Leitsatz (amtlich)

1. Der Versicherungsträger ist befugt, im Verfahren zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 2 § 49a Abs 2, 3 AnVNG (= Art 2 § 51a Abs 2, 3 ArVNG) für die Konkretisierung des Nachentrichtungsbegehrens eine Frist zu setzen.

2. Bei einer solchen Frist handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, die jedoch als behördliche Frist unter Anwendung des § 26 Abs 7 S 2 SGB 10 nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers rückwirkend verlängert werden kann, auch wenn sie bereits abgelaufen ist.

3. Zu Erwägungen, die bei der Ausübung des Ermessens bedeutsam sein können.

 

Normenkette

AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; SGB 10 § 26 Abs 7 S 2 Fassung: 1980-08-18; AnVNG Art 2 § 49a Abs 3 Fassung: 1977-06-27; ArVNG Art 2 § 51a Abs 3 Fassung: 1977-06-27

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 26.11.1985; Aktenzeichen L 2 An 89/85)

SG Berlin (Entscheidung vom 03.04.1985; Aktenzeichen S 6 An 4037/83)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger berechtigt ist, Beiträge nachzuentrichten.

Der 1923 in Rumänien geborene Kläger ist Verfolgter und 1964 von Rumänien nach Israel ausgewandert, dessen Staatsangehöriger er ist. Er beantragte im Jahre 1975 durch einen in der Bundesrepublik tätigen Rechtsanwalt die Nachentrichtung von Beiträgen. Die Beklagte entschied nach Ermittlungen zum Versicherungsverlauf des Klägers mit Bescheid vom 5. November 1981, daß Beitrags- und Beschäftigungszeiten in Rumänien nach dem Fremdrentengesetz (FRG) nicht berücksichtigt werden könnten, weil er nicht zum Personenkreis des § 1 FRG gehöre. Mit weiterem Bescheid vom 6. November 1981 lehnte sie einen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ab. Hinsichtlich der Nachentrichtung nach Art 2 § 49a Abs 2 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) iVm Art 3 Abs 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (DISVA) vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975 S 246) forderte sie den Kläger mit Schreiben vom 6. November 1981, an den Bevollmächtigten als Einschreiben zur Post gegeben am 12. November 1981, unter Angabe des Nachentrichtungszeitraums zur Konkretisierung auf. Dabei bat sie - im Druck hervorgehoben - um unbedingte Beachtung der folgenden "Besonderen

"Es wird darauf hingewiesen, daß die Nachentrichtung

grundsätzlich am 31. 12. 81 abgeschlossen sein muß. In Ihrem

Falle sind wir jedoch bereit, Ihnen zur Abgabe der

notwendigen Erklärungen eine Frist von 6 Monaten ab Zustellung

dieses Schreibens einzuräumen. Gehen Ihre Erklärungen nicht

innerhalb der 6 Monate ein, wird Ihr Nachentrichtungsantrag

durch Bescheid abgelehnt. Eine Nachentrichtung ist in diesem

Fall nicht mehr zulässig.

Gehen Ihre Erklärungen innerhalb der 6 Monate ein, wird Ihr

Antrag auf Nachentrichtung abschließend bearbeitet und Ihnen

ein Bescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung erteilt. In diesem

Fall weisen wir Sie noch auf folgendes hin:

Für den Beginn bzw. die Höhe einer Rente unter Berücksichtigung

der nachentrichteten Beiträge kommt es auf den Zeitpunkt

der Beitragsnachentrichtung an. Hierfür ist grundsätzlich

der Geldeingang bei der Bundesversicherungsanstalt

für Angestellte (BfA) maßgebend.

