Halterhaftung: Verkehrsunfall mit unbekanntem Fahrer

Wer bei einem Autounfall den Fahrer und das Kennzeichen des anderen beteiligten Fahrzeugs nicht kennt, kann dennoch Schadensersatz erhalten. Voraussetzung dafür ist, dass es schlüssige Hinweise auf den Halter gibt, wie beispielsweise eine Firmenaufschrift, ein Logo oder eine Internetadresse.

Ein Mann war mit zwei Mitfahrern nachts zügig auf der mittleren Spur einer dreispurigen Autobahn unterwegs. Zwischen 170 und 180 km/h fuhr er schnell, als sich der Unfall ereignete. Ein Lkw, der kurz vor dem Mann fuhr, wechselte unvermittelt von der rechten auf die mittlere Spur und zwang somit den Pkw-Fahrer auf die linke Fahrbahn auszuweichen. Bei dieser Ausweichaktion verlor der Pkw-Fahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug. Das Auto kollidierte mit der linken Betonleitwand und überschlug sich. Der Fahrer wurde bei dem Unfall lebensgefährlich verletzt.

Identität des unfallbeteiligten Lkw-Fahrers nicht geklärt

Der Lkw-Fahrer hielt nach dem Unfall zwar zunächst an, fuhr aber nach etwa elf Minuten weiter, ohne dass Feststellungen zu seiner Person und zu seinem Fahrzeug möglich waren. Der Unfall wurde von einer am Unfallort installierten Videokamera aufgezeichnet, allerdings war es nicht möglich, auf den Aufzeichnungen das Nummernschild des Lasters zu erkennen.

Der Kläger machte gegen die Beklagte, eine Spedition mit Sitz in Italien, Ansprüche in Höhe von 50 Prozent des erlittenen Schadens geltend. Der Fahrer des Fahrzeugs konnte nicht bestimmt werden. Klar war nur, dass am Unfalltag insgesamt drei Laster der beklagten Spedition die Autobahn im Bereich der Unfallstelle befahren hatten. Alle drei vernommenen Fahrer gaben bei der Polizei allerdings an, nicht an einem Unfall beteiligt gewesen zu sein.

Das Landgericht Darmstadt hatte die Klage abgewiesen. Begründung: Der Kläger könne nicht beweisen, dass der am Unfall beteiligte Lkw zur beklagten Spedition gehöre. Das Oberlandesgericht Frankfurt sah das anders und gab der Berufung des Klägers statt. Dem Kläger steht gemäß § 12 Abs. 5 PflVG ein Aufwendungsersatzanspruch zu, unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils des Geschädigten von 50 Prozent.

Sekundäre Darlegungslast der Spedition

Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei davon auszugehen, dass die Beklagte die Halterin des unfallbeteiligten Lkws sei. Die beklagte Spedition habe ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt.

Voraussetzung für das Eingreifen der Rechtsfigur der sekundären Darlegungslast ist (vgl. BGH, Urteil v. 4.3.2004, I ZR 200/01), dass der Kläger als primär Darlegungspflichtiger hinreichende Anhaltspunkte vorträgt, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Haltereigenschaft des Beklagten nahelegen. Dies sei hier geschehen. Denn aus den Videoaufzeichnungen, die der Kläger vorgelegt hat, sei ohne Zweifel ersichtlich, dass der unfallbeteiligte Lkw die Firmenaufschrift der beklagten Spedition trage sowie das Logo und die Internetadresse. Dies spreche deutlich für eine Haltereigenschaft der beklagten Spedition.

Der hiernach ausgelösten sekundären Darlegungslast habe die Beklagte nicht genügt:

  • Die Spedition war im Rahmen des Zumutbaren verpflichtet, in ihrem Geschäftsbetrieb nachzuforschen und mitzuteilen, welche Kenntnisse sie zu einer eventuellen Unfallbeteiligung gewonnen hat.
  • Dieser Verpflichtung ist sie nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen.
  • Der Rechtfertigung der Spedition, es sei ihr aufgrund der zur Verfügung stehenden Daten nicht möglich gewesen zu ermitteln, welche Lastwagen sich am Unfalltag am Unfallort befunden hätten, wollte das Gericht nicht folgen.

Grob schuldhaftes Verhalten des Lkw-Fahrers

Die beklagte Spedition haftet als Halterin des am Unfall beteiligten Lkws nach §§ 7 Abs. 1, 17 StVG. Das Gericht kam nach der Beweisaufnahme zu der Überzeugung, dass der Fahrer des Lkw zeitgleich mit dem Setzen des Blinkers zur Anzeige eines Überholvorgangs auf die mittlere Fahrspur wechselte. Damit habe er grob schuldhaft gegen § 5 Abs. 4 S. 1 StVO verstoßen:

Wer zum Überholen ausscheren will, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist.

Zudem ist dem Lkw-Fahrer ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4a StVO zur Last zu legen, weil er das Ausscheren und Überholen nicht rechtzeitig und deutlich angekündigt hat.

(OLG Frankfurt, Urteil v. 31.3.2020, 13 U 226/15)

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