Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.06.1991)

SG Düsseldorf (Urteil vom 24.11.1989)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Juni 1991 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. November 1989 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin aufgrund eines Überprüfungsverfahrens zur Nachentrichtung von Beiträgen zuzulassen ist.

Die 1923 geborene Klägerin wohnt als israelische Staatsangehörige in Israel. Sie beantragte am 13. Juni 1983 durch ihren damaligen Bevollmächtigten R. … die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 12 der Vereinbarung vom 20. November 1978 zur Durchführung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel über Soziale Sicherheit (DV/DISVA – BGBl 1980 II 575). Mit Schreiben vom 19. August 1983 teilte ihr die Beklagte ua mit: Um den Antrag bearbeiten zu können, benötige sie insbesondere noch konkrete Angaben über die Beitragshöhe, den Nachentrichtungszeitraum sowie die Anzahl der Beiträge. Hierbei bitte sie, die beigefügte Anlage VA 1 – 42 „Wichtiger Hinweis für die Beitragswahl”) zu beachten. Für eine sachgerechte Antragstellung seien der Vordruck VA 4 – 20 und ein Hinweisblatt VA 4 – 21 beigefügt. Die hierin enthaltenen Ausführungen bitte sie unbedingt zu beachten. Über die einzelnen Möglichkeiten der Nachentrichtung von Beiträgen informiere das beiliegende Sondermerkblatt VA 4 – 22. Den vollständig ausgefüllten Antrag wolle sie (die Antragstellerin) bitte unter Beifügung einer Staatsangehörigkeitsbescheinigung (VA 1 – 21) … binnen sechs Monaten nach Zugang dieses Schreibens zurücksenden. Bei Nichteinhaltung der Frist werde der Antrag ggf abgelehnt werden.

Nach einer Verlängerung der Frist zur Vervollständigung des Antrags bis zum 31. Oktober 1984 lehnte die Beklagte den Nachentrichtungsantrag mit Bescheid vom 20. Februar 1985 ab. Innerhalb der Antragsfrist sei ein formloser Nachentrichtungsantrag gestellt worden, ohne daß Umfang und Höhe der nachzuentrichtenden Beiträge bestimmt und der Nachweis der Zugehörigkeit zum berechtigten Personenkreis erbracht worden sei. … Sie (die Beklagte) habe … die für eine sachgerechte Antragstellung erforderlichen Unterlagen mit Sammelsendung zugestellt und gebeten, den Antragsvordruck unter Beifügung einer Staatsangehörigkeitsbescheinigung zurückzusenden. Innerhalb der gesetzten Frist von sechs Monaten sei weder der ausgefüllte Antragsvordruck noch der Nachweis der israelischen Staatsangehörigkeit eingesandt worden. Sie habe daher die Berechtigung zur Nachentrichtung nicht feststellen können. Der Antrag müsse daher abgelehnt werden. Er könne auch nicht wiederholt werden, weil die Antragsfrist abgelaufen sei.

Die Klägerin erhob Widerspruch und legte im April 1985 den ausgefüllten Antragsvordruck vor. Sie gab an, die Nachentrichtung für die Zeit von Januar 1956 bis Juni 1980 (294 Monate) zu einem Monatsbeitrag von 77 DM (insgesamt 22.638 DM) vornehmen zu wollen. Ferner legte sie im Juli 1985 eine Bescheinigung über ihre israelische Staatsangehörigkeit vor. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21. November 1985 zurück, der bindend wurde.

