Leitsatz (amtlich)

Zu den Baubetrieben iS des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 18.2.1942 gehören auch Unternehmen, die an der Erstellung und Instandhaltung von Industrieanlagen auf freiem Gelände mitwirken.

 

Normenkette

RAMErl 1942-02-18; SGB 4 § 9 Fassung: 1976-12-23

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 19.02.1982; Aktenzeichen L 1 Kr 23/81)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 14.04.1981; Aktenzeichen S 5 Kr 27/80)

 

Tatbestand

Die versicherungspflichtig Beschäftigten der Beigeladenen zu 1.), zu denen die Beigeladenen zu 2.) und 3.) gehören, montieren auf verschiedenen Baustellen im Bezirk der Klägerin Regel- und Meßanlagen in Industriebetrieben. Die Klägerin nahm gegenüber der Beklagten ihre Zuständigkeit für die Krankenversicherung dieser Beschäftigten mit der Begründung in Anspruch, die Beigeladene zu 1.) gehöre nicht zu den Baubetrieben iS des Erlasses des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 18. Februar 1942 (Amtl Nachrichten für Reichsversicherung 1942 S 148). Die Beklagte wandte ein, der RAM habe mit Schreiben vom 26. Mai 1942 bestätigt, daß auch die auf Baustellen tätigen Unternehmen des Metallgewerbes als Baubetriebe iS seines Erlasses vom 18. Februar 1942 anzusehen seien.

Das Sozialgericht (SG) Itzehoe hat den Baustellenleiter Heidermann der Beigeladenen zu 1.) als Zeugen vernommen und durch Urteil vom 14. April 1981 festgestellt, anstelle der Beklagten sei die Klägerin für die Durchführung der Krankenversicherung der Beigeladenen zu 2.) und 3.) zuständig.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 19. Februar 1982 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der RAM habe seinen Erlaß vom 18. Februar 1942 auf Anfrage der Wirtschaftsgruppe Stahl- und Eisenbau vom 6. Mai 1942 mit Schreiben vom 26. Mai 1942 dahin erläutert, daß er nicht nur auf die der Fachgruppe Dampfkessel-, Behälter- und Rohrleitungsbau angeschlossenen Betriebe des Kesselbaues, sondern auch auf die der Fachgruppe Stahlbau angeschlossenen Betriebe zutreffe, weil bei diesen Betrieben gleiche Verhältnisse festzustellen seien, wie bei den eigentlichen Baubetrieben. Der Begriff Baubetrieb umfasse mithin auch Unternehmen, die an der Erstellung und Instandhaltung von Industrieanlagen auf freiem Gelände mitwirken.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Erlasses des RAM vom 18. Februar 1942 durch Ausdehnung des Begriffs "Baubetrieb" auf die Beigeladene zu 1.). Sie macht geltend, auf Montageunternehmen sei dieser Erlaß nur im Lande Nordrhein-Westfalen ausgedehnt worden, wie sich aus dem Erlaß des dortigen Arbeitsministers vom 30. Januar 1947 ergebe. Daraus folge ebenso wie aus dem Schreiben des RAM vom 26. Mai 1942, daß der Begriff "Baubetrieb" im Erlaß vom 18. Februar 1942 im Grunde eng auszulegen und somit auf die Beigeladene zu 1.) nicht anzuwenden sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom

19. Februar 1982 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das

Urteil des SG Itzehoe vom 14. April 1981 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben sich zur Revision nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Zur Zulässigkeit der Feststellungsklage und zur Fortgeltung des Erlasses des RAM vom 18. Februar 1942 verweist der Senat auf sein Urteil vom 16. Februar 1982 - 8/8a RK 16/80 - (SozR 2200 § 234 Nr 4 = USK 8212). Zweifel daran, daß der vom Senat am 16. Februar 1982 entschiedene Fall eines Unternehmens, das hauptsächlich Rohrleitungen montierte, einen Baubetrieb iS des Erlasses des RAM vom 18. Februar 1942 betraf, hat die Klägerin seinerzeit nicht geltend gemacht. Ihre im gegenwärtigen Rechtsstreit gegen die Baubetriebseigenschaft der Beigeladenen zu 1.) erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Zu den "Baubetrieben mit zentraler Lohnabrechnung" im Erlaß des RAM vom 18. Februar 1942 gehören, wie das LSG zutreffend erkannt hat, auch Unternehmen, die an der Erstellung und Instandhaltung von Industrieanlagen auf freiem Gelände mitwirken.

Mit dem Erlaß vom 18. Februar 1942 wollte der RAM unter Berücksichtigung der damaligen Rechtslage und Rechtsprechung die Berechnung der Beiträge zur Krankenversicherung vereinfachen und die Beitragsabführung erleichtern. Wie das Reichsversicherungsamt (RVA) bereits in seiner Entscheidung vom 22. November 1919 (AN 1920, 180) ausgeführt hatte, trat für alle Hoch- und Tiefbaubetriebe naturgemäß der Lagerplatz oder die feste sonstige Arbeitsstätte am Betriebssitz der Firma in den Hintergrund gegenüber den Plätzen, auf denen sich ihre Bautätigkeit jeweils abspielte. Hier entstand, wenn es sich nicht um Bauarbeiten von untergeordneter Bedeutung handelte, eine eigene "Arbeitsstätte" der ausführenden Firma, die dann mit dem Arbeitsort der Arbeiter zusammenfiel, so daß für deren Kassenzugehörigkeit ihr tatsächlicher Beschäftigungsort maßgebend war. Die daraus folgende unterschiedliche Kassenzuständigkeit brachte, verstärkt durch die für die Bauwirtschaft typische Fluktuation von Arbeitskräften, für die von der Sache her zur Tätigkeit an verschiedenen Baustellen gezwungenen Unternehmen erheblichen Verwaltungsmehraufwand bei der Berechnung und Abführung der Sozialversicherungsbeiträge.

Aus diesen Gründen ist zunächst für größere Bauvorhaben der öffentlichen Hand im Erlaß vom 21. September 1940 (Amtl Nachrichten für Reichsversicherung 1940 S 352) ausgeführt worden, der zahlenmäßig große Einsatz von Beschäftigten bei größeren Bauvorhaben der öffentlichen Hand und der Wechsel im Einsatz von Beschäftigten zwischen den einzelnen Baustellen machten es für die Versicherten und für die beteiligten Betriebe notwendig, eine Stetigkeit in Beiträgen und Leistungen der Krankenversicherung sicherzustellen, die wegen der notwendigen Anpassung der örtlichen Kassen an die Bedürfnisse und Möglichkeiten ihrer eigenen Bezirke sonst nicht bestünden. Deshalb wurde die Möglichkeit eröffnet, die Krankenversicherung für die versicherungspflichtigen Beschäftigten größerer Bauvorhaben (mehr als 1000 versicherungspflichtig Beschäftigte) der öffentlichen Hand abweichend von den allgemeinen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) durch eine Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) durchführen zu lassen.

Ähnliche Schwierigkeiten, wie sie sich bei größeren Bauvorhaben der öffentlichen Hand ergaben, entstanden auch bei den Baubetrieben mit zentraler Lohnabrechnung. Denn die bei ihnen erreichte Verwaltungsvereinfachung ging weitgehend wieder dadurch verloren, daß für die einzelnen Baustellen unterschiedliche Krankenkassen zuständig waren, mit denen jeweils die Beitragsberechnung und Beitragsabführung gesondert geregelt werden mußte. Anliegen der Baubetriebe mit zentraler Lohnabrechnung war es deshalb, Beitragsberechnung und Beitragsabführung nur mit einer am Sitz der zentralen Lohnabrechnung befindlichen Krankenkasse regeln zu können. Dem hat der RAM im Erlaß vom 18. Februar 1942 Rechnung getragen.

