Entscheidungsstichwort (Thema)

Opferentschädigung. Beteiligung an einer Schlägerei. friedensstiftende Absicht. Mitverursachung. Mitverschulden. wesentliche Ursache. Unbilligkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Gewaltopferentschädigung ist nicht zu versagen, wenn das Opfer auf riskante Weise, aber mit friedlichen Mitteln vergeblich versucht hat, den Angreifer von seinem Vorhaben abzubringen.

 

Orientierungssatz

1. Zum Verhältnis der Versagungsgründe der Alternativen 1 und 2 des § 2 Abs 1 OEG.

2. Was als Mitverursachung iS der Alternative 1 des § 2 Abs 1 OEG nicht zur Leistungsversagung führt, kann nicht allein, sondern nur aus sonstigen, zusätzlichen Gründen zur Bejahung der Unbilligkeit iS der Alternative 2 führen.

3. Wer sich bewußt auf eine Schlägerei einläßt und dabei verletzt wird, kann nicht als unschuldiges Gewaltopfer angesehen werden, das wegen eines Versagens der staatlichen Schutzvorkehrungen durch die Solidargemeinschaft zu entschädigen wäre.

4. Hat der Geschädigte in friedlicher Absicht versucht, eine tätliche Auseinandersetzung zu vermeiden, anstatt sich auf eine Schlägerei einzulassen, kann eine Entschädigung nicht versagt werden. Allerdings kann die friedensstiftende Absicht einem Teilnehmer an einer Schlägerei nicht ohne weiteres geglaubt werden.

 

Normenkette

OEG § 2 Abs 1 Alt 2, § 1 Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.12.1988; Aktenzeichen L 11 Vg 95/88)

SG Konstanz (Entscheidung vom 21.09.1987; Aktenzeichen S 2 Vg 1074/86)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz -OEG-) vom 11. Mai 1976 (BGBl I 1181) zu versagen sind, weil der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren (§ 2 Abs 1 OEG).

Der Kläger feierte am Abend des 19. März 1983 in einer Diskothek seine Verlobung. Nach Mitternacht wurde die Feier von vier jungen Männern, darunter der unbekannt gebliebene Schädiger, erheblich gestört. Es kam deswegen im Lokal schon zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Schädiger. Nachdem der Wirt die vier Männer aus dem Lokal gewiesen hatte, kam der Schädiger noch einmal zurück und forderte den Kläger auf, vor das Lokal zu kommen. Entgegen den Warnungen seiner damaligen Verlobten und des Wirtes folgte der Kläger dieser Aufforderung. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) wurde er dabei unmittelbar vor der Tür von dem Unbekannten von hinten niedergeschlagen und anschließend so schwer mißhandelt, daß er schwerbehindert ist.

Einen ersten Antrag des Klägers hatte die Versorgungsverwaltung mit bindend gewordenem Bescheid von Oktober 1984 abgelehnt, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die tätliche Auseinandersetzung vor dem Lokal selbst begonnen und deshalb maßgeblich zu seinen Verletzungen beigetragen habe. Einen erneuten Antrag lehnte die Versorgungsverwaltung mit Bescheid vom 29. August 1986 unter Hinweis auf den verbindlich gewordenen früheren Bescheid ab. Dagegen hat der Kläger Klage erhoben und geltend gemacht, daß er entgegen den Ausführungen im Erstbescheid die Auseinandersetzung nicht begonnen habe und sich die Folgen der Verletzung als dauerhaft und schwerwiegend herausgestellt hätten. Das Sozialgericht (SG) wies nach Vernehmung von Zeugen die Klage ab (Urteil vom 21. September 1987). Die Berufung blieb erfolglos. In seinem Urteil vom 19. Dezember 1988 hat das LSG ausgeführt, der Kläger sei zwar Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden; es sei jedoch aus in dem eigenen Verhalten des Klägers liegenden Gründen unbillig, ihm Entschädigung zu gewähren (§ 2 Abs 1 2. Alternative OEG). Der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, als er der aggressiven Aufforderung eines Unbekannten, vor die Tür zu kommen, gefolgt sei. Er habe sich damit unnötig einer vorhersehbaren Gesundheitsschädigung ausgesetzt.

Dagegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers, mit der er eine Verletzung der 2. Alternative des § 2 Abs 1 OEG rügt. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, daß die Gewährung einer Entschädigung wegen seines eigenen Verhaltens unbillig sei. Er habe sich nicht vernunftwidrig in eine erkennbare Gefahr begeben, sondern sei Opfer eines hinterlistigen Überfalls geworden. Insgesamt habe er sich angemessen verhalten. Er habe die Störung seiner Verlobungsfeier durch die vier Männer nicht zu dulden brauchen. Schon die Auseinandersetzung mit dem unbekannten Gewalttäter in dem Lokal habe er deshalb nicht zu vertreten. Es sei ihm auch nicht vorzuwerfen, daß er der Aufforderung, vor das Lokal zu kommen, gefolgt sei. Das Gesetz mute niemandem zu, sich als "Feigling" zu verhalten. Er, der Kläger, habe dadurch, daß er der Aufforderung gefolgt sei, auch nur beschwichtigen und verhindern wollen, bei einem späteren Verlassen des Lokals in Gegenwart seiner Verlobten tätlich angegriffen zu werden.