Mitte 1988 stellte die Klägerin sinngemäß einen Überprüfungsantrag. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 3. August 1988 die Rücknahme des früheren Bescheides ab. Da die Widerspruchsstelle dem Widerspruch nicht stattgeben wollte, leitete die Beklagte ihn als Klage an das Sozialgericht (SG) weiter.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 24. November 1989 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) diese Entscheidung durch Urteil vom 7. Juni 1991 abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, den Bescheid vom 20. Februar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1985 zurückzunehmen und die Klägerin zur Nachentrichtung zuzulassen. Die Beklagte müsse den früheren Bescheid zurücknehmen, weil sie die Klägerin von der Nachentrichtung nicht habe ausschließen dürfen. In dem Aufforderungsschreiben vom 19. August 1983 sei keine wirksame Konkretisierungsfrist als Ausschlußfrist gesetzt worden. Aber selbst wenn man dies unterstelle, hätte die Beklagte den Antrag wegen Fristablaufs nicht endgültig ablehnen dürfen, weil sie nicht ausreichend auf die einschneidenden Rechtsfolgen einer Fristversäumnis hingewiesen habe. Darüber hinaus sei der Ausschluß von der Nachentrichtung aber auch dann rechtswidrig gewesen, wenn die Konkretisierungsfrist als Ausschlußfrist wirksam gesetzt worden sei. Die Frist habe als behördliche Frist verlängert werden können und bei der Klägerin verlängert werden müssen. Die Beklagte habe bei solchen Antragstellern, bei denen der Bevollmächtigte R. … die Aufforderungsschreiben nicht angenommen habe, längere Fristen eingeräumt als bei Antragstellern wie der Klägerin, für die R. … die Annahme der Aufforderungsschreiben nicht verweigert habe. Diese Unterscheidung sei nicht gerechtfertigt, weil erkennbar gewesen sei, daß R. … seine Tätigkeit für alle ursprünglich von ihm vertretenen Antragsteller eingestellt gehabt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie geltend macht: Das LSG sei von drei Urteilen des erkennenden Senats vom 15. August 1991 (12 RK 42/90 in BSGE 69, 198 = SozR 3-5750 Art 2 § 51a Nr 4 sowie 12 RK 41/90 und 12 RK 25/91) abgewichen. Danach sei in dem Aufforderungsschreiben die Konkretisierungsfrist wirksam gesetzt worden. Entgegen der Ansicht des LSG sei die Unterscheidung danach, ob der Bevollmächtigte R. … die Aufforderungsschreiben entgegengenommen habe oder nicht, sachgerecht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG vom 7. Juni 1991 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 24. November 1989 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie teilt die Ansicht des LSG, daß die Frist nicht je nach Annahme oder Nichtannahme der Aufforderungsschreiben durch den Bevollmächtigten unterschiedlich habe bemessen werden dürfen. Die Beklagte habe die Bevollmächtigten nach § 13 Abs 5, 6 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – (SGB X) zurückweisen müssen. Wenn erkennbar sei, daß sie die Rechte der Vertretenen nur unzureichend wahrnähmen, seien Fristversäumnisse den Antragstellern nach Treu und Glauben nicht zuzurechnen. Schließlich werde der erkennende Senat gebeten, seine frühere Ansicht zu überprüfen, wonach die für eine Vielzahl von Fällen gleichartig verfaßten Widerspruchsbescheide ausreichende Ermessenserwägungen enthielten.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des LSG hat es die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 3. August 1988 zu Recht abgelehnt, ihren früheren Bescheid nach § 44 SGB X zurückzunehmen und die Klägerin zur Nachentrichtung von Beiträgen zuzulassen. Denn der ursprüngliche Bescheid über die Ablehnung der Nachentrichtung vom 20. Februar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1985 war nicht rechtswidrig.

Die Klägerin gehört nach den Feststellungen des LSG zu dem Personenkreis, der nach Art 12 DV/DISVA iVm Art 2 § 51a Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) zur Nachentrichtung von Beiträgen berechtigt war. Ihr Nachentrichtungsverfahren war grundsätzlich in drei Schritten, nämlich der Antragstellung, der Konkretisierung und der Zahlung der Beiträge nach Erlaß des Zulassungsbescheides zu vollziehen (vgl BSGE 50, 16 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36; BSGE 60, 266, 268 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 66; BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nrn 76 und 77). Da der fristgerecht gestellte Antrag nicht voll erkennen ließ, ob die Klägerin zu dem in Art 3 Abs 1 DISVA bezeichneten Personenkreis zählte, und auch die erforderlichen Angaben über den Nachentrichtungszeitraum sowie die Anzahl der Beiträge und die Beitragshöhe nicht enthielt, hat die Beklagte in ihrem Schreiben vom 19. August 1983 unter Fristsetzung zu entsprechenden Angaben aufgefordert. Dieses Schreiben enthielt, wie der Senat in drei Urteilen vom 15. August 1991 (12 RK 42/90 in BSGE 69, 198 = SozR 3-5750 Art 2 § 51a Nr 4, ferner 12 RK 41/90 und 12 RK 25/91) zu den dort verwendeten inhaltlich gleichen Schreiben der Beklagten bereits entschieden hat, auch eine wirksam gesetzte Konkretisierungsfrist als Ausschlußfrist. Mit den hiergegen vom LSG im vorliegenden Verfahren geäußerten Bedenken hat sich der Senat inhaltlich schon in seinen früheren Urteilen auseinandergesetzt und ist ihnen nicht gefolgt. Der Senat hält an seiner Auffassung fest.