Eine Ausnahme hiervon kann die BfA nur zulassen, wenn Sie

innerhalb von 6 Monaten ab Zustellung dieses Schreibens die

genauen Angaben über den Zeitraum, für den Beiträge nach-

entrichtet werden sollen, sowie über die Anzahl der Beiträge

und die Beitragshöhe machen und später innerhalb einer weiteren

Frist von 6 Monaten ab Zustellung des die Berechtigung

zur Nachentrichtung feststellenden Bescheides die Nachentrichtung

der Beiträge vornehmen. Wenn diese Voraussetzungen

vorliegen, gilt das Datum der Bereiterklärung (Eingang bei

der BfA) als Zeitpunkt der Beitragsentrichtung."

Der Bevollmächtigte des Klägers konkretisierte die Nachentrichtung mit Schreiben vom 24. Juni 1982, das bei der Beklagten am 28. Juni 1982 einging, dahin, daß für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1973 216 Beiträge der Klasse 200 zu je 36 DM entrichtet werden sollten, und fügte einen Scheck über die errechnete Nachentrichtungssumme von 7.776 DM bei. Die Beklagte lehnte die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG iVm Art 3 Abs 1 DISVA mit Bescheid vom 10. August 1982 ab, weil die Frist zur Konkretisierung nicht eingehalten worden sei. Gleichzeitig wies sie darauf hin, daß bis zum 13. Juni 1983 ein Antrag auf Nachentrichtung gemäß Art 12 der Durchführungsvereinbarung vom 20. November 1978 zum DISVA (BGBl II 1980 S 575) gestellt werden könne. Nachdem der Bescheid bindend geworden war, zahlte sie die Beiträge zurück.

Im Dezember 1982 beantragte der Kläger durch seine jetzige Bevollmächtigte die Nachentrichtung nach Art 12 der Durchführungsvereinbarung. Zugleich bat er, den Bescheid vom 10. August 1982 zu überprüfen und aufzuheben. Dieses lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Dezember 1982 ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. November 1983).

Der Kläger hat beim Sozialgericht (SG) Berlin Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Dezember 1982 zu verurteilen, ihn zu der Nachentrichtung zuzulassen. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 3. April 1985 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin durch Urteil vom 26. November 1985 das erstinstanzliche Urteil und den Bescheid aufgehoben sowie die Beklagte verurteilt, den Kläger unter Zurücknahme des Bescheides vom 10. August 1982 zu der begehrten Nachentrichtung zuzulassen. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte sei im Hinblick auf § 44 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) verpflichtet, den Bescheid vom 10. August 1982 zurückzunehmen und den Kläger zur Nachentrichtung zuzulassen. Der Bescheid vom 10. August 1982 sei rechtswidrig. Die Beklagte habe die Nachentrichtung wegen Versäumung der von ihr gesetzten Konkretisierungsfrist nicht mehr ablehnen dürfen, nachdem der Kläger die Konkretisierung noch vor Erlaß des die Nachentrichtung ablehnenden Bescheides nachgeholt und gleichzeitig die Beiträge entrichtet habe. Die von der Beklagten gesetzte Konkretisierungsfrist sei keine im Gesetz geregelte Ausschlußfrist, sondern nach einem Urteil des erkennenden Senats (BSGE 50, 152 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 43) eine Mitwirkungsfrist. Wenn der Senat in einem weiteren Urteil (SozR 5070 § 10 Nr 23) von einer Ausschlußfrist gesprochen habe, so könne er sich dafür auf die frühere Entscheidung nicht berufen. Es verstoße auch gegen Treu und Glauben, daß die Beklagte sich auf die Versäumung der Konkretisierungsfrist berufe, obwohl sie zugleich mit der Konkretisierung und damit weit vor Ablauf der im Schreiben vom 6. November 1981 genannten Zahlungsfrist die Beiträge tatsächlich erhalten habe.

