Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, vom Kläger nach Ablauf der ihm eingeräumten Zahlungsfrist nachentrichtete Beiträge nach Art 2 § 51a Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) entgegenzunehmen.

Mit Bescheid vom 23. November 1976 gestattete die Beklagte dem am 7. März 1932 geborenen Kläger auf den Antrag vom 19. Dezember 1975 die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs. 2 ArVNG. Der Bescheid enthält den Hinweis, daß der Kläger berechtigt sei, die Beiträge für die zugelassenen Zeiten in Teilbeträgen nachzuentrichten, und daß Teilzahlungen nach Art 2 § 51a Abs. 3 ArVNG nur bis zur Dauer von fünf Jahren nach Erhalt dieses Bescheides zulässig seien. Im November 1978 und im Dezember 1980 zahlte der Kläger Teilbeträge von zweimal 2160,- DM und einmal 4140,- DM bei der Beklagten ein. Der vom Kläger durch Banküberweisung eingezahlte Restbetrag von 9.504,- DM wurde auf dem Bankkonto der Beklagten am 14. Dezember 1981 verbucht. Die Beklagte lehnte diese letzte Teilzahlung als verspätet ab (Bescheid vom 20. Januar 1982; Widerspruchsbescheid vom 6 . Mai 1982).

Das Sozialgericht (SG) Berlin gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte, den Restbetrag von 9.504,- DM entgegenzunehmen, weil es deren Interesse an der Einhaltung der Ausschlußfrist gegenüber dem Interesse des Klägers an der Wirksamkeit der Nachentrichtung für nachrangig hielt (Urteil vom 24. Januar 1984).

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Juni 1984). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe die am 26. November 1981 abgelaufene Frist von fünf Jahren unstreitig versäumt. Hierbei handele es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, gegen die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich nicht in Betracht komme. Der Kläger habe diese Frist zudem nicht ohne sein Verschulden versäumt, denn er habe ihr Ende ohne weiteres ausrechnen können. Die von der Beklagten im Bescheid vom 23. November 1975 vorgenommene nähere Bestimmung der Frist sei hinreichend deutlich gewesen. Soweit der Kläger aufgrund damaliger Presseveröffentlichungen und der Praxis der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Meinung gewesen sei, die letzte Teilzahlung sei bis zum 31. Dezember 1981 möglich, habe er sich in einem Rechtsirrtum befunden, der jedoch nicht entschuldbar sei. Daran ändere nichts, daß die Frist nur um 17 Tage überschritten worden sei. Da der Kläger die Frist schuldhaft versäumt habe, komme auch eine "Nachsichtgewährung" nicht in Betracht. Der Kläger könne von der Beklagen die Entgegennahme des streitigen Restbetrages auch nicht aufgrund eines Herstellungsanspruchs verlangen. Die Beklagte habe ihn nicht darüber zu belehren brauchen, welche Rechtsnachteile er bei Nichteinhaltung der Frist erleiden werde. Mangels eines konkreten Anlasses für eine Beratung habe sie keine Beratungspflicht verletzt.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung des Art 2 § 51a ArVNG und des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Er ist der Auffassung, unter Anwendung der vom Bundessozialgericht (BSG entwickelten Grundsätze zur "Nachsichtgewährung" sei es der Beklagten verwehrt, sich auf die Fristüberschreitung zu berufen. Die Beklagte habe weder ein höheres noch auch nur ein gleichartiges Interesse an der Unwirksamkeit der kurzfristig verspäteten Einzahlung gegenüber seinem Interesse an der Wirksamkeit der Nachentrichtung. Er könne in nächster Zukunft noch kein Altersruhegeld beanspruchen, so daß die Beklagte noch langfristig mit seinem Geld wirtschaften könne. Sie sei verpflichtet, mögliche Vorteile für die Versichertengemeinschaft auszunützen und dabei rein formelle Aspekte hintan zustellen. Auch solle sie berücksichtigen, daß er seit 1976 regelmäßig Zahlungen auf die nachzuentrichtenden Beiträge geleistet habe. Da er seine Teilzahlungen regelmäßig zum Jahresende erbracht habe, hätte es nahegelegen, ihn auf den bevorstehenden Fristablauf hinzuweisen. Hierzu wäre die Beklagte aufgrund ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen. Zu berücksichtigen sei auch, daß die Beklagte durch unzählige Streichungen und den auch im übrigen äußerst kleingedruckten Text des Bescheides zu möglichen Fristüberschreitungen wesentlich beigetragen habe. Daß er bei Erhalt des Bescheides von 1975 von einem rechtskundigen Steuerberater vertreten gewesen sei, ändere daran nichts. Schließlich habe das LSG seinen Vortrag nicht gewürdigt, er habe aufgrund von Presseveröffentlichungen der BfA den Eindruck gewonnen, daß die Frist erst mit dem Jahresende ablaufe. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat er außerdem vorgetragen, daß er zusätzlich bei einem ihm bekannten Sachbearbeiter der BfA angefragt habe. Dabei sei ihm seine Ansicht bestätigt worden. Das habe er bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vorgetragen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Beklagte nicht verpflichtet ist, die vom Kläger nach Ablauf der ihm eingeräumten Teilzahlungsfrist von fünf Jahren nachentrichteten Beiträge in Höhe von 9504,- DM entgegenzunehmen. Wegen der - als solche nicht streitigen - Versäumung dieser materiell-rechtlichen Ausschlußfrist (vgl. Urteile des Senats vom 22. Juni 1983 - 12 RK 59/82 - DRV 1983, 651 und vom 27. September 1983 - 12 RK 10/83 - DRV 1984, 172 sowie vom 16. Oktober 1986 - 12 RK 30/86 -) ist dem Kläger weder Nachsicht zu gewähren noch ist die Beklagte gehalten, den Kläger im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er die letzte Rate der Nachentrichtungssumme noch rechtzeitig eingezahlt.

Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) scheidet aus. Zwar erscheint es naheliegend, diese Vorschrift nicht nur auf versäumte Verfahrensfristen anzuwenden, sondern auch auf Ausschlußfristen, die sich auf Verfahrenshandlungen beziehen. Dahin deutet die gegenüber den Vorschriften der Prozeßgesetze (z.B. § 67 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) veränderte Wortfassung des § 27 Abs. 1 und 5 SGB 10. Dem entspricht auch die neuere Tendenz in Rechtsprechung und Schrifttum, insbesondere zu den wortgleichen Vorschriften des § 32 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) und des § 110 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat hierzu ausgeführt, daß § 32 VwVfG keinen Unterschied zwischen verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Fristen mache (BVerwGE 60, 297, 309; vgl. auch BFH in BB 1981, 782; Kopp, VwVfG, VwVfG 3. Aufl § 32 RdNr. 6; Obermayer, VwVfG § 32 RdNr. 13; Redeker, SGb 1979, 483; Plagemann, NJW 1983, 2172, 2175 IV und 2178 VI; Gagel, AFG vor § 142 Anm. 234 ff.; aA: Hauck/Haines, SGB X § 27 Rz 5; Stelkens/ Bonk/ Leonhardt, VwVfG § 32 RdNr. 6). In diesem Verfahren braucht das aber nicht abschließend entschieden zu werden, denn die Frage, ob die Beklagte trotz der Fristversäumung des Klägers noch zur Entgegennahme der streitigen Beiträge verpflichtet ist, wäre selbst dann zu verneinen, wenn § 27 SGB 10 hier anzuwenden wäre. Auch für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nämlich die Versäumung einer Frist nur unschädlich, wenn den Säumigen kein Verschulden trifft, wobei an das Verschulden hier die gleichen Anforderungen wie bei der Nachsichtgewährung zu stellen sind (vgl. Urteile des Senats vom 28. April 1983 - 12 RK 14/82 - SozR 5070 § 10 Nr 22 und vom 27. September 1983 - 12 RK 7/82 - SozR 5750 Art 2 § 51a Nr. 55).

