Leitsatz (amtlich)

1. Ein Antrag auf Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach AnVNG Art 2 § 49a (= ArVNG Art 2 § 51a) hat insofern rechtsgestaltende Wirkung, als erst durch ihn ein Nachentrichtungsrecht eröffnet wird. Das gilt auch dann, wenn der Antragsteller den Umfang der Nachentrichtung (Zahl, Klasse und zeitliche Verteilung der Beiträge) bis zum Ablauf der Antragsfrist nicht bestimmt hat.

2. Der Konkretisierung eines unbestimmten Nachentrichtungsantrages dient das durch den Antrag eingeleitete Verwaltungsverfahren. Es erfordert ein enges Zusammenwirken der Beteiligten und eine sachgerechte Aufklärung und Beratung des Antragstellers durch den Versicherungsträger.

3. Solange der Nachentrichtungsbescheid des Versicherungsträgers nicht bindend geworden ist, kann der Berechtigte im Rahmen der gesetzlichen Belegungsvorschriften die Zahl, die Klasse und die zeitliche Verteilung noch nicht entrichteter Beiträge ändern. Dazu ist jedoch ein entsprechender Änderungsbescheid erforderlich, es sei denn, daß lediglich die Zahl der Beiträge vermindert werden soll.

4. Auch nachdem der Nachentrichtungsbescheid des Versicherungsträgers bindend geworden ist, kann der Berechtigte, solange die Beiträge nicht entrichtet sind, eine Herabsetzung der Nachentrichtungssumme durch Entrichtung der Beiträge in einer niedrigeren Klasse beantragen, wenn der Bescheid nachträglich für ihn belastend geworden ist. Über einen solchen Antrag hat der Versicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.

 

Orientierungssatz

Materielle und verfahrensrechtliche Bedeutung eines Beitragsnachentrichtungsantrags - "Grundantrag" - Nachentrichtungsbescheid als feststellender, der Bindung fähiger Verwaltungsakt - Gleichbehandlung der Antragsteller - Änderung des Bescheides in einem geordneten Verwaltungsverfahren - Anpassung an veränderte wirtschaftliche Möglichkeiten - Interessen der Versichertengemeinschaft - Widerruf belastender rechtmäßiger Verwaltungsakte.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 49a Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Fassung: 1972-10-16; RVO § 1407 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; SGG § 54 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 77 Fassung: 1953-09-03; GG Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 08.12.1978; Aktenzeichen L 1 An 151/78)

SG Berlin (Entscheidung vom 08.05.1978; Aktenzeichen S 14 An 544/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe (Beitragsklasse) der Kläger nach Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Beiträge nachentrichten kann.

Der Kläger beantragte mit einem bei der Beklagten am 22. Dezember 1975 eingegangenen formlosen Schreiben, ihn zur Nachentrichtung von Beiträgen ua gemäß Art 2 § 49a AnVNG zuzulassen und ihm die Teilzahlung zu gestatten. Mit dem am 24. Juni 1976 eingegangenen Formblattantrag teilte er der Beklagten mit, es sei beabsichtigt, den gesamten nicht belegten Zeitraum mit "Höchstbeiträgen" zu belegen. Die finanzielle Situation in den nächsten Jahren könne es jedoch erforderlich machen, auf Beiträge einer niedrigeren Klasse auszuweichen bzw auf die Belegung einzelner freier Zeiträume zu verzichten. Daraufhin erteilte die Beklagte am 20. Juli 1976 einen Bescheid, mit dem sie die Berechtigung des Klägers zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) für den Zeitraum von Januar 1956 bis Dezember 1972 (204 Monate) in der jeweils höchsten Klasse im Gesamtbetrag von 42.336,-- DM feststellte und die Teilzahlung zuließ. Der Bescheid enthält den Hinweis, eine Änderung des Nachentrichtungsantrages sei nur zulässig, solange dieser Bescheid noch nicht bindend geworden sei und die betroffenen Beiträge noch nicht entrichtet worden seien.