Gegen das Urteil richtet sich die - vom Senat zugelassene - Revision der Beklagten, mit der sie die Rechtmäßigkeit ihrer Bescheide verteidigt und geltend macht: Aus den vom LSG herangezogenen Urteilen des erkennenden Senats ergebe sich für sie die Befugnis, für die Konkretisierung eine Ausschlußfrist zu setzen. Eine im Interesse der Versichertengemeinschaft liegende zügige Abwicklung der Nachentrichtungsverfahren sei nicht gewährleistet, wenn zwar die Stellung des Nachentrichtungsantrages und die Entrichtung der Beiträge an Ausschlußfristen gebunden sei, nicht aber die Zwischenstufe der Konkretisierung des Nachentrichtungsbegehrens. Bei einer Versäumung der Ausschlußfrist sei nur zu fragen, ob dem Kläger nach Treu und Glauben Nachsicht zu gewähren sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 26. November 1985 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. April 1985 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte sei nicht befugt, für die Konkretisierung eine Ausschlußfrist zu setzen. Jedenfalls müsse sie ihn deshalb zur Nachentrichtung zulassen, weil er zusammen mit der Konkretisierung noch innerhalb der von der Beklagten angekündigten Einzahlungsfrist die Beiträge tatsächlich entrichtet habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Das Urteil des LSG hält einer Überprüfung insofern nicht stand, als die Beklagte verurteilt worden ist, den Kläger unter Zurücknahme des Bescheides vom 10. August 1982 zu der begehrten Nachentrichtung zuzulassen. Darüber, ob dieser Bescheid zurückzunehmen und der Kläger zur Nachentrichtung zuzulassen ist, hat die Beklagte neu zu entscheiden. Der Bescheid vom 23. Dezember 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 1983, mit dem die Beklagte dieses bisher abgelehnt hat, ist, wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, rechtswidrig. Soweit sich die Beklagte gegen die Aufhebung dieses Bescheides wendet, ist ihre Revision daher unbegründet.

Ob die Beklagte dazu verpflichtet ist, den Bescheid vom 10. August 1982 zurückzunehmen, richtet sich nach § 44 Abs 2 SGB 10. Danach kommt es darauf an, ob der nicht begünstigende Bescheid vom 10. August 1982 rechtswidrig ist, weil die Beklagte die Nachentrichtung allein wegen Versäumens der Konkretisierungsfrist versagt hat. Das hängt wiederum davon ab, ob die Beklagte berechtigt war, eine solche Frist zu setzen, welchen Rechtscharakter eine solche Frist hat und welche Rechtsfolgen sich bei einer Versäumung der Frist ergeben.

Das Verfahren zur außerordentlichen Nachentrichtung freiwilliger Beiträge ist durch die Rechtsprechung und die Versicherungsträger bei der Anwendung verschiedener Nachentrichtungsvorschriften, insbesondere des Art 2 § 49a AnVNG (Art 2 § 51a ArVNG) sowie der §§ 10 und 10a WGSVG, dahin ausgeformt worden, daß sich die Nachentrichtung in drei Schritten vollzieht: In einem ersten Schritt muß der Nachentrichtungswillige einen entsprechenden Antrag stellen; dazu genügt es, daß die Nachentrichtung dem Grunde nach beantragt wird. In einem zweiten Schritt hat er dann - gegebenenfalls nach Klärung der Frage, ob und in welchem Umfang bereits Versicherungszeiten vorhanden sind und erforderlichenfalls nach einer Beratung durch den Versicherungsträger - den Nachentrichtungsantrag zu konkretisieren. Schließlich hat er in einem dritten Schritt - in der Regel nach Erlaß des Nachentrichtungsbescheides und soweit er von der eingeräumten Nachentrichtung Gebrauch machen will - die Beiträge einzuzahlen (vgl zum Ganzen BSGE 50, 16 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36). Von diesen Schritten kann der Nachentrichtungswillige mehrere, uU sogar alle, zusammenfassen, wenn er einen Bedarf für ein zwischenzeitliches Tätigwerden des Versicherungsträgers nicht sieht und er die Beiträge schon zahlen will, bevor der Bescheid über die Nachentrichtung ergangen ist (vgl BSGE 45, 247, 248 f = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 17).