Der Sachzwang, wegen der Bodengebundenheit der Bauwerke unterschiedlichster Art die Beschäftigten jeweils am Ort des einzelnen Bauwerkes, der vom Ort der zentralen Lohnabrechnung weit entfernt sein konnte, arbeiten zu lassen, bestand aber nicht nur bei Baubetrieben im engeren Sinne, etwa bei den Betrieben des Hoch- und Tiefbaues einschließlich ihrer Nebenbetriebe. Die Notwendigkeit dezentraler Arbeitsausführung ergab sich vielmehr bei allen Betrieben, die bodenverbundene Bauwerke im weitesten Sinne zu errichten hatten, seien es nun Bauwerke des Hochbaues, Tiefbaues, Straßenbaues, Wasserbaues, Leitungsbaues oder des Industriebaues. Deshalb ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, den Begriff des Baubetriebes im Erlaß vom 18. Februar 1942 auf bestimmte Gruppen von Baubetrieben zu beschränken. Nach dem der Verwaltungsvereinfachung bei Betrieben mit zentraler Lohnabrechnung dienenden Zweck des Erlasses mußte es sich vielmehr um alle Betriebe handeln, die Bauwerke im weitesten Sinne herstellten. Denn sie waren gleichermaßen durch die Lage ihrer Baustellen in den Bezirken verschiedener Ortskrankenkassen gesetzlich verpflichtet, die Versicherung mit diesen verschiedenen Kassen durchzuführen. Allen diesen Betrieben mit zentraler Lohnabrechnung konnte die damit erreichte Verwaltungsvereinfachung nur erhalten bleiben, wenn sie zur zentralen Beitragsberechnung und Beitragsabführung in Zusammenarbeit mit der Krankenkasse am Ort der zentralen Lohnabrechnung ermächtigt wurden.

In diesem Sinne sind die von der Klägerin unzutreffend als Belege für eine restriktive Auslegung des Begriffs des Baubetriebes verstandenen Äußerungen des RAM im Schreiben vom 26. Mai 1942 und des Arbeitsministers des Landes Nordrhein-Westfalen im Erlaß vom 30. Januar 1947 zu verstehen. Sie decken sich mit der vom LSG wiedergegebenen Auffassung des Reichsverbandes der Ortskrankenkassen im Rundschreiben vom 5. Mai 1942 und der Leistungs- und Beitragsreferenten der Landesverbände der Ortskrankenkassen bei ihrer Besprechung vom 2. bis 5. Oktober 1973.

Für die hier vertretene weitere Auslegung des Begriffs "Baubetriebe" spricht auch, daß es der Gesetzgeber dem einzelnen Betrieb von einer bestimmten Größe an überlassen hat, für seine Beschäftigten mit der Errichtung einer Betriebskrankenkasse eine Einrichtung zu schaffen, die von den Betriebsgrenzen der Ortskrankenkassen unabhängig die einheitliche und damit vereinfachte Durchführung der Versicherung ermöglicht. Der darin liegende Konzentrationsgedanke darf bei den Baubetrieben mit zentraler Lohnabrechnung nicht sachfremd eingeschränkt werden.

Der Senat verweist ergänzend zu seiner aus den sachlichen Bedürfnissen der Praxis abgeleiteten Rechtsauffassung noch auf § 75 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und auf die Aufzählung der Baubetriebe in der Verordnung über die Betriebe des Baugewerbes, in denen die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist (Baubetriebe-Verordnung) vom 28. Oktober 1980 (BGBl I S 2033). Auch damit wäre die von der Klägerin vertretene einschränkende Auslegung des Begriffs "Baubetriebe" so wenig vereinbar wie mit dem weitgespannten Begriff der Bauleitplanung im 1. Teil des Bundesbaugesetzes (§§ 1 bis 13a).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657789

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