UV-Tagegeldanspruch endet nicht mit letztem Arzttermin

Die private Unfallversicherung soll Einkommensverluste ausgleichen, die aufgrund eines Unfalls entstehen. Maßgeblich für die Bezugsdauer von Tagegeld ist die Dauer der ärztlichen Behandlung. Doch wann endet die? Dieser Frage ist der BGH nachgegangen.

Ein Versicherungsnehmer hatte sich bei einem Unfall am Finger verletzt. Wegen des Unfalls war er bei einem Facharzt in Behandlung. Der letzte Arzttermin war am 16. Juni 2016. Weil der Mann aber nach wie vor an einem Bewegungsdefizit litt, verschrieb ihm der Arzt noch zehn Mal Krankengymnastik.

Versicherung will Tagegeld nur bis zum letzten Arzttermin zahlen

Mit seiner privaten Unfallversicherung stritt der Mann um die Frage, ob er auch für den Zeitraum der Krankengymnastik noch Anspruch auf Tagegeld hat. Die Versicherung sah das nicht so und leistete nur bis zum 16. Juni, also bis zu dem letzten Arzttermin des Mannes.

Das OLG Nürnberg hatte die Auffassung vertreten, dass der Anspruch auf Tagegeld mit dem letzten persönlichen Arzttermin ende und verwies dabei auf Ziffer 2.5.2 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2008):

„Das Tagegeld wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung, längstens für ein Jahr, vom Unfalltag an gerechnet, gezahlt.“

In den Bedingungen komme zum Ausdruck, dass weder die Behandlung durch Physiotherapeuten noch durch Heilpraktiker oder Masseure unter diesen Begriff fielen. Treffe der Arzt die Aussage, dass die versicherte Person wegen der unfallbedingten Verletzung nicht wiederkommen müsse, so werde diese aus der ärztlichen Verantwortung und Fürsorge entlassen.

BGH: Tagegeldanspruch besteht für die Dauer der ärztlich angeordneten Behandlungsmaßnahmen

Dieser Einschätzung schloss sich der BGH nicht an:

  • Nach Ansicht der Richter endet die nach Ziffer 2.5 AUB 2008 für den Anspruch auf Tagegeld maßgebliche ärztliche Behandlung nicht stets mit der letzten Vorstellung beim Arzt.
  • Sie umfasst vielmehr regelmäßig die Dauer der von dem Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen.

Behandlung kann Therapiemaßnahme wie Medikamenteneinnahme oder Krankengymnastik umfassen

Ein Versicherungsnehmer werde die Ziffer 2.5.2 AUB 2008 dahingehend verstehen, dass es zwar in erster Linie auf das Handeln des Arztes ankomme, dass aber im Regelfall auch etwaige vom Arzt angeordnete Behandlungsmaßnahmen wie die Einnahme von verschriebenen Medikamenten oder die Durchführung einer Therapie einzubeziehen seien. Dabei würden Versicherungsnehmer dies unabhängig davon betrachten,

  • ob derartige Behandlungsmaßnahmen nach dem letzten Arztbesuch stattfinden oder
  • ob Dritte bei ihrer Durchführung tätig werden und
  • inwieweit der Arzt Maßnahmen selbst spezifiziert oder ihre konkrete Ausgestaltung einem Dritten überlassen hat

– so wie im Streitfall durch die Verordnung von zehn Mal Krankengymnastik.

Anspruch auf Tagegeld unabhängig davon, ob am Ende einer Behandlung durch Dritte ein Arztbesuch steht

Ein Versicherungsnehmer werde es als von den Zufällen des Einzelfalls abhängig und deshalb unerheblich ansehen, ob nach Einnahme des verschriebenen Medikaments oder nach der Durchführung der Therapie ein weiterer Arztbesuch zur Kontrolle stattfinde, bei dem der Arzt den Versicherten ausdrücklich aus seiner Fürsorge entlasse, oder ob die verordnete Behandlung ohne solch einen Kontrollbesuch ende.

Der für ihn erkennbare Zweck des Tagegeldes – den Ausgleich unfallbedingt erlittener Einkommensverluste – stütze den Versicherungsnehmer bei diesem Verständnis.

Abschluss der ärztlichen Therapie, nicht der letzte Arzttermin, ist entscheidend

Diese Auslegung entspreche der in der Rechtsprechung und im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung, die auf den Abschluss der ärztlichen Therapie abstelle, und hierzu die Dauer einer vom Arzt verordneten Medikation oder therapeutischen Maßnahme zähle.

(BGH, Urteil v. 4.11.2020, IV ZR 19/19).

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