrechnung auf Antrag des Betriebsführers abweichend von allgemeinen Vorschriften der RVO von der für den Betriebssitz zuständigen AOK durchgeführt.

Selbst wenn man davon ausgeht, daß dieser Erlaß weiterhin geltendes Recht enthält (so zuletzt die Urteile des erkennenden Senats vom 23. September 1982, SozR 5385 Allg Nr 2 und 3 unter Bezugnahme auf BSGE SozR 2200 § 234 Nr 4 mwN) und als eine vom Beschäftigungsort unabhängige, von der gesetzlichen Regelung des § 234 RVO iVm §§ 9, 10 SGB IV abweichende Zuständigkeitsregelung anzuwenden ist, läßt sich die Zuständigkeit der Beklagten aus diesem Erlaß nicht begründen. Er läßt schon nach seinem Sinn und Zweck eine Anwendung auf Fälle der vorliegenden Art nicht zu.

Nach seinem Wortlaut richtet sich der Erlaß ausdrücklich nur an eine bestimmte, eng umgrenzte Gruppe von Betrieben, nämlich die Baubetriebe mit zentraler Lohnabrechnung, und erfaßt nach seiner Zielrichtung nur eine bestimmte, für Baubetriebe typische Situation, nämlich daß sie "Baustellen" unterhalten. Für diese ist charakteristisch, daß sie nur auf Zeit, also auf einen Wechsel ihres Standorts angelegt sind, daß dieser Standort nicht räumlich konzentriert ist, sondern die Baustellen wegen der Eigentümlichkeit der Errichtung erdverbundener Bauwerke in den verschiedensten Gebieten liegen und daher, insbesondere bei größeren Baufirmen mit zentraler Lohnabrechnung, über einen großen Raum mit einer Vielzahl von Kassenbezirken gestreut sein können. Liegen die Baustellen in den Bezirken verschiedener AOK'en, müßten die Beschäftigten des Baugewerbes bei Wechsel von Baustelle zu Baustelle bzw bei deren Verlegung jedesmal ihre Kassenmitgliedschaft wechseln, der Arbeitgeber müßte die Abrechnung der Beiträge mit den verschiedensten, stets wechselnden Krankenkassen durchführen. Nur für diese Ausnahmesituation hat der RAM mit dem Erlaß die allgemeinen Regeln über die Kassenzuständigkeit durchbrochen, weil die mit diesen Regeln bezweckte Ortsnähe der Krankenkasse bei der Betreuung ihrer Versicherten angesichts der mit der Eigentümlichkeit von Baustellen bedingten Abrechnungsschwierigkeiten verzichtbar erschien. Dies ergibt sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte des Erlasses als auch aus seinen ausdrücklich genannten Motiven.

Mit dem Erlaß vom 18. Februar 1942 sollten nach der damaligen Rechtslage bestehende Unzuträglichkeiten beseitigt werden, die für Baubetriebe mit Baustellen bestanden. Nachdem das Reichsversicherungsamt (RVA) am 22. November 1919 (AN 1920, 180) entschieden hatte, daß "bei erheblichen und längerdauernden Bauarbeiten" die Baustelle der maßgebende Beschäftigungsort sei, war bei Baufirmen wegen der unterschiedlichen und wechselnden Kassenzuständigkeit ein erheblicher Verwaltungsaufwand entstanden. Mit einer ersten Sonderregelung für größere Bauvorhaben der öffentlichen Hand sollte die Durchführung der Krankenversicherung für die dort Beschäftigten vereinfacht werden (vgl Erlaß des RAM vom 21. September 1940, AN 1940, 352). Bei den Baubetrieben, die über eine zentrale Lohnabrechnung verfügten, ging die durch diese Zentralisierung erreichte Verwaltungsvereinfachung weitgehend wieder verloren, weil für die einzelnen Baustellen die Beitragsberechnung und -abführung mit den jeweils zuständigen Krankenkassen gesondert vorgenommen werden mußte. Dem Anliegen, diese Abrechnungen nur mit einer am Sitz der zentralen Lohnabrechnung befindlichen Krankenkasse regeln zu können, sollte der Erlaß Rechnung tragen (vgl BSG SozR 5385 Allg Nr 3; Böhner, SozVers 1959, 335, 336). Diese Zielsetzung des Erlasses rechtfertigte auch seine Anwendung auf Betriebe, die zwar nicht zu den Baubetrieben im engeren Sinne gehörten, aber in gleichem Maße mit Baustellen und den aus ihrer Eigenart resultierenden Verwaltungsschwierigkeiten zu tun hatten (vgl Böhner, aaO; Schneider, Die Beiträge 1958, 310; BSG SozR 5385 Allg Nr 3).

Daß der Erlaß nur Baubetriebe betrifft, die typischerweise Baustellen unterhalten, ergibt sich auch aus der Präambel des Erlasses selbst. Dort wird als Grund für die Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung angegeben, daß zahlreiche Baubetriebe mit zentraler Lohnabrechnung "Baustellen" in Bezirken verschiedener AOK'en haben; nur um für diese Baubetriebe den mit wechselnden und vielfältigen Kassenzuständigkeiten verbundenen Verwaltungsaufwand bei der Berechnung und Abführung der Beiträge zu vereinfachen, sieht der Erlaß in Abweichung von § 234 RVO die Möglichkeit vor, daß die AOK des Betriebssitzes die Krankenversicherung durchführt. Damit handelt es sich bei dieser Vorschrift nicht nur nach dem Wortlaut, sondern auch der Sache nach um eine Ausnahmevorschrift, die nach den Regeln der Auslegung nicht auf Fälle ausgedehnt werden kann, in denen die vom Normgeber intendierte Ausnahmesituation nicht vorliegt (vgl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 5. Aufl, S 147; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl, S 339f).

