Geschwindigkeitsverstoß auf dem Weg zur Entbindungsklinik

Ein Arzt fuhr seine hochschwangere Frau mit überhöhter Geschwindigkeit ins Krankenhaus, weil er nicht auf den Rettungsdienst warten wollte. Den Tempoverstoß rechtfertigte er damit, dass es sich um einen medizinischen Notfall gehandelt habe. Zu Recht?

Ein Arzt, der seine schwangere Frau ins Krankhaus bringen wollte, wurde erwischt, wie er 40 Kilometer zu schnell fuhr – 120 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Deshalb wurde wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 130 Euro gegen ihn verhängt. Dagegen wand er sich.

40 Kilometer zu schnell wegen medizinischem Notfall gerechtfertigt?

Der rasante werdende Vater sah die Geschwindigkeitsüberschreitung als gerechtfertigt an, da es sich um einen medizinischen Notfall gehandelt habe. Seine Frau habe sich in akuter Lebensgefahr befunden. Er habe sie selbst ins Krankenhaus bringen wollen, weil er Eile für geboten hielt und  die Ressourcen des Rettungsdienstes habe schonen wollen.

Ihm sei aufgrund diverser Notarzteinsätze bekannt, dass Einsatzfahrzeuge des Rettungsdienstes nach dem Einsatz aufgrund der Corona-Pandemie umständlich desinfiziert werden müssten. Zudem brauche ein Krankenwagen seiner Erfahrung nach 15 Minuten, bis er vor Ort sei.

Das OLG Düsseldorf folgte der Argumentation des Arztes nicht. Grundsätzlich könne die Verletzung von Verkehrsvorschriften zwar durch einen Notstand gerechtfertigt sein, wenn nur so die erforderliche Hilfe für eine schwer erkrankte oder verletzte Person geleistet werden kann (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 2.5.2005, 8 Ss-OWi 98/05; OLG Celle, Beschluss v. 1.10.2014, 321 SsBs 60/14). Ein solcher Fall war hier aber nach Ansicht des Gerichts nicht gegeben.

Wann eine Geschwindigkeitsüberschreitung durch Notstand gerechtfertigt ist

Das Gericht äußerte sich dezidiert dazu, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit eine Geschwindigkeitsüberschreitung durch Notstand in Betracht komme:

  • Der Betroffene muss zuvor vergeblich einen anderen Ausweg aus der Notsituation gesucht haben. Er muss also etwa versucht haben, einen Notarzt oder einen Rettungswagen zu rufen.
  • Es müssen besondere Umstände vorliegen, beispielsweise dass eine Rettung in einer abgelegenen Gegend nicht zeitnah möglich ist.
  • Zudem muss die Geschwindigkeitsüberschreitung einen wesentlichen Vorteil im Interesse des Patienten bringen,
  • der nicht außer Verhältnis zu der Gefährdung anderer Straßenverkehrsteilnehmer steht.

Diese Voraussetzungen lägen in dem vorliegenden Fall nicht vor. Der Arzt habe keinen Versuch unternommen, rettungsdienstliche Hilfe anzufordern. Es sei zwar zutreffend, dass ein Krankenwagen für die Anfahrt zur Einsatzstelle 15 Minuten benötigen kann. Krankentransportwagen würden jedoch nicht für die Notfallrettung eingesetzt, sondern allein für den Krankentransport von Patienten, die nicht Notfallpatienten sind.

Rettungswagen und Notarzt in der Regel schnell an Einsatzstelle

Bei der vorliegenden Notfallsituation wären Rettungswagen und Notarzt entsendet worden, die bei Notfällen mit Sonder- und Wegerechten zur Einsatzstelle fahren (→ Sonderrechte für Rettungsfahrzeuge im Einsatz). Diese könnten, insbesondere im innerstädtischen Bereich einer Großstadt, in aller Regel innerhalb kurzer Zeit an der Notfallstelle eintreffen. Dies hätte dem Betroffenen als Arzt bekannt sein müssen, zumal er angegeben habe, dass er Erfahrungen aus diversen Notfalleinsätzen habe.

Gericht: Keine Anhaltspunkte für einen medizinischen Notfall

Zudem gebe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Notfall vorlag, bei dem als einsatztaktisches Vorgehen ein sofortiger Transport dringend geboten war. Selbst im professionellen Rettungsdienst ist die notfallmedizinische Einsatztaktik „Load and go“, bei der im Rahmen einer notfallmedizinischen Strategie bei einem präklinisch nicht oder nicht ausreichend stabilisierbaren Patienten ein sofortiger Transport in ein Krankenhaus erfolgt, der Ausnahmefall.

Privater Transport ins Krankenhaus keine geeignete Rettungsmaßnahme – fehlende Ausrüstung

Auch sei die Fahrt des Ehemannes keine geeignete Rettungsmaßnahme gewesen – eine Versorgung des Notfallpatienten sei während der Fahrt nicht bzw. nur verzögert möglich gewesen, da er ja selbst am Steuer saß. Dazu hätte er anhalten müssen. Außerdem waren in seinem Wagen nicht die notwendigen Notfallmedikamente und auch nicht die medizinische Notfallausrüstung im erforderlichen Umfang vorhanden. Fazit: Die Geschwindigkeitsüberschreitung war nicht durch Notstand gerechtfertigt.

(OLG Düsseldorf, Urteil v. 8.3.2021, 2 RBs 13/21).

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Schlagworte zum Thema:  Verkehrsrecht, Bußgeld