Nachdem die sechsmonatige und dann bis Oktober 1984 verlängerte Konkretisierungsfrist fruchtlos verstrichen war, durfte die Beklagte die Klägerin von der Nachentrichtung ausschließen. Das ist in dem Bescheid vom 20. Februar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1985 rechtsfehlerfrei geschehen. Auf Seite 5 ihres Widerspruchsbescheides hat die Beklagte eingehend begründet, warum sie der Klägerin keine weitere Verlängerung der Konkretisierungsfrist bewilligt hat. Zu Unrecht macht die Klägerin geltend, daß es sich insoweit um ein Vordruckschreiben handele, das mit gleichem Inhalt für sämtliche Antragsteller verfaßt worden sei und daß eine individuelle, auf die Person des Antragstellers abgestellte Abwägung gegenseitiger Interessen offensichtlich nicht vorliege. Ob es sich bei dem siebenseitigen, einzeilig beschriebenen Widerspruchsbescheid, den die Beklagte der Klägerin erteilt hat, tatsächlich um einen gleichlautend auch allen anderen Antragstellern erteilten Bescheid handelt, kann dabei offen bleiben. Jedenfalls hatte die Beklagte zu Ausführungen über eine Fristverlängerung wegen persönlicher, nur bei der Klägerin vorliegender Umstände keinen Anlaß, weil solche nicht geltend gemacht worden und auch sonst für die Beklagte nicht ersichtlich waren.

Der Senat vermag dem LSG und der Klägerin auch nicht darin zu folgen, daß die Beklagte aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zwischen Antragstellern habe unterscheiden dürfen, für die der Bevollmächtigte R. … – wie bei der Klägerin – die Aufforderungsschreiben angenommen hatte und für die er sie nicht entgegengenommen hatte. Vielmehr beruht diese Unterscheidung auf den im Widerspruchsbescheid dargelegten sachlichen Gründen, so daß die Beklagte nicht gezwungen war, Antragstellern wie der Klägerin gleich lange Konkretisierungsfristen einzuräumen wie denjenigen, bei denen R. … die Entgegennahme der Aufforderungsschreiben verweigert hatte und denen die Beklagte daher erst in neuen, an sie persönlich gerichteten Schreiben eine Konkretisierungsfrist gesetzt hatte. Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, daß die Konkretisierungsfrist bei Antragstellern wie der Klägerin mit der Entgegennahme der Aufforderungsschreiben durch R. …, bei den anderen hingegen erst durch den Zugang der persönlichen Anschreiben in Lauf gesetzt worden ist und daß sie beiden Gruppen die Frist einmal, und zwar geräumig – der ersten bis Oktober 1984, der zweiten bis April 1985 -verlängert hat. Aus etwaigen Versäumnissen des ursprünglich bevollmächtigten R. …, dem die Klägerin eine schriftliche Vollmacht erteilt hatte, kann, auch wenn R. … bei vielen Antragstellern säumig gewesen sein sollte, nicht hergeleitet werden, daß die Behandlung der Anträge durch die Beklagte fehlerhaft gewesen sei und sie rechtlich verpflichtet gewesen sei, Antragstellern wie der Klägerin nunmehr eine zweite Fristverlängerung zu bewilligen. Dieses hätte, wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid ebenfalls ausgeführt hat, möglicherweise eine Bevorzugung gegenüber den persönlich angeschriebenen Antragstellern bedeutet, denen nur eine einmalige Fristverlängerung zugebilligt worden war. Es verstößt entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht gegen Treu und Glauben, wenn sich die Beklagte auf die Wirksamkeit der gesetzten und geräumig verlängerten Konkretisierungsfrist gegenüber dem schriftlich bevollmächtigten und bei ihr auch im Jahre 1984 noch tätig gewordenen R. … beruft. Sie hat auch die Interessen der Versichertengemeinschaft zu beachten, der es nicht zugemutet werden kann, daß Nachentrichtungsberechtigten, deren Bevollmächtigte zahlreiche Mandate übernehmen und dann untätig bleiben, über ausreichend bemessene und großzügig verlängerte Fristen hinaus wegen Untätigkeit ihrer Bevollmächtigten noch weitere Fristverlängerungen eingeräumt und damit die Nachentrichtungsfristen ausgehöhlt werden. Wegen der nachteiligen Folgen eines etwaigen Fehlverhaltens ihres früheren Bevollmächtigten müssen sich die Antragsteller vielmehr an diesen halten.

Soweit die Klägerin in ihrer Revisionserwiderung vorbringt, die Beklagte habe frühere Bevollmächtigte aus Israel wegen ihrer mangelnden Befugnis, geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten zu besorgen, oder wegen offensichtlicher Unfähigkeit nach § 13 Abs 5 oder Abs 6 SGB X vom Verwaltungsverfahren ausschließen müssen, handelt es sich um neuen Vortrag in der Revisionsinstanz. Er kann wegen der Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) nicht berücksichtigt werden. Deshalb braucht nicht geprüft zu werden, welche Rechtsfolgen sich aus den von der Klägerin behaupteten neuen Tatsachen ergeben würden, wenn sie zutreffend wären.

Hiernach erwies sich die Revision der Beklagten als begründet. Deshalb war das Urteil des LSG aufzuheben und das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172979

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