Am 24. Februar 1977 teilte der Kläger der Beklagten mit, er beabsichtige nunmehr 120 Beiträge in der Beitragsklasse 1000 zu 180,-- DM für die Monate Januar 1963 bis Dezember 1972 nachzuentrichten. Er bat, den Bescheid vom 20. Juli 1976 entsprechend abzuändern. Dieser Bescheid sei rechtskräftig geworden, weil damals davon ausgegangen worden sei, daß die Beklagte in Anlehnung an die Praxis der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz die Nachentrichtung innerhalb des genehmigten Zeitraums und der genehmigten Beitragsklassen auch in niedrigeren Beitragsklassen - wenngleich unter strikter Einhaltung der Vorschriften des Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG - zulassen werde. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 17. März 1977 mit, eine Änderung des Nachentrichtungsbescheides vom 20. Juli 1976 hinsichtlich der Beitragsklassen sei nicht zulässig. Der Bescheid sei bindend geworden. Anzahl und Höhe der nachzuentrichtenden Beiträge könnten deshalb nicht mehr verändert werden. Da der Versicherte aber nicht verpflichtet sei, die Nachentrichtung in dem beantragten Umfang auch tatsächlich durchzuführen, bestehe die Möglichkeit, die Nachentrichtung - unter Beachtung des Belegungsgebots - teilweise zu unterlassen. Mit Bescheid vom 6. September 1977 lehnte die Beklagte sodann die beantragte Änderung des Bescheides vom 20. Juli 1976 ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1978).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat der Klage, die auf Aufhebung des Bescheides vom 6. September 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides und Feststellung der Berechtigung des Klägers zur Nachentrichtung von Beiträgen nach seiner Wahl gerichtet war, stattgegeben (Urteil vom 8. Mai 1978). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin das Urteil des SG geändert und die Beklagte verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Änderung des Zulassungsbescheides vom 20. Juli 1976 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Dezember 1978). Das LSG hat die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verneint, für eine Aufhebungs- und Verpflichtungsklage dagegen bejaht. Es hat die Entscheidung der Beklagten für rechtswidrig gehalten, weil die Beklagte nicht geprüft habe, ob der unanfechtbar gewordene Verwaltungsakt vom 20. Juli 1976 für die Zukunft ganz oder teilweise widerrufbar sei. Die Beklagte hätte erkennen müssen, daß die Bindungswirkung der begehrten Änderung nicht entgegenstehe. Es seien keine Rechtsgründe zu erkennen, die die Beklagte verpflichten würden, den Zulassungsbescheid mit dem gleichen Inhalt erneut zu erlassen, zumal der Kläger auf einen bereits im Nachentrichtungsantrag enthaltenen Vorbehalt zurückgreife und es infolge der zugelassenen Teilzahlung bisher zu einer Nachentrichtung nicht gekommen sei. Erst der entrichtete Beitrag entziehe sich einer nachträglichen Disposition. Die Beklagte habe in Ausübung ihres Ermessens den Kläger erneut zu bescheiden, wobei eine - sich allein auf das formelle Interesse am Bestand des Zulassungsbescheides stützende - erneute ablehnende Entscheidung sich dem Vorwurf aussetzen würde, von der Widerrufsmöglichkeit nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch zu machen.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision vertritt die Beklagte die Auffassung, sie habe dem Kläger zu Recht verwehrt, seinen Nachentrichtungsantrag abändern zu können. Die Nachentrichtung setze einen Antrag voraus. Zur ordnungsgemäßen Antragstellung gehörten aber vollständige Angaben über Anzahl und Höhe der nachzuentrichtenden Beiträge und den Belegungszeitraum. Die Konkretisierung des Nachentrichtungsbegehrens vor Erteilung eines die Nachentrichtung zulassenden Bescheides sei erforderlich geworden, weil der Gesetzgeber die Möglichkeit der Teilzahlung zugelassen habe und es bei etwaiger Inanspruchnahme der Teilzahlungsmöglichkeit nicht offenbleiben könne, für welchen Zeitraum die Beiträge in welcher Höhe und Anzahl entrichtet werden könnten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des Urteils des LSG

und Aufhebung des Urteils des SG in vollem

Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Das LSG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, über das Begehren des Klägers, ihm die Nachentrichtung von Beiträgen in niedrigeren als den ursprünglich beantragten Beitragsklassen zu gestatten, neu zu entscheiden. Dem steht weder die Gestaltungswirkung des - auf Entrichtung von "Höchstbeiträgen" gerichteten - Antrages vom 24. Juni 1976 noch die Bindungswirkung des Bescheides vom 20. Juli 1976 entgegen.

