Schuld und Strafe: Die Lust des Richters zu strafen

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil eines Landgerichts aufgehoben, weil der vorsitzende Richter der Strafkammer auf Facebook seine Lust am Strafen präsentierte. Doch hat nicht jeder Richter im Strafrecht Lust an der Sanktionierung von Delinquenten?

Das Berufsbild des Richters ist geprägt von Neutralität und Ausgewogenheit. Justitias Blick ist blind. Von der Macht ihres Schwertes macht sie gelegentlich Gebrauch, aber ohne Eifer und ohne jede Wollust. Richter, so meinen Richter oft von sich selbst, haben einen privilegierten Zugang zur Wahrheit, sie urteilen als eine Art säkulares Medium. Es geht ihnen um mehr als um die Personen, deren Streit zu entscheiden ist. Der Richter weiß es nicht nur besser, er handelt - so denn seine Rationalität überhaupt Emotionen gestattet - aus den hehrsten aller Motive: der Pflicht gegenüber dem Gesetzgeber und dem Wunsch nach Gerechtigkeit auf Erden. Sein Urteil ist eine Macht, die größer ist als er selbst. Er spricht nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Volkes.

Facebook-Auftritt mit Bier und T-Shirt

Wer als Richter dieser Rolle nicht gerecht wird, macht sich keine Freunde in der Justiz. Zuletzt musste dies der Vorsitzende einer großen Strafkammer erfahren, dem der Bundesgerichtshof in einer denkwürdigen Entscheidung sinngemäß attestierte, sein Internetauftritt disqualifiziere ihn als Strafrichter. Die Revision eines Angeklagten gegen das Urteil der großen Strafkammer des Richters hatte Erfolg gehabt. Der Befangenheitsantrag der Verteidigung sei zu Unrecht zurückgewiesen worden.

Der Angeklagte hatte den Vorsitzenden abgelehnt, nachdem er gesehen hatte, dass der Richter auf seinem Facebook-Auftritt ein Foto hochgeladen hatte, auf dem er auf einer Terrasse mit einem Bier in der Hand und einem T-Shirt mit der Aufschrift: "Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA [Justizvollzugsanstalt]" posierte. Der Richter hatte zu dem Foto unter anderem geschrieben: "Das ist mein 'Wenn du raus kommst, bin ich in Rente'-Blick".

Berufsverbot für voreingenommenen Richter?

Obwohl ein unmittelbarer Bezug zu dem konkreten Prozess nicht erkennbar war, sahen die Bundesrichter mit diesem Internetauftritt die Grenzen des Zulässigen deutlich überschritten. Doch nicht nur das. In einem die Entscheidung nicht tragenden Satz sprachen die Bundesrichter für ihren Kollegen vermutlich für absehbare Zeit ein faktisches Berufsverbot für den Bereich des Strafrechts aus.

Der Internetauftritt des Richters sei insgesamt mit der gebotenen Haltung eines Richters im Strafrecht nicht vereinbar. Dies dürfte wohl auch einen Einsatz in zukünftigen Strafverfahren schwierig machen. Jeder Angeklagte könnte den Richter mit einem Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfolgreich ablehnen.

Professionelles Unbehagen mit der Institution Strafe

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist rechtlich einwandfrei. Sie bekräftigt mit großer Vehemenz, dass Richter keine Lust verspüren dürfen, wenn sie strafen. Genau genommen kann es aber natürlich nur heißen: dass sie keine Lust beim Strafen zeigen dürfen.

Es braucht nicht viel Sarkasmus, um zu fragen: Welcher Richter, der regelmäßig hohe Strafen verhängt, tut dies ganz ohne Lust? Ist das Verhängen der Strafe für den Richter wie das Pfannenwechseln für den Pfleger? Ein Teil der Arbeit, die gemacht werden muss, deren Wegfall aber freudig begrüßt würde? Schwer zu glauben wäre das, ist doch der gesamte Strafprozess nach der Eröffnung des Hauptverfahrens durch den Richter auf die Überführung des Täters und damit auf seine Bestrafung ausgerichtet.

Gefängnisse, Orte des Missbrauchs und der Gewalt

Dass eine Lust an der Sanktionierung trotzdem nicht gezeigt werden darf, ist kein Zufall, sondern Ausdruck eines - gesunden - professionellen Unbehagens an der Institution Strafe. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe führt eben am Ende häufig zu ihrer Vollstreckung, deren Erbärmlichkeit auch die sozialromantischen Ideen der Resozialisierung nicht zu kaschieren geeignet sind.

Gefängnisse sind Orte des Missbrauchs und der Gewalt, anachronistische Institutionen, an deren Notwendigkeit und Legitimität gerade diejenigen zweifeln müssten, die täglich Menschen dorthin schicken. Zwar geht die Verhängung einer Freiheitsstrafe sicher leichter von der Hand, wenn man, wie zahlreiche Richter im Strafrecht, noch nie ein Gefängnis von innen gesehen und noch nie empirische Sozialforschung zu Sinn und Unsinn von Inhaftierungen in die Finger gekriegt hat. Aber dass die Strafe stinkt, dass muss jeder Richter spüren. Wer dieses Gespür für das Unanständige verloren hat, ist ein gefährlicher Richter.

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