OVG: Quarantänepflicht für Einreisende außer Vollzug

Nach einer Grundsatzentscheidung des niedersächsischen OVG ist die pauschale Quarantänepflicht für aus dem Ausland Einreisende unrechtmäßig und besteht ab sofort nicht mehr.

Die Entscheidung des OVG Lüneburg dürfte bundesweit Signalcharakter haben. Die Bundesländer haben sämtlich vergleichbare Regelungen eingeführt, nach denen für aus dem Ausland zurückkehrende Personen eine Zwangsquarantäne angeordnet wird und diese Personen grundsätzlich zwei Wochen ihre Wohnung nicht verlassen dürfen.

Zwangsquarantäne für Reiserückkehrer

§ 5 der Corona-Rechtsverordnung des Landes Niedersachsen enthält die für Niedersachsen maßgebliche Quarantänebestimmung. Dort heißt es:


Personen, die auf dem Land-, See- oder Luftweg aus dem Ausland nach Niedersachsen einreisen, haben sich …. abzusondern. Sie sind verpflichtet, sich unverzüglich nach der Anreise und auf direktem Weg zu ihrer Wohnung …. zu begeben und sich dort für einen Zeitraum von 14 Tagen nach der Einreise ständig aufzuhalten.


Inhaltsgleiche Regeln bestehen praktisch in allen Bundesländern.

Ferienhausbesitzer stellt Antrag auf Normenkontrolle

Einem Rechtsanwalt, der eine Ferienhausimmobilie in Südschweden besitzt, hat mit einem Normenkontroll-Eilantrag die Überprüfung dieser Bestimmung beim OVG Lüneburg beantragt. Er sah sich in seinen Freiheitsrechten verletzt und wollte nicht hinnehmen, dass er nach jedem Besuch seiner schwedischen Ferienwohnung in Niedersachsen für zwei Wochen in Zwangsquarantäne muss.

Keine Rechtsgrundlage für pauschale Zwangsquarantäne

Das OVG gab dem Anwalt recht und beanstandete das Fehlen einer Rechtsgrundlage für die betreffende Landesbestimmung. Die Corona-Rechtsverordnung des Landes Niedersachsen beruht - ebenso wie die entsprechenden Verordnungen der übrigen Bundesländer - auf §§ 28 ff IfSG. Gemäß § 32 IfSG ist eine Regelung durch Rechtsverordnung nur zulässig, wenn die Voraussetzungen der §§ 28 IfSG gegeben sind. Gemäß § 30 IfSG sind Quarantänemaßnahmen nur gegenüber dem vom Gesetz näher bestimmten Personenkreis, nämlich Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ausscheidern und Ansteckungsverdächtigen zulässig.

Pauschalverdacht gegenüber jedem Einreisenden nicht begründbar

Aus dieser Rechtslage folgert das OVG, dass die Anordnung einer Zwangsquarantäne gegen Einreisende zumindest den begründeten Verdacht einer Ansteckung voraussetzt. Ein solcher Verdacht könne aber nicht pauschal gegenüber jedem Einreisenden ausgesprochen werden. Daran ändere auch die wahrscheinlich hohe Dunkelziffer der Erkrankten nichts, denn die sei in Deutschland selbst genauso hoch wie in vielen angrenzenden Staaten. Nach der Rechtsprechung des BVerwG sei für den Verdacht einer Ansteckung erforderlich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene von einem Krankheitserreger befallen sei, höher sei als das Gegenteil. Dies könne der Verordnungsgeber nicht unterschiedslos für alle Herkunftsregionen annehmen. Eine Ermächtigung, die Freiheit sämtlicher aus dem Ausland Einreisender durch eine Zwangsquarantäne massiv einzuschränken, enthalte § 30b IfSG nicht.

Ausweisung konkreter Risikogebiete wäre möglich

Nach Auffassung des OVG ist es Aufgabe des Gesetzgebers, gegebenenfalls den Kreis derjenigen, gegen die Quarantänemaßnahmen verhängt werden dürfen, näher zu bestimmen oder auszuweiten. Auch die Landesregierung könne durch Rechtsverordnung auf der Grundlage nachvollziehbarer Erkenntnisse konkrete Risikogebiete im Ausland ausweisen, die die Verhängung eine Quarantäne rechtfertigen, wenn Personen von dort nach Deutschland einreisen. Daneben komme die Verhängung einer Meldepflicht unmittelbar nach der Einreise in Betracht, um so den Behörden zu ermöglichen, durch Befragungen oder Tests die erforderlichen Erkenntnisse über eine mögliche Ansteckung zu gewinnen.

Quarantänepflicht mit sofortiger Wirkung außer Vollzug gesetzt

Im Ergebnis hat das OVG die Quarantänebestimmung des § 5 der CoronaVO des Landes Niedersachsen außer Vollzug gesetzt. Wer infolge dieser Vorschrift unter Quarantäne steht, kann seine Wohnung ab sofort wieder verlassen.


Die Entscheidung ist unanfechtbar.


Wichtig: Die Entscheidung gilt nicht für Personen, gegen die aufgrund eines konkreten Ansteckungsverdachts von der örtlichen Gesundheitsbehörde durch Verwaltungsakt eine Quarantäneanordnung ergangen ist.


(OVG Lüneburg, Beschluss v. 11.5.2020, 13 MN 143/20)

Die pauschale Quarantänepflicht könnte auch in anderen Bundesländern fallen

Die Entscheidung des niedersächsischen OVG könnte wegweisend für die inhaltsgleichen Quarantänevorschriften der übrigen Bundesländer sein. Einige Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen und das Saarland, haben bereits angekündigt, die Quarantänepflicht für aus dem Ausland Einreisende umgehend anzupassen bzw. außer Kraft zu setzen. Die Rückkehr für Urlaubsreisende aus dem Ausland dürfte damit mittelfristig insgesamt erleichtert werden, wenn auch nicht für Rückkehrer aus Risikogebieten.

Schlagworte zum Thema:  Coronavirus, Infektionsschutzgesetz