Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch einer Krankenkasse auf Erstattung des an eine inzwischen verstorbene Versicherte für die Dauer einer stationären Krankenhausbehandlung bar geleisteten Hausgeldes

 

Normenkette

RVO § 1545 Abs. 1 Nr. 2; SGG § 73 Abs. 2; RVO § 186 Abs. 3

 

Tenor

Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. März 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Hausgeld, das sie an die inzwischen verstorbene Versicherte gezahlt hat.

Von Oktober 1967 an gewährte die Klägerin der Versicherten stationäre Krankenhausbehandlung und sprach ihr zugleich für die Dauer der Behandlung als Barleistung Hausgeld zu. Der Bruder der Versicherten stellte Ende 1967 den Antrag, ihr Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zu bewilligen. Am 17. Januar 1968 starb sie. Ihre Mutter, die zu der damaligen Zeit mit ihr in häuslicher Gemeinschaft gelebt hatte, stellte im Februar 1968 bei der Beklagten den Antrag, das Verfahren fortzusetzen.

Das Verlangen der Klägerin, an sie die der Versicherten zustehende Rente bis zur Hohe des von ihr gewährten Hausgeldes zu zahlen, lehnte die Beklagte ab.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. März 1972). Nach § 1545 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - so heißt es in den Gründen der Entscheidung - seien Leistungen aus der Rentenversicherung nur auf Antrag festzustellen. Ein solcher Antrag liege nicht vor. Der vom Bruder der Versicherten gestellte Antrag sei unwirksam, weil es an der schriftlichen Vollmacht fehle. § 73 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sei analog anzuwenden.

Das SG hat die Berufung zugelassen, die Klägerin hat Sprungrevision eingelegt.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zum Ersatz ihrer Aufwendungen im Rahmen des § 183 Abs. 3, 5 RVO zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Klägerin hat in der Revisionsinstanz eine Sterbeurkunde vorgelegt, aus der sich ergibt, daß die Mutter der Versicherten am 9. Oktober 1973 verstorben ist. Deren Erben - so trägt sie vor - hätten den Rentenanspruch an sie abgetreten.

Die Revision hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht weder ein eigener Anspruch gegen die Beklagte zu, noch hat sie aus anderen Gründen das Recht, das Rentenverfahren - sei es im eigenen Namen oder für einen Rechtsnachfolger der Versicherten - in Gang zu bringen oder ein bereits anhängiges Verfahren fortzusetzen.

Die Versicherte hat während ihrer stationären Krankenhausbehandlung von der Klägerin Hausgeld bezogen. Dies war die Leistung, die die Krankenkasse bis zum Inkrafttreten des 2. Krankenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1970 (BGBl I, 1770) als Barleistung bei stationärem Krankenhausaufenthalt nach § 186 RVO zu erbringen hatte. In diesem Fall war - wie heute bei der Gewährung von Krankengeld - nach § 186 Abs. 3 RVO, der durch Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I, 913) eingefügt worden war, § 183 RVO entsprechend anzuwenden. Nach Absatz 3 dieser Vorschrift endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird. Der Anspruch auf Rente geht bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Kasse über, wenn über den vorbezeichneten Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden ist. Entsprechendes gilt bei Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit (§ 183 Abs. 5 RVO). Voraussetzung dafür, daß ein solcher Forderungsübergang in Betracht kommt, ist also die Zubilligung der Rente. Das bedeutet, daß entweder ein Festsetzungsbescheid des Rentenversicherungsträgers ergangen (vgl. § 1631 RVO) oder eine entsprechende Verurteilung des Versicherungsträgers ausgesprochen worden ist. Dies hat der Senat in seiner - zur Veröffentlichung vorgesehenen - Entscheidung vom 11. Juli 1974 (4 RJ 225/73) bereits ausgesprochen. Er hält an der dort vertretenen Auffassung nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage fest. In dem zu entscheidenden Fall fehlt es an einer Zubilligung der Rente, ein Forderungsübergang konnte deshalb nicht stattfinden.

Der Gesetzgeber hat es aber nicht nur unterlassen, dem Träger der Krankenversicherung bei fehlender Zubilligung der Rente einen eigenen materiell-rechtlichen Anspruch zuzugestehen, er hat ihm darüber hinaus auch nicht das Recht eingeräumt, für oder anstelle des Berechtigten das Verfahren in Gang zu setzen oder ihm Fortgang zu geben. Daß dem Gesetzgeber die Möglichkeit einer solchen Regelung nicht fremd ist, folgt aus den §§ 1531 ff RVO - hier insbesondere aus § 1538 RVO - und - gerade für den Träger der Krankenversicherung - aus § 1511 RVO. Diese Vorschrift gibt der Krankenkasse ausdrücklich das Recht, die Feststellung der Unfallentschädigung zu betreiben und auch Rechtsmittel einzulegen. Wäre eine Regelung dieser Art im Rahmen des § 183 RVO beabsichtigt gewesen, so hätte es nahegelegen, dieser Absicht ebenfalls durch einen entsprechenden Gesetzeswortlaut Ausdruck zu verleihen. Davon hat der Gesetzgeber jedoch - nach den vorstehenden Erwägungen offensichtlich bewußt - abgesehen. Er hat in § 183 Abs. 7 RVO für den Fall, daß der Versicherte sich ohne Grund weigert, den Antrag auf Rente zu stellen, eine andere Regelung getroffen, dahingehend nämlich, daß der Träger der Krankenversicherung nach Ablauf von sechs Wochen, gerechnet vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit an, dem Versicherten eine Frist von vier Wochen setzen kann, innerhalb deren er den Antrag auf Rente zu stellen hat. Erst nach Ablauf der Frist entfällt der Anspruch auf Krankengeld, wenn der Rentenantrag nicht gestellt wird. Aus dieser Vorschrift wird deutlich, daß der Gesetzgeber von einer umfassenden Berücksichtigung der Interessen der Krankenkasse absehen und ihr lediglich eine mittelbare Einwirkungsmöglichkeit in bezug auf das Rentenverfahren einräumen wollte.