Dem Kläger geht es im vorliegenden Verfahren um die Nachentrichtung nach Art 2 § 49a Abs 2, 3 AnVNG (= Art 2 § 51a Abs 2, 3 ArVNG) iVm Art 3 Abs 1 DISVA. Dagegen ist die Nachentrichtung nach Art 2 § 49a Abs 2, 3 AnVNG (= Art 2 § 51a Abs 2, 3 ArVNG) iVm Art 12 der Durchführungsvereinbarung zum DISVA, die der Kläger nachträglich ebenfalls beantragt hat, nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Der Antrag auf Nachentrichtung, auf den es hier ankommt, war nach Art 2 § 49a Abs 3 Satz 1 AnVNG (= Art 2 § 51a Abs 3 Satz 1 ArVNG) iVm Art 3 Abs 1 DISVA bis zum 31. Dezember 1975 zu stellen; diese Frist ist vom Kläger eingehalten worden. Ferner gilt für den dritten Schritt, daß der Versicherungsträger Teilzahlungen bis zu einem Zeitraum von fünf Jahren zulassen kann (Art 2 § 49a Abs 3 Satz 3 AnVNG = Art 2 § 51a Abs 3 Satz 3 ArVNG). Der erkennende Senat hat entschieden, daß es sich bei der Antragsfrist und bei der Teilzahlungsfrist um materiell-rechtliche Ausschlußfristen handelt (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 32 bzw Nr 55). Dem materiellen Recht gehören sie deshalb an, weil von einem rechtzeitigen Antrag die Entstehung des Nachentrichtungsrechts abhängt (BSGE 50, 16, 17 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36) und dieses Recht wieder erlischt, wenn die bewilligten Teilzahlungen nicht rechtzeitig geleistet werden.

Der Versicherungsträger ist berechtigt, dem Nachentrichtungswilligen auch zur Konkretisierung des Nachentrichtungsbegehrens eine Frist zu setzen. Der erkennende Senat hat schon in seinem Urteil vom 11. Juni 1980 (BSGE 50, 152, 154/155 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 43) im Zusammenhang mit den beiden erwähnten gesetzlichen Fristen betont, der Versicherungsträger habe darauf hinzuwirken, daß ein zunächst nur dem Grunde nach gestellter Nachentrichtungsantrag in angemessener Zeit konkretisiert werde und er den Antrag wegen fehlender Mitwirkung ablehnen dürfe, wenn die Konkretisierung unterbleibe. Im Hinblick auf diese Ausführungen hat der Senat in seinem weiteren Urteil vom 18. Mai 1983 (SozR 5070 § 10 Nr 23) davon gesprochen, daß der Versicherungsträger dem Antragsteller eine Konkretisierungsfrist setzen könne, und diese als Ausschlußfrist bezeichnet. Entgegen der Auffassung des LSG hat der Senat damit seine frühere Entscheidung nicht fehlgedeutet. Denn die Mitwirkungspflicht des Antragstellers und die Fristsetzungsbefugnis des Versicherungsträgers bilden nicht, wie das LSG meint, einen Gegensatz, sondern sie ergänzen einander. Die Bemerkungen über die Fristsetzung in dem späteren Urteil waren dort allerdings nicht tragend, sondern wurden nur der - entscheidungserheblichen - Aussage gegenübergestellt, daß der Versicherungsträger für die Mitwirkung des Versicherten an der Klärung des Versicherungsverlaufs keine Ausschlußfristen setzen könne. Im vorliegenden Verfahren kommt es hingegen darauf an, ob der Versicherungsträger befugt ist, zur Konkretisierung des Nachentrichtungsbegehrens eine Frist zu setzen und welchen Rechtscharakter eine solche Frist hat. Der Senat bejaht die Befugnis zur Fristsetzung und sieht die Frist als materiell-rechtliche Ausschlußfrist an.