Der Kläger beantragt,

die angefochtenen Urteile zu ändern und den angefochtenen Bescheid vom 29. August 1986 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Zurücknahme des Bescheides vom 2. Oktober 1984 Entschädigungsleistungen nach dem OEG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Mit der vom LSG gegebenen Begründung durfte dem Kläger eine Entschädigung nicht versagt werden. Die bisherigen Feststellungen reichen indessen nicht aus, ihm diese bereits zuzusprechen.

Nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat derjenige, der durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Das LSG hat diese Voraussetzungen trotz des bindend gewordenen früheren Bescheids in vollem Umfang neu geprüft, wozu es allerdings nicht schon auf den bloßen Antrag des Klägers hin, sondern nur so weit verpflichtet war, wie das neue Vorbringen über den Tathergang es rechtfertigte, von der Bindungswirkung des früheren Bescheides abzugehen (zum stufenweisen Vorgehen im Rahmen des § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - SGB X - vgl BSG SozR 1300 § 44 Nr 33). Indessen hat das LSG ohne Revisionsrügen des Beklagten und damit für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG) festgestellt, daß der Kläger entgegen seiner ursprünglichen Darstellung nicht an einer Schlägerei teilgenommen hat, sondern ohne Gegenwehr von hinten niedergeschlagen und schwer mißhandelt worden ist. Das ist ein neuer Sachverhalt, der zu einer umfassenden Neuprüfung führen muß. Die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG sind danach erfüllt, so daß im Revisionsverfahren nur noch zu prüfen ist, ob Versagensgründe iS des § 2 Abs 1 OEG vorliegen.