Die Nachentrichtung von Beiträgen nach den Sondervorschriften in Art 2 § 49a AnVNG erfolgt "auf Antrag". Damit hat der Gesetzgeber der Entrichtung der Beiträge - anders als bei der Beitragsnachentrichtung nach der allgemeinen Vorschrift in § 140 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) - ein Verwaltungsverfahren vorgeschaltet, das durch die Stellung eines Antrages eingeleitet und durch einen Bescheid des Versicherungsträgers abgeschlossen wird. Außerdem hat der Gesetzgeber für den Antrag eine Frist bis zum 31. Dezember 1975 gesetzt. Mit dieser Ausschlußfrist hat er den Kreis der Personen, die zu der - für sie in der Regel besonders günstigen (vgl BVerfGE 49, 192, 204 ff) - Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG berechtigt sind, auf diejenigen beschränkt, die bis zum Ablauf der genannten Frist einen Antrag gestellt haben. Da der Erwerb der Nachentrichtungsberechtigung somit von der fristgemäßen Stellung eines entsprechenden Antrages abhängig war, hat der Senat diesen Antrag in ständiger Rechtsprechung als rechtsgestaltend angesehen, und zwar auch insofern, als es nicht um das Recht zur Beitragsnachentrichtung überhaupt, sondern um den Umfang der Beitragsnachentrichtung (Zahl und Klasse der Beiträge) geht; er hat deshalb eine nachträgliche Änderung, insbesondere eine Erweiterung des Antrages, grundsätzlich für unzulässig gehalten (Urteile vom 7. Juni 1979, 12 RK 33/78, und vom 12. Oktober 1979, 12 RK 49/78 und 3/79). Der vorliegende Rechtsstreit gibt Anlaß zu einer Überprüfung dieser Rechtsprechung.

Soweit es sich dabei um die rechtliche Wirkung des Nachentrichtungsantrages im allgemeinen handelt, hält der Senat daran fest, daß der Antrag nicht nur die dargelegte verfahrensrechtliche Bedeutung hat (Einleitung eines Verwaltungsverfahrens), sondern daß er auch auf die materielle Rechtslage einwirkt, weil der Antragsteller, wie ausgeführt, erst mit der fristgemäßen Stellung des Antrags die Berechtigung zur Nachentrichtung von Beiträgen in dem in Art 2 § 49a AnVNG vorgesehenen Rahmen erwirbt. Insofern hat der Antrag in der Tat gestaltende Wirkung. Ihm darüber hinaus eine Gestaltungswirkung auch für den Umfang der Beitragsnachentrichtung einzuräumen, würde voraussetzen, daß der Antrag entsprechend konkretisiert ist, dh die Zahl und Klasse der nachzuentrichtenden Beiträge sowie den Belegungszeitraum angibt. Gerade das trifft aber für eine große Zahl von Anträgen, insbesondere die kurz vor Ablauf der genannten Frist (31. Dezember 1975) gestellten, nicht zu. Dennoch haben die Versicherungsträger, auch die Beklagte, diese Anträge - als Anträge "dem Grunde nach" - für wirksam gehalten. Hiergegen sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben.

