Entscheidungsstichwort (Thema)

Sekundäre Darlegungslast des Unfallgegners beim Verkehrsunfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Haftung des beklagten Halters nach § 12 Abs. 5 PflVG setzt nicht zwingend voraus, dass der klagende Entschädigungsfonds das amtliche Kennzeichen des unfallbeteiligten Kraftfahrzeugs im Prozess vorträgt. Ist ihm dies wegen der schweren Verletzungen des Geschädigten und des unerlaubten Entfernens des Unfallgegners vom Unfallort nicht möglich, genügt es, wenn er hinreichende Anhaltspunkte (Firmenaufschrift, Logo, Zierbeklebung und Webadresse des unfallbeteiligten Lkw) vorträgt, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Haltereigenschaft der beklagten Spedition nahelegen.

2. Im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast ist die Beklagte verpflichtet, in den Grenzen des Zumutbaren in ihrem Geschäftsbetrieb nachzuforschen und mitzuteilen, welche Kenntnisse sie dabei über die Umstände einer eventuellen Unfallbeteiligung ihrer Lkw gewonnen hat.

3. Die Beklagte genügt ihrer sekundären Darlegungslast nicht, wenn sie vorträgt, hierzu erforderliche Daten (Fahrtenschreiber, Mautdaten) stünden ihr im Prozess nicht mehr zur Verfügung, denn es kommt lediglich darauf an, ob dem Darlegungspflichtigen die entsprechenden Feststellungen zeitnah zum Schadensgeschehen möglich und zumutbar waren.

4. Die Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 PflVG begründet ein Interesse des Entschädigungsfonds gemäß § 256 ZPO an der Feststellung der Haftung des Halters gegenüber dem Geschädigten, da der Entschädigungsfonds hierdurch in seinem Rechtsbereich mittelbar betroffen ist.

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 11.11.2015; Aktenzeichen 8 O 369/14)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.11.2015 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der von dem Kläger gegenüber der Beklagten erhobene Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen anlässlich des Verkehrsunfalls vom XX.XX.2011 auf der BAB 3 in Fahrtrichtung Würzburg unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils des Geschädigten A von 50 % (Klageantrag zu 1.) ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren Aufwendungen anlässlich des Verkehrsunfalls vom XX.XX.2011 auf der BAB 3 in Fahrtrichtung Würzburg unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils des Geschädigten A von 50 % zu erstatten.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Geschädigten A die ihm anlässlich des Verkehrsunfalls vom XX.XX.2011 auf der BAB 3 in Fahrtrichtung Würzburg bereits entstandenen und noch entstehenden Schäden unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils von 50 % zu ersetzen.

Zur Verhandlung und Entscheidung über den Betrag des Aufwendungsersatzanspruchs und das diesbezügliche Zinsbegehren sowie über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens wird die Sache an das Landgericht Darmstadt zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 220.806,47 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger macht als Entschädigungsfonds gegen die Beklagte, eine Spedition mit Sitz in Stadt1, Italien, Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am XX.XX.2011 auf der Autobahn A 3 ereignet hat.

Am XX.XX.2011 befuhr A mit einem Pkw Marke1 Typ1 mit dem amtlichen Kennzeichen ... um 4:31 Uhr die Autobahn A 3 in Richtung Würzburg auf dem mittleren der drei vorhandenen Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von 170-180 km/h. Im Pkw befanden sich außerdem B, C und D. Vor ihm fuhr in gleicher Fahrtrichtung ein Lkw-Gliederzug mit der Aufschrift "X". Bei km 184,200 wechselte dieser unter Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers auf den mittleren Fahrstreifen, um den vorausfahrenden Lkw zu überholen. Der von hinten kommende A wich auf den linken Fahrstreifen aus und verlor hierbei die Kontrolle über seinen Pkw. Ob es hierbei zu einem Kontakt mit dem Lkw-Gliederzug kam, ist zwischen den Parteien streitig. Der Pkw kollidierte sodann mit der linken Betonleitwand und überschlug sich. A wurde bei dem Unfall aus dem Pkw herausgeschleudert und lebensgefährlich verletzt, insbesondere erlitt er ein offenes, schweres Schädelhirntrauma. Auch die weiteren Fahrzeuginsassen erlitten teils schwere Verletzungen. Der Lkw-Gliederzug hielt zunächst unter Einschaltung der Warnblinkanlage auf dem Seitenstreifen an und fuhr dann nach rund elf Minuten weiter, ohne zuvor Feststellungen zu seiner Person und seinem Fahrzeug ermöglicht zu haben. Von dem gesamten Unfallhergang wurden Videoaufzeichnungen von der am Unfallort installierten Verkehrsbeeinflussungsanlage angefertigt (vgl. CD Bl. 119 d. A.).

Am Unfalltag befuhren drei Lkw-Gliederzüge der Beklagten mit den amtlichen Kennzeichen ..., ... und ... die A 3 im Bereich der Unfallstelle. Die Fahrer der Lkw wurden aufgrund eines Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Stadt2 am 23.03.2012 bzw. 11.07.2012 von dem Regio...

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