Das LSG hat sich ohne nähere Ausführungen der Meinung des SG angeschlossen, daß der Kläger die Schädigung zwar nicht verursacht habe, daß es aber gleichwohl wegen seines eigenen Verhaltens unbillig wäre, ihm Entschädigung zu gewähren. Dabei hat es das Verhältnis der beiden Versagensgründe nicht richtig gesehen: Das LSG hat einerseits den Ursachenbeitrag des Klägers als nicht so erheblich angesehen, daß er als Verursachung iS der 1. Alternative des § 2 Abs 1 OEG zu werten wäre, andererseits dasselbe Verhalten, nämlich die eigene Unvorsichtigkeit beim Befolgen der Aufforderung des unbekannten Täters, als so gravierend angesehen, daß eine Entschädigung unbillig wäre. Das LSG ist dabei in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats (BSGE 49, 104, 107 = SozR 3800 § 2 Nr 1; BSGE 50, 95, 97 = SozR 3800 § 2 Nr 2; BSGE 57, 168, = SozR 3800 § 2 Nr 5; BSGE 58, 214, 216 = SozR 3800 § 2 Nr 6; USK 84181) davon ausgegangen, daß der Versagensgrund der 2. Alternative des § 2 Abs 1 OEG schon wegen der gleichen Rechtsfolge annähernd gleiches Gewicht wie die 1. Alternative haben muß. Stellt sich nach diesem Grundgedanken allein die Frage, ob und inwieweit der Geschädigte durch sein eigenes Verhalten zur Schädigung unmittelbar beigetragen hat, so kann dasselbe Verhalten nicht im Rahmen der 1. Alternative als unerhebliche Mitursache (nicht wesentliche Bedingung im Sinne der versorgungsrechtlichen Kausalitätstheorie; vgl dazu: BSGE 49, 104, 105; 50, 95, 96; 52, 281, 283 = SozR 3800 § 2 Nr 3; SozR 3800 § 2 Nr 4; BSGE 58, 214, 216), im Rahmen der 2. Alternative aber gleichwohl als so schwerwiegend gewertet werden, daß deswegen eine Entschädigung unbillig ist. Es ist allerdings einzuräumen, daß dieser Zusammenhang zwischen Kausalität und Unbilligkeit in der oben zitierten Rechtsprechung des Senats nicht immer deutlich genug zum Ausdruck gekommen ist. In der Entscheidung BSGE 49, 104 = SozR 3800 § 2 Nr 1 ist ein Verhalten, das die Schwelle der Mitverursachung nicht erreichte, noch daraufhin überprüft worden, ob eine Entschädigung wegen Mitverschuldens oder vermeidbarer Selbstschädigung unbillig ist. Soweit daraus der Schluß gezogen werden könnte, ein und dasselbe Verhalten könne als nicht ursächlich im Sinne der 1. Alternative unerheblich, aber weil erfolgsfördernd nach der 2. Alternative leistungsausschließend sein, bedarf es der Klarstellung: Was als Verursachung (das kann nach dem Sinnzusammenhang nur Mitverursachung bedeuten) im Sinne der 1. Alternative nicht zur Leistungsversagung führt, kann nicht allein, sondern nur aus sonstigen, zusätzlichen Gründen zur Bejahung der Unbilligkeit führen. Die Mitverursachung ist damit ein Sonderfall der Unbilligkeit. Sie ist in der 1. Alternative abschließend geregelt, wenn nur die unmittelbare Tatbeteiligung des Geschädigten als Leistungsausschließungsgrund in Betracht kommt. Unter den Begriff der Mitverursachung im entscheidungserheblichen Sinn fällt auch ein Mitverschulden oder eine Selbstschädigung. Der entschädigungsrechtliche Kausalitätsmaßstab ist so elastisch, daß er auch diese Gesichtspunkte miterfaßt. Er ist ein wertender Maßstab, der im Unterschied zur sog Äquivalenzformel, wie sie im Strafrecht üblicherweise angewandt wird (ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs, vgl RGSt 44, 244; 69, 47; 76, 86; BGHSt 1, 332; BGH Juristenzeitung 1951, 787), die Einzelursachen in ihrer Bedeutung gewichtet. Er dient auf den verschiedenen Gebieten des Sozialrechts unterschiedlichen Zwecken mit unterschiedlichen Folgen. In der gesetzlichen Unfallversicherung (dort unter dem Begriff der selbstgeschaffenen Gefahr: BSGE 42, 42, 46 = SozR 2200 § 550 Nr 14; BSGE 43, 15, 18 = SozR 2220 § 550 Nr 21) und auch in der Soldatenversorgung (BSG SozR 3200 § 81 Nr 7) dient er zur Abgrenzung des geschützten Risikos mit der Folge, daß nur ein gegenüber den betrieblichen bzw wehrdiensteigentümlichen Gefahren deutlich überwiegendes selbstgeschaffenes Risiko den Versicherungsschutz bzw die Versorgung ausschließt. Auf dem Gebiet des OEG führt hingegen bereits eine etwa gleichwertige Mitverursachung zur Versagung der Entschädigung. Das ist eine auffällige Abweichung, die aber gerechtfertigt ist: Angesichts des vorsätzlich und rechtswidrig handelnden Angreifers ließe sich ein deutlich überwiegendes Selbstverschulden des Opfers kaum begründen. Danach wäre eine Entschädigung nie zu versagen. Soll der Leistungsausschluß einen Sinn haben, kann nur ein Verhalten in Betracht kommen, das von der Rechtsordnung in ähnlicher Weise wie das des Angreifers mißbilligt wird. Wer sich zB bewußt auf eine Schlägerei einläßt, macht sich wie sein Kontrahent strafbar (vgl §§ 223 f, insbesondere auch § 227 Strafgesetzbuch -StGB-). Wird er dabei verletzt, kann er nicht als unschuldiges Gewaltopfer angesehen werden, das wegen eines Versagens der staatlichen Schutzvorkehrungen durch die Solidargemeinschaft zu entschädigen wäre (vgl die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zum OEG, BT-Drucks 7/2506, I, A, S 7 f; II, A, S 10; BSG SozR 3800 § 2 Nr 4). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist nunmehr ein ähnlicher Leistungsversagungsgrund vorgesehen: § 52 SGB V gibt in Abweichung von § 192 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF der Krankenkasse das Recht, nicht nur - wie früher - das Krankengeld, sondern sämtliche Leistungen zu versagen, wenn sich der Versicherte die Krankheit vorsätzlich oder bei einem Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen hat. Ein vorsätzliches Vergehen ist auch die bewußte Beteiligung an einer Schlägerei. Ebensowenig schutzwürdig wie derjenige, der sich an einer Schlägerei beteiligt, ist derjenige, der gerade im Begriff ist, dies zu tun, aber bereits zu Schaden kommt, bevor er selbst hat aktiv werden können. Denn er hat bereits damit einen rechtsfeindlichen Willen zum Ausdruck gebracht, der sein Recht verwirkt, die Solidargemeinschaft wegen der Folgen in Anspruch zu nehmen.