Wie in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anerkannt ist, genügt es, soweit das Gesetz die Stellung eines Antrags vorschreibt, daß der Berechtigte in erkennbarer Weise einen Willen zum Ausdruck bringt, von seinem Antragsrecht Gebrauch zu machen (vgl zB BSG SozR Nrn 10 und 26 zu Art 2 § 42 ArVNG; SozR 4460 § 21 Nr 1; SozR 2200 § 1241 d Nr 1; BSG-Urteile vom 1980-01-31 - 11 RA 36/79 - und vom 1980-02-21 - 4 RJ 53/79 -). Dies gilt unabhängig davon, ob der Antrag verfahrensrechtliche oder materielle Bedeutung hat. Diese Rechtsprechung berücksichtigt einerseits die Stellung des Bürgers, andererseits die Aufgabe der Verwaltungsbehörde im Rahmen eines sozialen Leistungssystems. Soweit dem Bürger vom Gesetzgeber Möglichkeiten sozialer Sicherung angeboten werden, kann er deren Auswirkungen auf seine besondere Situation oft nur schwer überschauen; daher muß es genügen, wenn er seinem Willen, von einem Recht Gebrauch zu machen, überhaupt erkennbaren Ausdruck gibt. Ist dies geschehen, so ist es Aufgabe der Verwaltung, dem Antragsteller bei der konkreten Gestaltung seines Rechts in dem je nach Lage des Einzelfalles gebotenen Umfange behilflich zu sein. Zu einer dem Wesen des Sozialstaats (Art 20 Abs 1 GG) entsprechenden Verwirklichung sozialer Rechte gehört auch ein Verwaltungsverfahren, das auf einem engen Zusammenwirken (Kooperation) des Antragstellers und des Versicherungsträgers beruht und eine sachgerechte Aufklärung und Beratung des Antragstellers durch den Versicherungsträger einschließt. Diesem Gedanken widerspräche es, bereits für den - oft entscheidenden - "Einstieg" in das Verfahren eine endgültige Festlegung aller Einzelheiten zu fordern oder aus einer etwaigen Festlegung von Einzelheiten deren Unabänderlichkeit zu folgern. Die Forderung nach einseitiger Präzisierung bereits im Antrag und das Festhalten des Antragstellers an einer im Antrag vorgenommenen Präzisierung würde bedeuten, daß der einzelne vorab das leistet, was eigentlich erst Aufgabe des Verfahrens ist, nämlich die sachgerechte Abgrenzung der Ansprüche unter Berücksichtigung des Zwecks der Normen und der besonderen Bedürfnisse des einzelnen. Im übrigen ist für Anträge auf Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG zu berücksichtigen, daß ein großer Teil der Antragsteller vorher nicht der Sozialversicherung angehört hatte, deshalb mit den Regeln der Beitragsentrichtung nicht vertraut war und bei der Beitragsnachentrichtung nach der genannten Sondervorschrift außerdem vor der - nicht selten schwierigen - Frage stand, für welche Zeiten und in welcher Beitragsklasse die Nachentrichtung zulässig und für sie am zweckmäßigsten war. Da insoweit eine sachgemäße Aufklärung durch den Versicherungsträger bis zum Ablauf der Antragsfrist häufig nicht mehr erfolgen konnte, andererseits das Gesetz jeden "Antrag", auch einen formlosen, nicht näher konkretisierten, wenn er nur fristgemäß gestellt war, genügen läßt, haben die Versicherungsträger mit Recht auch die noch Ende 1975 bei ihnen eingegangenen zahlreichen "Grundanträge" als wirksam angesehen. Da sie nicht konkretisiert waren, beschränkt sich ihre Gestaltungswirkung auf den Erwerb einer Nachentrichtungsberechtigung dem Grunde nach.

Eine Frist, bis zu der solche Anträge konkretisiert werden mußten, enthält das Gesetz nicht. Schon deshalb besteht keine rechtliche Notwendigkeit, eine später durch den Nachentrichtungsberechtigten erfolgte (und zur Ausübung des Nachentrichtungsrechts auch erforderliche) Konkretisierung in dem Sinne für abschließend zu halten, daß sie nicht mehr geändert werden könne. Da andererseits die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG - als eine zeitlich befristete Maßnahme - einmal zum Abschluß kommen muß, kann den Nachentrichtungsberechtigten keine zeitlich unbegrenzte Änderungsbefugnis zustehen. Als äußerste Grenze hat der Senat insoweit stets den Zeitpunkt der tatsächlichen Entrichtung der Beiträge angesehen. Sobald sie entrichtet sind, verbietet sich nach allgemeinen, nicht nur für die Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG geltenden Grundsätzen eine Änderung von Beitragsklasse und Belegungszeit (Urteil des Senats vom 13. September 1979, 12 RK 39/78, mit weiteren Nachweisen).