Das Verfahren bei der Nachentrichtung von Beiträgen ist in den genannten Vorschriften nur in Umrissen geregelt. Insbesondere enthält das Gesetz selbst keine ausdrückliche Regelung über die Konkretisierung des Antrags und eine Frist dafür. Nach der dargelegten Ausformung des Nachentrichtungsverfahrens durch die Rechtsprechung und die Verwaltung ist die Konkretisierung jedoch ein notwendiger Bestandteil des Nachentrichtungsverfahrens und in dieses eingebettet; sie ist für die Nachentrichtung insgesamt ebenso unverzichtbar wie die Antragstellung selbst und die Zahlung der Beiträge. Wenn daher der erste Schritt des Verfahrens, die Antragstellung, gesetzlich mit einer Ausschlußfrist versehen ist und der Versicherungsträger für den letzten Schritt, die Zahlung, kraft ausdrücklicher Vorschrift zugleich mit der Zulassung von Teilzahlungen dafür eine (Ausschluß-)Frist bestimmen kann, so muß für den "Zwischenschritt" der Konkretisierung ebenfalls eine Ausschlußfrist gesetzt werden können. Nur dann ist auch während des Konkretisierungsabschnitts einerseits ein zügiger Fortgang des Nachentrichtungsverfahrens gesichert, andererseits einer Überraschung des Antragstellers mit einer - so bald von ihm noch nicht erwarteten - Entscheidung über seinen Antrag vorgebeugt und damit insgesamt gewährleistet, daß sich das Konkretisierungsverfahren nahtlos in den für eine Beitragsnachentrichtung gesetzlich vorgegebenen Rahmen einfügt. Dagegen würden die gesetzlichen Vorgaben verlassen, wenn der Konkretisierungsabschnitt überhaupt nicht mit einer Frist oder nicht mit einer ähnlich wirkenden Frist wie die anderen Schritte verbunden werden könnte und der Nachentrichtungswillige so die Möglichkeit hätte, das Nachentrichtungsverfahren zum Nachteil der Versichertengemeinschaft unbegrenzt in die Länge zu ziehen. Da die Konkretisierungsphase anerkannter Teil des Nachentrichtungsverfahrens ist, ist auch die Befugnis des Versicherungsträgers, für die Konkretisierung eine Frist zu setzen und diese als materiell-rechtliche Ausschlußfrist zu behandeln, in den genannten Nachentrichtungsvorschriften angelegt und im Interesse der Versichertengemeinschaft unverzichtbar, der zur Vermeidung von Risikoverschiebungen eine weitere, zeitlich unbeschränkte Ausdehnung der großzügigen Nachentrichtungsregelungen nicht zugemutet werden kann.

Die Beklagte hat somit dem Kläger zu Recht für die Konkretisierung eine Frist gesetzt. Sie war in den hervorgehobenen "Besonderen Hinweisen" ihres Schreibens vom 6. November 1981 eindeutig enthalten, in denen ferner auf einen drohenden Rechtsverlust bei Nichteinhalten der Frist ausdrücklich aufmerksam gemacht worden war. Für den Kläger bestanden auch keine Unklarheiten über den Versicherungsverlauf mehr, die ihn gehindert hätten, nunmehr die Konkretisierung vorzunehmen. Denn der Versicherungsverlauf war durch den - bindend gewordenen - Bescheid vom 5. November 1981 (keine Anrechnung von FRG-Zeiten) und den - ebenfalls bindend gewordenen - Bescheid vom 6. November 1981 über die Ablehnung einer Nachentrichtung nach § 10 WGSVG geklärt, ein weiterer Bedarf nach Aufklärung und Beratung (vgl BSGE 50, 152, 155 oben = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 43) nicht erkennbar. Die gesetzte Frist war schließlich mit sechs Monaten nach Zustellung des Aufforderungsschreibens auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Kläger in Israel lebt, ausreichend lang.

Der Kläger hat die ihm gesetzte Frist versäumt. Das Schreiben der Beklagten vom 6. November 1981 ist am 12. November 1981 mit einem an den inländischen Bevollmächtigten des Klägers gerichteten eingeschriebenen Brief zur Post gegeben worden und galt am 15. November 1981 als zugestellt (§ 4 Abs 1 Verwaltungszustellungsgesetz). Die Frist lief daher am 17. Mai 1982 (Montag) ab. Die Konkretisierung erfolgte erst mit dem am 28. Juni 1982 eingegangenen Schreiben vom 24. Juni 1982 und damit um sechs Wochen verspätet.