Anders liegt dagegen der Fall, daß jemand gerade eine Schlägerei vermeiden will und besänftigend auf den Angreifer einzuwirken versucht. Ein solches Verhalten wird von der Rechtsordnung nicht mißbilligt, sondern sogar gewünscht. Es braucht hier nicht allgemein entschieden zu werden, ob und unter welchen Umständen bereits fahrlässige Selbstgefährdung eine Entschädigung ausschließen kann: Wer den Rechtsfrieden oder die Rechtsordnung wahren oder verteidigen will, darf auch bewußt ein Risiko für sich eingehen. Der Gesetzgeber hat das Eingehen solcher Risiken sogar unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt. Nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO werden ua Personen geschützt, die einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternehmen, nach Buchst c dieser Vorschrift Personen, die sich bei der Verfolgung von Straftätern oder zum Schutz widerrechtlich Angegriffener persönlich einsetzen. Aber auch wer nur einem Angriff gegen sich selbst vorbeugen will und dabei nicht unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz steht, handelt in einer von der staatlichen Gemeinschaft erwünschten Weise. Ihr ist vorrangig an gewaltfreier Austragung von Konflikten gelegen. Sie verlangt nicht, sich unter allen Umständen der Anwendung von Gewalt zu enthalten und rechtswidriger Gewaltanwendung auszuweichen (zu Ausnahmen vgl BGH bei Dallinger MDR 1958, 12 f; RGSt 65, 163). Der Angegriffene darf sich, falls erforderlich, mit Gewalt wehren. Kommt er dabei zu Schaden, ist ihm in gleicher Weise Entschädigung zu gewähren, wie bei Schädigungen durch den Angriff selbst, was § 1 Abs 1 OEG ausdrücklich klarstellt (vgl dazu BSGE 52, 281, 284 = SozR 3800 § 2 Nr 3). Das mit der Verteidigung verbundene Schädigungsrisiko trägt das Opfer entgegen der 1. Alternative des § 2 Abs 1 OEG nicht selbst. Dann ist es nicht gerechtfertigt, ihm eine Entschädigung zu versagen, wenn es sich nicht mehr verteidigen konnte, weil es bereits bei dem Versuch, den Gewalttäter von einem Angriff abzuhalten, zu Schaden gekommen ist.

Wollte der Kläger - was das LSG offengelassen hat - auf die Aufforderung, vor das Lokal zu kommen, eine tätliche Auseinandersetzung gerade vermeiden, anstatt sich auf eine Schlägerei einzulassen, wäre ihm eine Entschädigung wegen Mitverursachung nicht zu versagen. Ferner ist nach den bisherigen Feststellungen auch nicht zu erkennen, daß nach § 2 Abs 1 2. Alternative OEG eine Entschädigung aus sonstigen Gründen unbillig wäre. In Betracht kommen können hier nur Gründe, die sich nicht mit dem unmittelbarem Tatbeitrag decken. Dazu gehört etwa das weitere Umfeld der Tat, insbesondere das Milieu, in dem sie geschehen ist. Der Gesetzgeber hat vor allem Personenkreise, die sich allgemein rechtsfeindlich verhalten, insbesondere Angehörige krimineller Vereinigungen, von Entschädigungen ausschließen wollen (vgl BSGE 49, 104, 110 mwN; ferner BSGE 58, 214). Auch aus der Vorgeschichte einer Gewalttat kann sich ein verwerfbares Verhalten des späteren Opfers ergeben, das zwar nicht als unmittelbar ursächlich zu werten ist, gleichwohl eine Entschädigung unbillig erscheinen lassen kann. Der Senat hat dies früher zum Ausdruck bringen wollen, indem er zwischen "erfolgsbedingenden" und "erfolgsfördernden", bzw "tatbezogenen" und "tatunabhängigen" Umständen unterschieden hat (BSGE 48, 104, 107; 57, 168, 169). Schließlich kann unter besonderen Umständen eine staatliche Entschädigung ihren Zweck verfehlen (vgl den Fall BSGE 57, 168, 169).

Das LSG wird zunächst festzustellen haben, in welcher Absicht der Kläger das Lokal verlassen hat. Dabei handelt es sich um eine sog innere Tatsache, deren Feststellung größere Schwierigkeiten macht, als es bei sog äußeren Tatsachen der Fall ist. Gleichwohl sind solche Feststellungen möglich. Sie werden vom Strafrichter bei Vorsatzdelikten stets verlangt. Über eine innere Tatsache wird in erster Linie der Betroffene selbst Auskunft geben können. Hier stellt sich im wesentlichen die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Insbesondere bei wechselnden Darstellungen - wie hier - kann nicht ohne weiteres die letzte Darstellung als glaubhaft angenommen werden. Zuverlässigere Rückschlüsse auf innere Tatsachen können oft schon aus dem äußeren Geschehensablauf gezogen werden, der so gut wie möglich aufzuklären ist.

Hier kann auch die Vorgeschichte der Tat bedeutsam sein, selbst wenn sie für sich einen Leistungsversagungsgrund nicht darstellt.

Mit der erneuten Entscheidung wird das LSG auch über die gesamten Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 115

NJW 1990, 1501

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