Aber auch für die Zeit vor der tatsächlichen Beitragsentrichtung kann der Berechtigte nicht uneingeschränkt befugt sein, nach Belieben von den einmal gewählten Beitragsklassen und Belegungszeiten abzuweichen (daß er keinen Anspruch auf Einräumung eines entsprechenden Vorbehalts in dem Nachentrichtungsbescheid des Versicherungsträgers hat, hat der Senat im Urteil vom 30. Januar 1980, 12 RK 13/79, entschieden). Das maßgebende Ereignis, nach dem die beantragte Beitragsnachentrichtung grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann, ist vielmehr der Eintritt der Bindungswirkung des Bescheides, den der Versicherungsträger auf den Antrag hin erteilt. Daß ein solcher Bescheid zu ergehen hat, folgt aus dem gesetzlichen Antragserfordernis in Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG, dem auf seiten des Versicherungsträgers die Pflicht zur Bescheidung des Antrages entspricht. Dieser - das Verwaltungsverfahren abschließende - Bescheid legt die Berechtigung des Antragstellers zur Entrichtung von Beiträgen im einzelnen nach Zeit und Höhe fest. Als feststellender Verwaltungsakt kann er nach § 77 SGG in Bindung erwachsen (vgl BSGE 45, 247, 249). Mit dem Eintritt der Bindung des Bescheides erlischt deshalb grundsätzlich die Befugnis des Berechtigten, von den im Bescheid festgelegten Beitragsklassen und Entrichtungszeiträumen abzuweichen. Bis dahin, dh solange der Bescheid noch nicht bindend geworden ist, bleibt der Berechtigte dagegen - im Rahmen der gesetzlichen Belegungsvorschriften (vgl insbesondere Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG) - zur Änderung der von ihm beantragten und im Bescheid nach Grund, Zeit und Höhe festgestellten Beitragsnachentrichtung befugt. Das kann allerdings nur in einem geordneten Verwaltungsverfahren geschehen, indem der Berechtigte bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist oder - bei Einlegung eines Widerspruchs - bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens bei dem Versicherungsträger eine im einzelnen genau bezeichnete Änderung des ergangenen Bescheides beantragt und dieser darauf einen entsprechenden Änderungsbescheid erläßt. Daß auch ein bereits erteilter Bescheid noch geändert werden kann, hat die Beklagte im übrigen selbst angenommen und in einem Teil ihrer Nachentrichtungsbescheide den Bescheidempfängern sogar ausdrücklich zugestanden (vgl auch den vom Senat mit Urteil vom 13. September 1979, 12 RK 60/78, entschiedenen Fall).

Was hiernach für Nachentrichtungsanträge gilt, die bis zum Ablauf der Antragsfrist nicht konkretisiert waren, muß - schon aus Gründen der Gleichbehandlung aller Antragsteller - auch für diejenigen gelten, die noch vor Ablauf der Antragsfrist einen bereits konkretisierten Antrag gestellt hatten. Auch sie waren deshalb zur Änderung ihres Nachentrichtungsantrages bis zum Abschluß des Verwaltungsverfahrens befugt.

Im vorliegenden Fall war der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 1976 allerdings schon bindend geworden, als der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 24. Februar 1977 eine Änderung des Bescheides beantragte, nämlich anstatt von "Höchstbeiträgen" Beiträge der Klasse 1000 zu entrichten. Dennoch durfte die Beklagte, wie das LSG zutreffend entschieden hat, die beantragte Änderung des Bescheides nicht ohne weiteres wegen der eingetretenen Bindung ablehnen.