Dieses berechtigte die Beklagte indes allein nicht, den Nachentrichtungsantrag, wie geschehen, in dem Bescheid vom 10. August 1982 abzulehnen. Das SGB 10, das (am 1. Januar 1981) bereits in Kraft getreten war, als die Beklagte im November 1981 die Frist setzte, sieht in § 27 Abs 1 sogar dann, wenn eine gesetzliche Frist (ohne Verschulden) versäumt worden ist, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor. Bei Versäumung einer behördlichen Frist kommt nach § 26 Abs 7 SGB 10 zwar nicht eine Wiedereinsetzung, jedoch eine Verlängerung der Frist in Betracht. Nach dieser Vorschrift können Fristen, die von einer Behörde gesetzt sind, verlängert werden (Satz 1). Sind solche Fristen bereits abgelaufen, können sie rückwirkend verlängert werden, insbesondere wenn es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen (Satz 2). Um eine behördliche Frist in diesem Sinne handelt es sich bei der Konkretisierungsfrist. Denn sie ist als solche nicht im Gesetz vorgesehen und auch in ihrer Länge nicht gesetzlich bestimmt. Daher kann sie trotz der Einbettung des Konkretisierungsverfahrens in das - hinsichtlich der Antragstellung mit einer gesetzlichen Frist und hinsichtlich der Teilzahlung mit einem vom Versicherungsträger auszufüllenden Fristenrahmen von fünf Jahren versehene - Nachentrichtungsverfahren nicht als gesetzliche Frist iS des § 27 Abs 1 SGB 10 angesehen werden. Die Vorschrift über die rückwirkende Verlängerung einer behördlichen Frist (§ 26 Abs 7 Satz 2 SGB 10) findet, da dem Gesetz jedenfalls hier eine Beschränkung auf behördliche Verfahrensfristen nicht zu entnehmen ist, auch auf eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist der hier vorliegenden Art Anwendung (vgl Hauck/Haines, Komm zum SGB 10, § 26 RdNr 4; Leopold in Jahn, SGB für die Praxis, § 26 SGB 10 RdNr 1; Schroeder-Printzen/ v. Wulffen, SGB 10, § 26 Anm 2. - Ebenso zu der Parallelvorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes -VwVfG-: Borgs in Meyer/Borgs, Komm zum VwVfG, 2. Aufl, § 31 RdNr 1). Ob dieses auch für die Wiedereinsetzung bei der Versäumung gesetzlicher Fristen nach § 27 Abs 1 SGB 10 gilt oder diese Vorschrift nur gesetzliche Verfahrensfristen betrifft, bedarf hier keiner Entscheidung.

Die Beklagte war der Verpflichtung, über die Fristverlängerung zu entscheiden, nicht deshalb enthoben, weil der Kläger einen ausdrücklichen Antrag dieses Inhalts nicht gestellt hatte, insbesondere nicht vor dem Ablauf der Frist. Ob ein solcher Antrag im allgemeinen zu verlangen ist, kann offen bleiben. Immerhin erwähnt das Gesetz in § 26 Abs 7 SGB 10 - anders als regelmäßig bei der Wiedereinsetzung nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB 10 - einen Antrag nicht. Hier war er jedenfalls deswegen entbehrlich, weil der Kläger, noch bevor die Beklagte den Nachentrichtungsantrag wegen nicht fristgerechter Konkretisierung abgelehnt hatte, die Konkretisierung nachgeholt hatte. Unter derartigen Umständen kann sogar bei Versäumung einer gesetzlichen Frist Wiedereinsetzung ohne Antrag gewährt werden (§ 27 Abs 2 Satz 3 SGB 10). Dann darf in vergleichbaren Fällen des § 26 Abs 7 SGB 10 erst recht nicht auf einer förmlichen Antragstellung bestanden werden (vgl zu der entsprechenden Regelung im VwVfG Kopp, Komm zum VwVfG, 4. Aufl, § 31, RdNrn 35 und 36).