Im Falle des Beigeladenen zu 1) fehlt es im Verhältnis zu den ihr unterstellten Straßenmeistereien an dieser Ausnahmesituation. Hierbei kann der Senat offenlassen, ob das Straßenbauamt I. nach seiner Struktur und Organisation sowie nach der Art der wahrzunehmenden Aufgaben im Baubereich überhaupt als "Baubetrieb" im Sinne des Erlasses angesehen werden kann und ob die zu erbringenden Bauleistungen den Bauleistungen privater Baubetriebe vergleichbar sind. Auch wenn dies bejaht würde, fehlt es jedenfalls an der für Baubetriebe typischen Situation, daß wegen der räumlichen Streuung von Baustellen eine Vielzahl unterschiedlicher und wechselnder Krankenkassen für die Versicherung der Beschäftigten zuständig werden kann. Vielmehr hat das Straßenbauamt stets nur mit den Krankenkassen abzurechnen, in deren Bezirke seine Straßenmeistereien belegen sind. Wie die Klägerin zutreffend dargelegt hat, können die dem Beigeladenen zu 1) zugeordneten Straßenmeistereien nicht als "Baustellen" iS des Erlasses angesehen werden, weil sie einen festen, dauernden Standort im Bereich einer bestimmten AOK haben. Sie sind insbesondere nicht - wie die Baustellen - nur auf Zeit angelegt, deren Verlegung für die dort Beschäftigten einen Wechsel des Beschäftigungsortes und damit regelmäßig der zuständigen Krankenkasse begründet. Allein diese Besonderheit von Baustellen erklärt im übrigen die Absicht des Erlasses, die getroffene Ausnahmeregelung nur den Baubetrieben zugute kommen zu lassen (vgl Böhner, aaO).

Insbesondere sind die hier betroffenen Arbeitnehmer - die Beigeladenen zu 2) bis 4) - nicht bei derartigen "Baustellen" beschäftigt. Nehmen sie vielmehr - wie das LSG festgestellt hat - ihre Tätigkeit ständig bei bzw von den auf Dauer eingerichteten Straßenmeistereien aus wahr, kann es nicht zu einem durch die Verlegung des Beschäftigungsortes bedingten Kassenwechsel kommen, weil die Zuständigkeitsbereiche dieser Straßenmeistereien sämtlich innerhalb des Kassenbezirks einer AOK - der Klägerin - liegen. Deshalb kann es auch nicht darauf ankommen, ob die Straßenmeistereien selbst Baustellen unterhalten; denn auch bei einem Wechsel dieser Baustellen könnte, da er sich stets im gleichen Kassenbezirk vollzieht, ein Kassenwechsel für die dort Beschäftigten nicht eintreten. Daß der Beigeladene zu 1) Straßenmeistereien auch in Bezirken angrenzender AOK'en, die in seinem Zuständigkeitsbereich liegen, unterhält, rechtfertigt es nicht, den gesamten Bezirk einer Straßenmeisterei - wie die Beklagte meint - als Baustelle iS des Erlasses anzusehen; denn abgesehen davon, daß dieser Bezirk - anders als die typische Baustelle - auf Dauer festgelegt ist, hat der Normgeber auch bei anderen zentralen Verwaltungen, deren Beschäftigte bei verschiedenen AOK'en versichert sind, keinen Anlaß gesehen, nur deshalb eine Abweichung von der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung zuzulassen. Derartige Abweichungen sind vielmehr nur dort gerechtfertigt, wo für Versicherte und die beteiligten Betriebe gerade wegen des typischen Wechsels im Einsatz bei verschiedenen Baustellen eine Stetigkeit in der Beitragsentrichtung (und im Leistungsbezug der Krankenversicherung) sicherzustellen ist. Im übrigen sind Anhaltspunkte dafür, daß der Beigeladene zu 1) selbst - unabhängig von seinen Straßenmeistereien - eigene Baustellen unterhält, die eine Anwendung des Erlasses nach seiner Zielsetzung rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom LSG angeführten Bescheiden des RAM vom 8. Oktober 1942 und vom 6. Januar 1943, worin der Erlaß vom 18. Februar 1942 auch für die Straßen- und Wasserbauämter für anwendbar erklärt wird. Welche Wirkung diesen - nicht veröffentlichten - Bescheiden zukommt, kann hier offenbleiben. Auch wenn sie - wie die Beklagte meint -, eine authentische Interpretation des Erlasses vom 18. Februar 1942 enthielten, könnten sie auch für Straßenbauämter nur dann zur Zuständigkeit der Kasse des Betriebssitzes führen, wenn diese Ämter dem Erlaß und seiner Zielsetzung entsprechend typische Baustellen unterhalten. Ob dies zu der Zeit, in der die erwähnten Bescheide vom 8. Oktober 1942 und 6. Januar 1943 erlassen worden sind, für Wasser- und Straßenbauämter zutraf, mag dahinstehen; für den Beigeladenen zu 1) ist das jedenfalls nicht zu ersehen.

Da mithin der Erlaß vom 18. Februar 1942 auf den Beigeladenen zu 1) keine Anwendung findet, kann dahinstehen, ob bei ihm eine zentrale Lohnabrechnung durchgeführt wird und ob insoweit die Feststellungen des LSG ausreichen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663771

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