Auch diese Auffassung hat der Senat in der zitierten Entscheidung bereits zum Ausdruck gebracht, wenn auch nur für den Fall, daß der Versicherte nach Erteilung des ablehnenden Rentenbescheides das Verfahren nicht fortgesetzt hat.

Davon ausgehend scheint es kaum vertretbar zu sein, zu einer unterschiedlichen Beurteilung zu gelangen, je nachdem, ob der Versicherte selbst es unterläßt, den Rentenantrag zu stellen bzw. das Verfahren fortzusetzen oder aber, ob sein Rechtsnachfolger sich so verhält. Die Rechtsposition der Krankenkasse würde, wollte man ihr in diesem Fall das Recht zubilligen, sich in das Verfahren einschalten oder gar es einleiten zu können, in einem vom Gesetzgeber nicht gebilligten Umfang erweitert werden. Die in § 183 Abs. 7 RVO getroffene Regelung wäre wenig verständlich, wenn man darin nur ein Recht der Krankenkasse, nicht aber zugleich auch eine Begrenzung ihrer Befugnisse sehen wollte. Diese gehen nach der Meinung des Senats über die dort angezeigten Möglichkeiten nicht hinaus. Ein Vergleich insbesondere mit § 1511 RVO - darauf ist bereits hingewiesen worden - macht dies deutlich. Von einer Lücke im Gesetz für den Fall des Todes des Versicherten - sei es daß dieses Ereignis vor oder nach Antragstellung eintritt -, die der Ausfüllung bedrürfte, in dem Sinne etwa, daß die Krankenkasse dann berechtigt sein soll, an die Stelle des Versicherten zu treten, wird daher nur schwerlich ausgegangen werden können. Es wird regelmäßig dabei sein Bewenden haben müssen, daß ein unmittelbares Recht der Krankenkasse, das Verwaltungsverfahren bzw. das gerichtliche Verfahren fortzusetzen, nicht besteht. Das BSG (3. Senat) hat allerdings dahin entschieden, daß es anders sein müsse, wenn der Versicherte während des Verfahrens gestorben und ein Rechtsnachfolger nicht an seine Stelle getreten sei oder der Rechtsnachfolger es unterlassen habe, das Rentenfeststellungsverfahren zu betreiben (vgl. SozR Nr. 26 zu § 183 RVO; Urteil vom 27. April 1973 - 3 RK 57/71 -). Dies mag jedoch auf sich beruhen. Der zu entscheidende Fall liegt nicht so. Die Mutter der Versicherten, die mit dieser zur Zeit ihres Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt hatte und nach § 1288 RVO zur Fortsetzung des Verfahrens berechtigt war, hat ausdrücklich beantragt, über den Rentenantrag zu entscheiden. Sie hat dadurch- auch wenn man der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG folgt -verhindert, daß ein Recht der Krankenkasse, sich in das Verfahren einzuschalten, zur Entstehung gelangen konnte. Bei dieser Betrachtungsweise spielt es keine Rolle, ob die von der Klägerin vorgelegte Sterbeurkunde in der Revisionsinstanz berücksichtigt werden kann oder ob sie unbeachtet zu bleiben hat.

Der neue Sachvortrag der Klägerin, die Erben der Mutter der Versicherten hätten den Rentenanspruch an sie - die Klägerin - abgetreten, kann jedenfalls im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden. Diese Behauptung kann nicht ohne weiteres als unstreitig oder gar als unbestreitbar angesehen werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Beklagte sowohl Einzelheiten hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten Erbfolge als auch das Vorbringen hinsichtlich der Forderungsabtretung bestreiten wird (vgl. zur Frage der Verwertung neuen Sachvortrags in der Revisionsinstanz BGH in MDR 1974, 479 mit weiteren Hinweisen).

Nach alledem kann offen bleiben, ob ein Rentenantrag vorliegt oder ob - wie das SG angenommen hat - der Antrag wegen der möglicherweise fehlenden Bevollmächtigung des Bruders der Versicherten nicht wirksam gestellt worden ist. Dafür, daß die Krankenkasse anstelle der Versicherten zur Stellung eines Rentenantrags berechtigt sein könnte, ergibt sich aus dem Gesetz kein Anhalt.

Das SG hat hiernach die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.

 

Unterschriften

Penquitt, Vorsitzender Richter

Geyser, Richter

Müller, Richter

 

Fundstellen

BSGE, 198

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