Die Nachholung der versäumten Konkretisierung und sogar die Zahlung der Beiträge noch vor der Erteilung des ablehnenden Bescheides zwangen andererseits die Beklagte allein noch nicht, die Frist nachträglich zu verlängern. Allerdings wird zu der Parallelvorschrift des § 31 Abs 7 VwVfG zum Teil die Auffassung vertreten, daß die Versäumung grundsätzlich ohne verfahrensrechtliche Folgen bleibe, wenn die Handlung, für die die Frist gesetzt wurde, jedenfalls noch vor der abschließenden Entscheidung der Behörde in der Sache nachgeholt werde (Kopp aaO RdNr 39 unter Hinweis auf Kopp, Komm zur VwGO, 7. Aufl § 57 RdNr 14). Möglicherweise soll dieses jedoch nur bei Versäumung behördlicher oder richterlicher Verfahrensfristen gelten. Jedenfalls für die Versäumung einer materiell-rechtlichen Ausschlußfrist, wie sie die Konkretisierungsfrist darstellt, vermag der Senat einer solchen Ansicht nicht zu folgen. Denn sie könnte anders als bei Verfahrensfristen, bei denen die Versäumung unschädlich sein mag, wenn die versäumte Handlung noch vor der Entscheidung nachgeholt wird, dazu führen, daß der Nachentrichtungswillige das Nachentrichtungsverfahren zu Lasten der Versichertengemeinschaft hinauszögert und das Risiko zu seinen Gunsten verschiebt. Solche materiell-rechtlichen Vorteile darf sich der Nachentrichtungswillige im Vertrauen darauf, daß der Versicherungsträger nicht sogleich nach Fristablauf entscheiden werde, nicht einseitig durch ein Überschreiten der gesetzten Frist verschaffen können. Das schließt allerdings nicht aus, daß sein späteres Verhalten von der Beklagten bei ihrer Entscheidung über die nachträgliche Fristverlängerung mitberücksichtigt wird.

Die im Rahmen des § 26 Abs 7 SGB 10 zu treffende Entscheidung über die Fristverlängerung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten; bei dessen Ausübung hat sie insbesondere zu berücksichtigen, ob es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen (Kopp § 31 RdNrn 35, 37; ähnlich wohl Obermayer, Komm zum VwVfG, § 31 RdNr 58). Die Beklagte hat demnach eine einheitliche Ermessensentscheidung zu treffen. Einer Auffassung, die insoweit zwischen einem gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff der Unbilligkeit und der Ermessensentscheidung der Behörde ("kann") trennt (so Stelkens/Bonk/Leonhardt, Komm zum VwVfG, 2. Aufl § 31 RdNr 25), folgt der Senat im Hinblick auf die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 (BVerwGE 39, 355) nicht. Die Gründe, aus denen der Gemeinsame Senat dort eine einheitliche Ermessensregelung angenommen hat, treffen im wesentlichen auch hier zu. Dort war eine steuerrechtliche Vorschrift zu beurteilen, die den Erlaß von Steuern zum Gegenstand hatte und in der - wie hier - die Ausübung des Ermessens ("kann") mit dem Maßstab der Billigkeit (Unbilligkeit) verknüpft war. Auch geht § 26 Abs 7 SGB 10 selbst mittelbar auf eine steuerrechtliche Regelung ähnlichen Inhalts zurück, da § 26 Abs 7 SGB 10 dem § 31 Abs 7 VwVfG nachgebildet ist (vgl § 25 des Regierungsentwurfs des SGB 10, BT-Drucks 8/2034, S 10 nebst Begründung S 32) und als Vorbild des § 31 Abs 7 VwVfG wiederum § 109 der Abgabenordnung (AO) 1977 gedient hat (Bericht des Innenausschusses des Bundestages zum Regierungsentwurf des VwVfG, BT-Drucks 7/4494, S 8 zu § 31 aE). Dort ist in Abs 1 eine dem § 26 Abs 7 Satz 1, 2 SGB 10 und dem § 31 Abs 7 Satz 1, 2 VwVfG entsprechende Regelung für die Fristen zur Einreichung von Steuererklärungen und Fristen vorgesehen, die von einer Finanzbehörde gesetzt sind. Insbesondere aber spricht hier für die Annahme einer einheitlichen Ermessensregelung, daß es sich um die Verlängerung einer vom Versicherungsträger selbst gesetzten Frist handelt, bei der er auch über eine Verlängerung möglichst weitgehend selbst entscheiden sollte.

