Vergewaltigung auf dem Weg zur Arbeit = versicherter Wegeunfall?

Wird eine Frau auf dem Weg zur Arbeit vergewaltigt, so stellt sich die Frage ob die gesetzliche Unfallversicherung für die Regulierung der Folgen zuständig ist. Das Bundessozialgericht hat die Antwort hierauf jetzt von einer möglichen Täter-Opfer-Beziehung abhängig gemacht.

Die Angestellte eines Unternehmens betrat im März 2009 wie üblich morgens ihre Garage, um mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Als sie in das Fahrzeug einsteigen wollte tauchte dort ihr Exfreund auf, fiel über sie her und vergewaltigte sie. Die vergewaltigte Frau wollte zur finanziellen Regulierung der Vergewaltigungsfolgen die Berufsgenossenschaft in Anspruch nehmen. Nach ihrer Auffassung handelte sich um einen Wegeunfall, da der Überfall auf dem Weg zur Arbeit geschehen war. Deshalb sei die Berufsgenossenschaft eintrittspflichtig. Diese verweigerte jedoch die Kostenübernahme.

Vergewaltigung fällt grundsätzlich unter den Versicherungsschutz

Vor Gericht hatte konnte das Vergewaltigungsopfer mit seiner Meinung nicht durchdringen. In letzter Instanz wies das BSG zunächst darauf hin, dass ein Überfall auf dem Weg zur Arbeit grundsätzlich als Wegeunfall eingestuft werden könne. Bei einer Vergewaltigung verwirkliche sich die nicht fern liegende Gefahr, auf dem Weg zur versicherten Tätigkeit Opfer eines Überfalls zu werden. Ein Überfall sei in der Rechtsprechung als typische Gefahr auf dem Weg zur oder von der Arbeit anerkannt.

Gefahren aus dem privaten Beziehungsgeflecht sind nicht versichert

Anders ist der Fall nach Auffassung des BSG allerdings dann zu beurteilen, wenn ein solcher Überfall das Opfer nicht zufällig trifft, sondern die Vergewaltigung sich als Folge von Problemen im privaten Beziehungsumfeld des Opfers darstellt. Eine solche, dem privaten Umfeld zuzurechnende Beziehungstat sah das Gericht im vorliegenden Fall als gegeben an. Das Vergewaltigungsopfer war mehrere Jahre vor der Tat mit dem Täter eng befreundet. Dieser hatte inzwischen eine langjährige Haftstrafe abgesessen. Erst wenige Wochen vor dem Überfall hatte das Vergewaltigungsopfer mit dem Täter endgültig Schluss gemacht. Damit stellte sich nach Auffassung der Richter der Überfall nicht als zufällig die Klägerin treffendes Unglück dar.

Die Vergewaltigung war Folge eines Beziehungsdramas

Im Ergebnis sahen die Richter in der Vergewaltigung die Verwirklichung einer Gefahr, die aus einer offensichtlich problembeladenen Beziehung der Klägerin zu dem Täter entstanden war. Das Geschehen sei daher dem beruflichen Umfeld der Klägerin aus keinem Gesichtspunkt zuzurechnen. Die Vergewaltigung hätte in gleicher Weise anlässlich einer privaten Unternehmung der Klägerin erfolgen können. Versicherungsschutz seitens der Berufsgenossenschaft war daher nach Auffassung der Richter nicht zu gewähren.

(BSG, Urteil v. 18.06.2013, B 2 U 10/12). 

Wichtig: Die Beweislast dafür, dass das Unglücksgeschehen auf dem Weg von oder zur Arbeit dem privaten Beziehungsgeflecht des Opfers zuzurechnen ist, trifft grundsätzlich die Berufsgenossenschaft (Bay LSG, Urteil v. 07.04.2012, L 3 U 543/10).