Schutzbekleidung auf dem Motorrad und Mitverschulden

Das Unfallrisiko für Zweiradfahrer ist - gegenüber Autoinsassen - 16-mal höher. Ein Grund für den oft schwerwiegenden Ausgang von Motorradunfällen ist 1., dass Autofahrer sie oft übersehen und 2. die oft nicht ausreichende Schutzkleidung. Rechtfertigt fehlende Schutzkleidung einen Abschlag beim Schmerzensgeld wegen  Mitverschulden?

Der Fahrer einer Harley trug keine schützende Beinkleidung, als er von einem Auto erfasst wurde. Begründete das schon eine Mitschuld an dem Unfall?

Motorradfahrer fuhr ohne Schutzkleidung an den Beinen

Ein Autofahrer verursachte den Unfall, aber seine Haftpflichtversicherung sah eine Mitschuld bei dem Fahrer der Harley Davidson, weil dieser zwar einen Helm aber keine Schutzkleidung an den Beinen getragen hatte. Das Amtsgericht hatte entschieden, dass den Motorradfahrer kein Mitverschulden (§9 StVG, § 254 BGB) treffe.

Keine einheitliche Rechtsprechung zum Tragen von Schutzkleidung

Ob das Nichttragen von Motorradschutzkleidung – etwa Lederhosen und Protektoren – als Mitverschulden zu berücksichtigen ist, wird von der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Klar ist nur, dass das Tragen eines Schutzhelms gesetzlich vorgeschrieben ist (§21a Abs. 2 StVO).

Für Schutzkleidung gibt es keine vergleichbare Regelung. Allein deswegen könne aber ein Mitverschulden des Motorradfahrers nicht verneint werden. Denn

  • die Sorgfaltspflicht von Verkehrsteilnehmern richtet sich nicht allein nach geschriebenen Normen.
  • Maßstab ist, ob der Verletzte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt.

Bestehen eines Verkehrsbewusstseins entscheidend

Der BGH hat dazu bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 1979 festgestellt, dass grundsätzlich maßgeblich ist, ob und inwieweit ein allgemeines Verkehrsbewusstsein besteht, zum eigenen Schutz bestimmte Schutzkleidung zu tragen (BGH, Urteil v. 30.01.1979, VI ZR144/77).

Das LG Frankfurt wies darauf hin, dass vor diesem Hintergrund teilweise die Notwendigkeit von Motorradschutzkleidung an den Beinen bejaht werde. Diese Sichtweise sei aber nicht überzeugend: Sie stütze sich nicht auf eine positive Erkenntnis des allgemeinen Verkehrsbewusstseins.

  • Vielmehr beruhe diese Ansicht allein aufgrund der Feststellung, dass das Tragen von Motorradschutzkleidung das Verletzungsrisiko reduziere,
  •  Das rechtfertige aber noch nicht die Behauptung,
  • die meisten Motorradfahrer empfänden es heute als eine persönliche Verpflichtung, nur mit Schutzkleidung zu fahren.

Erhöhtes Verletzungsrisiko begründet noch kein allgemeines Verkehrsbewusstsein

Das Gericht befand vielmehr, dass ein allgemeines Verkehrsbewusstsein weder aus dem Verletzungsrisiko, noch aus dem Erkenntnisstand über die verbesserte Sicherheit durch Schutzkleidung oder die Empfehlung von Verbänden hergeleitet werden könne. Diese Schlussfolgerung würde nämlich im Umkehrschluss darauf hinauslaufen,

  • ein Mitverschulden generell dann zu bejahen,
  • wenn der Geschädigte objektiv sinnvolle und allgemein zugängliche Schutzmöglichkeiten nicht gewählt habe.

Abstellen auf erhöhte Sicherheit brächte ausufernde Mitverschuldenseinwand 

Ein alleiniges Abstellen auf wirksame Schutzmaßnahmen müsste  - so das Gericht - auch zum Beispiel durch das Nichttragen eines Helms beim Radfahren oder das Weglassen von Oberkörperprotektoren beim Skifahren immer und ausnahmslos ein Mitverschulden begründen.

Damit aber würde der Mitverschuldenseinwand von einem Verschulden gegen sich selbst in eine darüber hinausgehende, anderen Verkehrsteilnehmern gegenüber bestehende Obliegenheit hochgestuft. Dies widerspräche der Systematik der § 9 StVG, § 254 BGB und bestehender höchstrichterlicher Rechtsprechung.

LG sah kein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Beinschutzkleidung

Im vorliegenden Fall vermochte das Gericht kein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Schutzkleidung an Beinen festzustellen. Nach Auskunft der Bundesanstalt für Straßenwesen trugen im Unfalljahr 2014 einer Umfrage zu Folge 43 % der Befragten schützende Beinkleidung. Dieser Prozentsatz sei nicht ausreichend, um daraus ein allgemeines Verkehrsbewusstsein abzuleiten. Fazit: Die Versicherung muss die vollen Schmerzensgeldkosten leisten und darf diese nicht wegen eines Mitverschuldens kürzen.

(LG Frankfurt a. M., Urteil v. 07.06.2018, 2-01 S 118/17).

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Hintergrund:

Fehlende Norm zur Pflicht von Schutzkleidung spielt keine Rolle

Andere Ansicht war z.B. schon 2009 das OLG Brandenburg: Dass es noch keine Norm gibt, die vorschreibt, Motorradkleidung zu tragen, ändere nichts an der Tatsache, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens eine Schutzkleidung trägt. Verzichtet er darauf, gehe er im Falle eines Unfalls bewusst ein erhebliches Verletzungsrisiko ein, so das Gericht. Deshalb sei es sachgerecht, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ein Verschulden gegen sich selbst zu berücksichtigen (Brandenburgisches OLG, Urteil v. 23.07.2009, 12 U 29/09)

Schlagworte zum Thema:  Schmerzensgeld, Verkehrsunfall