Bei ihrer demnach noch zu treffenden Ermessensentscheidung wird die Beklagte zunächst die erhebliche Bedeutung berücksichtigen können, die der Konkretisierungsfrist und ihrer Einhaltung im Rahmen des gesamten Nachentrichtungsverfahren und seiner zügigen Durchführung zukommt. Dem dürfte es entsprechen, die Frist nur bei Vorliegen beachtlicher Gründe zu verlängern, die es als unbillig erscheinen lassen, die durch den Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen. Das gilt umso mehr, wenn die Verlängerung der Frist, obwohl das möglich war, nicht vor ihrem Ablauf beantragt worden ist. Das Gesetz selbst läßt durch die unterschiedliche Fassung der Sätze 1 und 2 des § 26 Abs 7 SGB 10 erkennen, daß strengere Maßstäbe angelegt werden können, wenn die Verlängerung der Frist nicht vor ihrem Ablauf, sondern erst danach beantragt worden ist. Ist die Frist allerdings ohne Verschulden des Nachentrichtungswilligen versäumt worden und liegen auch die übrigen Voraussetzungen vor, unter denen bei Versäumung einer gesetzlichen Frist Wiedereinsetzung gewährt werden müßte (§ 27 SGB 10), so wird die rückwirkende Verlängerung einer behördlichen Frist ebenfalls nicht versagt werden können. Schließlich kann die Beklagte hier zugunsten des Klägers berücksichtigen, daß er mit der um sechs Wochen verspäteten Konkretisierung sogleich die Zahlung des Nachentrichtungsbetrages verbunden hat, die nach dem Schreiben der Beklagten vom 6. November 1981 erst innerhalb einer weiteren Frist von sechs Monaten ab Zustellung des die Berechtigung zur Nachentrichtung feststellenden Bescheides vorzunehmen war. Demnach hat der Kläger trotz Nichteinhaltens der Konkretisierungsfrist die Beiträge der Versichertengemeinschaft eher zugeführt, als es nach dem von der Beklagten in ihrem Schreiben vom 6. November 1981 aufgezeigten Plan selbst dann erforderlich gewesen wäre, wenn er die Konkretisierungsfrist eingehalten hätte.

Hiernach erwies sich die Revision der Beklagten als begründet, soweit das LSG sie verurteilt hat, den Kläger unter Zurücknahme des Bescheides vom 10. August 1982 zu der begehrten Nachentrichtung zuzulassen. Insofern war die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen, allerdings mit der Maßgabe, daß die Klage derzeit unbegründet ist. Ob der Kläger mit seinem Begehren, ihn unter Zurücknahme des Bescheides vom 10. August 1982 zur Nachentrichtung zuzulassen, letztlich Erfolg hat, hängt von der noch ausstehenden Ermessensentscheidung der Beklagten zur rückwirkenden Fristverlängerung ab. Da die Beklagte dieses bisher nicht beachtet, sondern die Nachentrichtung im Bescheid vom 23. Dezember 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 1983 allein wegen der Fristversäumung abgelehnt hat, hat das LSG diesen Bescheid zu Recht aufgehoben. Insoweit war die Revision der Beklagten unbegründet und zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1662714

BSGE, 266

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