Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Überleitungsanspruch gem § 93 Abs 1 SGB 12. Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige. höchstpersönliche Leistung. Sittenwidrigkeit einer Vertragsklausel. Leibgedingevertrag. Vertrag zu Lasten Dritter. Ermessen

 

Orientierungssatz

1. Eine Überleitung von Ansprüchen gem § 93 Abs 1 SGB 12 ist nicht deshalb rechtswidrig, weil ein übergeleiteter Anspruch nicht besteht. Nur wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich ausgeschlossen ist, könnte eine dennoch erlassene, erkennbar sinnlose Überleitungsanzeige rechtswidrig sein (vgl BVerwG vom 27.5.1993 - 5 C 7/91 = BVerwGE 92, 281, LSG Essen vom 9.11.2005 - L 20 (12) B 38/05 SO ER). Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang ein übergeleiteter Anspruch tatsächlich gegeben ist, obliegt den Zivilgerichten.

2. Eine Überleitungsanzeige ist nur dann rechtswidrig, wenn sie sinnlos wäre (sog Negativevidenz).

3. Eine Verpflichtung zu höchstpersönlichen Leistungen aus einem notariellen Vertrag kann sich in eine Zahlungsverpflichtung gewandelt haben.

4. Es ist nicht nur dann von der Sittenwidrigkeit einer Klausel im notariellen Vertrag gem § 138 Abs 1 BGB auszugehen, wenn beim Verzicht Bedürftigkeit des Verzichtenden bereits vorlag oder als sicher bevorstehend erkannt wurde (vgl BGH vom 17.9.1986 - IVb ZR 59/85 = MDR 1986, 1003).

5. Bei der Vertragsklausel in einem Leibgedingevertrag, wonach gerade für den Fall der kostenintensiven Pflegeheimunterbringung eine Leistungspflicht eines Vermögensübernehmers ausgeschlossen wird, so dass, soweit kein weiteres Vermögen und ausreichendes Einkommen beim Sozialhilfeempfänger vorhanden ist, auf jeden Fall der Sozialhilfeträger einspringen müsste, handelt es sich zwar nicht um einen Vertrag zu Lasten Dritter, die Wirkungen sind jedoch mit einem solchen identisch.

6. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind sowohl das öffentliche Interesse an einer Überleitung der Ansprüche wie auch die Interessen des Vermögensübernehmers, jedoch nicht die wirtschaftlichen, sondern vielmehr soziale bzw familiäre Verhältnisse, zu berücksichtigen.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.02.2007 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 02.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2006 abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist der Übergang von Ansprüchen einer leistungsberechtigten Person gegen einen Anderen auf den Beklagten.

Der Beklagte gewährte dem leistungsberechtigten, seit März 1998 in einem Pflegeheim lebenden B. S. (S.) u.a. ab 01.09.2005 Hilfe zur Pflege (§ 61 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch -SGB XII-) und Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 35 SGB XII) aufgrund eines Bewilligungsbescheides vom 30.11.2005. Bis zur Heimunterbringung wohnte S. auf dem Grundstück und im Haus seines Sohnes, des Klägers, das u.a. S. aufgrund eines notariellen Vertrages vom 05.06.1991 dem Kläger überlassen hatte. S. war in diesem Haus ein Wohnrecht eingeräumt worden, der Kläger hatte im Gegenzug die anfallenden Kosten zu tragen und S. zu versorgen. Gemäß IV.c des Vertrages waren die vereinbarten Pflegeleistungen nur zu erbringen, solange der Berechtigte (S.) im Vertragsanwesen wohnt und die Pflege ohne Inanspruchnahme einer bezahlten Pflegeperson möglich ist. Für den Fall, dass der Veräußerer (S.) in einem Pflegeheim, Altersheim, einer Krankenanstalt oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht wird, ruhen für den Betroffenen (S.) auf die Dauer seiner Unterbringung alle ... vereinbarten Leibgedingsrechte, ohne dass der Erwerber (Kläger) dafür einen Ausgleich bzw. einen Ersatz zu leisten hat (sog. Wegzugsklausel).

Auf Anhörung wegen einer Überleitung von Ansprüchen hin teilte der Kläger dem Beklagten mit, Verpflichtungen bestünden ausdrücklich bei Unterbringung in einem Pflegeheim nicht. Der Übergabevertrag habe keineswegs das Ziel gehabt, bewusst eine Entlastung auf Kosten der Allgemeinheit herbeizuführen. Im Übrigen sei er nur zu persönlichen Dienstleistungen verpflichtet gewesen und seine finanzielle Belastung sei auf seine Leistungsfähigkeit begrenzt gewesen.

Mit Bescheid vom 02.01.2006 zeigte der Beklagte dem Kläger gegenüber an, dass der Anspruch des S. aus dem materiellen Vertrag vom 05.06.1991 ab 01.09.2005 auf den Beklagten übergeleitet werde (244,55 EUR monatlich). Ähnlich einem Leibgedingsvertrag sei hier Grundbesitz im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen worden und im Gegenzug sollten Grundbedürfnisse des täglichen Lebens und der Lebensabend abgesichert werden. Die Regelung zum Entfallen der Verpflichtung des Klägers beim Wegzug zeige, dass mit einem Heimaufenthalt gerechnet worden sei.

Es sei auch unstreitig, dass S. nach Weggabe eines wesentlichen Teiles seines Vermögens eine Pflegeheimunterbringung nicht mehr bestreiten könne. Die Wegfallklausel habe das Ziel gehabt, die Allgemeinheit im Bedarfsfall belasten zu können. Die durch den Wegzug...

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