Der Änderungsantrag des Klägers hatte nur zum Ziel, den Umfang der Nachentrichtungssumme durch Herabsetzung der Beitragsklasse zu verringern. Wie die Beklagte selbst in einem Schreiben an den Kläger vom 17. März 1977 ausgeführt hat, ist derjenige, der zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG für berechtigt erklärt worden ist, nicht verpflichtet, diese Beiträge auch zu entrichten, sondern kann die Entrichtung (unter Beachtung des Belegungsgebots in Art 2 § 49a Abs 2, 2. Halbsatz AnVNG) ganz oder teilweise unterlassen und so die tatsächliche Beitragsentrichtung seinen etwa veränderten wirtschaftlichen Möglichkeiten anpassen. Auch der Kläger hätte deshalb - sogar ohne eine Änderung des ihm erteilten Bescheides - von der Entrichtung der in dem Bescheid genannten Beiträge absehen und damit die gesamte Nachentrichtungssumme entsprechend verringern können. Wenn dies aber zulässig war, dann ist nicht einzusehen, warum eine Verringerung der Beitragssumme nicht auch dadurch erfolgen kann, daß bei unveränderter Zahl der Beiträge deren Beitragsklasse herabgesetzt wird. Interessen der Versichertengemeinschaft werden dadurch ebensowenig wie bei einer (gänzlichen oder teilweisen) Unterlassung der Beitragsentrichtung berührt; denn den niedrigeren Beitragsklassen stehen entsprechend verminderte Leistungsanwartschaften gegenüber, auch sind die mit einer Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG für den einzelnen verbundenen besonderen Vorteile bei einer Herabsetzung der Beitragsklasse eher geringer. Andererseits kann sich das wirtschaftliche Leistungsvermögen eines Nachentrichtungsberechtigten, dem ein seinem Antrag entsprechender Bescheid erteilt worden ist, später so weit verschlechtern, daß er trotz Einräumung von Teilzahlungsfristen die Nachentrichtungssumme nicht mehr (voll) aufbringen kann. Würde der Versicherungsträger ihn in einem solchen Fall an den im Bescheid genannten Beitragsklassen festhalten, würde der Bescheid, der zunächst dem Antrag entsprach und den Antragsteller deshalb nicht beschwerte, nachträglich für ihn belastend werden. Daß belastende Verwaltungsakte, auch wenn sie rechtmäßig ergangen sind, von der Verwaltung im Zweifel jederzeit, selbst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit, widerrufen werden können, entspricht einem Grundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts (vgl § 49 Abs 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 25. Mai 1976, BGBl I 1253, und Kommentar von Kopp zu diesem Gesetz, § 49 Anm 3). Besondere Gründe, die bei Nachentrichtungsbescheiden eine nachträgliche Änderung ausschließen könnten, sind nicht erkennbar. Der Versicherungsträger darf deshalb, wenn von einem Nachentrichtungsberechtigten Umstände vorgetragen werden, aus denen sich eine nachträgliche Belastung durch die im Nachentrichtungsbescheid festgestellten Beitragsklassen ergibt, eine beantragte Herabsetzung der Beitragsklassen nicht ohne weiteres ablehnen, sondern muß den Antrag unter Würdigung der vorgetragenen Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen prüfen. Diese Prüfung wird die Beklagte nunmehr unter Berücksichtigung der vom LSG hierzu gegebenen Hinweise vorzunehmen haben und danach dem Kläger einen ermessensfehlerfrei begründeten Bescheid erteilen müssen. Den Kläger auch ohne Durchführung eines solchen Änderungsverfahrens zur Nachentrichtung von Beiträgen "nach seiner Wahl" für berechtigt zu halten, wie es das SG getan hat, geht schon deswegen nicht an, weil der dem Kläger erteilte Bescheid nach Eintritt seiner Unanfechtbarkeit die für alle Beteiligten verbindliche Grundlage der Beitragsnachentrichtung ist (§ 77 SGG). An dieser muß - bis zu einer förmlichen Änderung des Bescheides - im Interesse der Rechtssicherheit und einer geordneten Verwaltung festgehalten werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 16

ZIP 1980, 913

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