Diese Voraussetzung - mangelndes Verschulden - ist aber beim Kläger nicht gegeben. Denn er hat, wie das LSG zu Recht erkannt hat, die Frist nicht ohne eigenes Verschulden versäumt. Ein Verschulden liegt vor, wenn der Beteiligte nicht die Sorgfalt walten läßt, die ein gewissenhafter, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmender Beteiligter angewendet hätte. Unverschuldet ist die Versäumung der Frist deshalb nur dann, wenn sie auch bei Anwendung der hiernach gebotenen Sorgfalt nicht vermeidbar war (vgl. Hauck/Haines a.a.O. Rz 7; BVerwG NJW 1983, 1923; BSGE 38, 248, 254). Der Kläger hätte aber bei Wahrung der ihm zumutbaren Sorgfaltspflichten erkennen können und müssen, daß der Gesamtbetrag der ihm gestatteten Nachentrichtung spätestens bei Ablauf von fünf Jahren nach Erhalt des Bescheides vom 23. November 1975 eingezahlt sein mußte. Um den Text des Bescheides zu verstehen, bedurfte es keiner überdurchschnittlichen geistigen Fähigkeiten. Der Einwand des Klägers, der Text sei "äußerst kleingedruckt" und durch Streichungen unübersichtlich gemacht worden, greift nicht durch. Zwar kann das Verschulden entfallen, wenn der Text eines Bescheides unübersichtlich oder aus sonstigen Gründen schwer verständlich ist. Daß der Verständlichkeit insoweit rechtliche Bedeutung zukommt, ergibt sich aus § 17 Abs. 1 Nr. 3 SGB 1, wonach den Leistungsträgern die "Verwendung allgemein verständlicher Antragsvordrucke" aufgegeben ist. Der Kläger kann sich jedoch nicht auf die Unübersichtlichkeit des Bescheides berufen, weil jedenfalls in dem (zweiten) Teil, in dem sich der Hinweis auf die Frist befindet, keine die Übersichtlichkeit beeinträchtigenden Streichungen vorgenommen wurden. Auch aus der langen Dauer der Zahlungsfrist von fünf Jahren kann nichts abgeleitet werden, was die Fristversäumung entschuldigen könnte. Gerade wegen dieses großzügigen Entgegenkommens der Beklagten wären entsprechende Vorsorgemaßnahmen des Klägers geboten gewesen. Zutreffend hat das LSG ferner dem vom Kläger geltend gemachten und von ihm auf Presseveröffentlichungen und eine angeblich abweichende Verwaltungspraxis der BfA zurückgeführten Rechtsirrtum keine die Fristversäumung entschuldigende Bedeutung beigemessen. Auch der Senat ist der Auffassung, daß es dem Kläger möglich und zumutbar gewesen wäre, die Diskrepanz zwischen den geltend gemachten Umständen und dem eindeutigen Inhalt des Nachentrichtungsbescheides zu erkennen und sich bei etwaigen Zweifeln durch eine Anfrage bei der Beklagten Gewißheit zu verschaffen. Der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe sich bei einem Bediensteten der BfA erkundigt, der ihn in seinem Rechtsirrtum bestärkt habe, kann dabei nicht berücksichtigt werden, da es sich um einen neuen Tatsachenvortrag handelt, der im Revisionsverfahren unzulässig ist (§ 163 SGG). Der Akte ist nicht zu entnehmen, daß diese Tatsache schon früher vorgebracht worden ist. Der Kläger hat auch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nicht gerügt, daß das LSG diesen Umstand zu Unrecht nicht berücksichtigt habe.

Der Vorwurf des Klägers, die Beklagte habe durch ihr Verhalten zu der Fristversäumung beigetragen, trifft nicht zu. Die Beklagte war weder aufgrund eines konkreten Anlasses noch allgemein gehalten, den Kläger über die Folgen der Nichteinhaltung der Frist zu belehren oder ihn noch einmal eigens auf den bevorstehenden Ablauf der Frist hinzuweisen. Der Versicherungsträger darf nach einer antragsgemäß bewilligten Nachentrichtung mit Zugeständnis eines ausreichend bemessenen Zahlungszeitraumes davon ausgehen, daß der Versicherte von der Vergünstigung auch fristgerecht Gebrauch machen werde; er braucht nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen, der Antragsteller werde die auf fünf Jahre bemessene Frist zur Nachentrichtung ungenutzt verstreichen lassen (BSG SozR 1200 § 14 Nr 17). Er ist deshalb nicht verpflichtet, von sich aus generell auf den Ablauf der eingeräumten Nachentrichtungsfrist hinzuweisen (Beschluß des Senats vom 14. Mai 1986 - 12 BK 8/86 -). Im Falle des Klägers sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die die Beklagte ausnahmsweise zu einem solchen Hinweis hätten veranlassen müssen. Derartiges ergab sich auch nicht aus dem bisherigen Zahlungsverhalten mit Teilzahlungen im November 1978 und Dezember 1980, die im Belieben des Klägers standen und keine zu Rückschlüssen führende Regelmäßigkeit aufwiesen. Damit fehlt es einerseits an hinreichenden Entschuldigungsgründen für die Fristversäumung des Klägers als Voraussetzung für eine Nachsichtgewährung oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und andererseits an einem der Beklagten anzulastenden Fehlverhalten als Voraussetzung für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Die Revision des Klägers kann sonach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.12 RK 32/85

BSG

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518905

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