Das BVerwG hat das Dieselfahrverbotsurteil auf den 27.2. vertagt

Die Spannung bleibt erhalten. Das BVerwG hat die erwartete Revisionsentscheidung zur Zulässigkeit von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge in  Stuttgart und Düsseldorf überraschend vertagt. Die Entscheidung, ob Diesel-Fahrverbote grundsätzlich zulässig oder möglicherweise sogar rechtlich zwingend sind, wurde auf den 27.2.2018 verschoben. Dieselfahrer, Städte und Produzenten hängen in der Warteschleife.

In zwei Verfahren, in denen die Deutsche Umwelthilfe gegen die Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen im wesentlichen obsiegende Urteil vor den Verwaltungsgerichten Düsseldorf und Stuttgart erstritten hatte, hat das BVerwG die für Donnerstag den 22.2. mit Spannung erwarteten Entscheidungen erst einmal verschoben. Die Verfahren betreffen unmittelbar nur die Städte Stuttgart und Düsseldorf.

Die erwarteten Entscheidungen haben aber Bedeutung für mehrere Millionen Halter von Dieselfahrzeugen, aber auch für die Autoindustrie und die Umwelt.

Die Deutsche Umwelthilfe hat Recht auf saubere Luft erstritten

Das ansonsten so reinliche Stuttgart hat den Ruf der schmutzigsten Stadt Deutschlands, was die Luftverschmutzung betrifft. Vor diesem Hintergrund hatte die Deutsche Umwelthilfe e.V. das Land Baden Württemberg verklagt, um dieses zur Einhaltung der europaweit geltenden Immissionsgrenzwerte für NO2  in der Umweltzone Stuttgart zu zwingen.

VGe betonen Pflicht zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne

Die dem Umweltverband stattgebenden Urteile der Verwaltungsgerichte verweisen rechtlicher Hinsicht im wesentlichen auf

  • einen Anspruch der Anwohner auf saubere Luft
  • und leiten diesen unmittelbar aus § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BImSchG ab,
  • wonach die für die Aufstellung von Luftreinhalteplänen zuständigen Planbehörden einen Luftreinhalteplan aufzustellen bzw. fortzuschreiben hätten,
  • wenn die nach europäischen und bundesrechtlichen Vorschriften einzuhaltenden Immissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe nicht eingehalten werden.

Landesregierungen verweisen auf erzielte Verbesserungen

Die Regierungen von Baden Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben gegen die verwaltungsgerichtlichen Urteile Sprungrevision zum BVerwG eingelegt. Sie argumentieren, dass die Luft in den Städten sich in den letzten Jahren deutlich verbessert habe. Während im Jahr 1990 nach 2.900 Kilotonnen Stickoxid im Jahr ausgestoßen worden seien, gehe das Umweltbundesamt für 2015 von einem Rückgang auf 1.190 Kilotonnen Stickoxid aus. Dies sei eine insgesamt positive Entwicklung.

Tausende vorzeitige Sterbefälle infolge von Luftverschmutzungen

Rechtzeitig zum Verfahren wurde eine neue Studie des Umweltbundesamtes bekannt. Sie belegt, dass rund 6.000 Menschen im Jahr vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben, die auf die erhöhten Stickoxidbelastungen in den Städten zurückzuführen ist. Die Studie soll Anfang März der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die Europäische Kommission geht sogar von jährlich mehr als 10.000 vorzeitigen Todesfällen in Deutschland aus.

Mehreren Millionen Fahrzeugen drohen Fahrverbote

In Deutschland sind rund 15 Millionen Dieselautos zugelassen. Nur 2,7 Millionen davon erfüllen die Euro-Norm 6, nur ganz wenige die neue Euro Norm 6d. Fahrzeuge bis zur Euro-Norm 5 könnten von möglichen Fahrverboten betroffen werden, also die große Mehrheit der zugelassenen Fahrzeuge.

Die vom BVerwG zu entscheidenden Kernfragen

Die nun rechtlich vom BVerwG zu klärenden Kernfragen waren,

  • ob den Kommunen bei einer möglichen Verhängung von Fahrverboten ein Ermessen zukommt,
  • ob die Luftreinhaltepläne ein solches mögliches Ermessen auf Null reduzieren,
  • ob zur Vermeidung von unterschiedlichen Länderregelungen (Gefahr eines Flickenteppichs) möglicherweise die Bundesregierung handeln muss, zum Beispiel durch Einführung einer blauen Plakette,
  • oder ob die damit verbundenen Fragen zunächst dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt werden. 

BVerwG betont die Bedeutung zwingenden EU-Rechts

In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende Richter mehrfach auf zwingendes EU-Recht hingewiesen, wonach die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass die von der EU festgelegten Grenzwerte eingehalten werden.

Eine wichtige Rolle in dem gerichtlichen Rechtsgespräch spielten außerdem die Fragen

  • der Verhältnismäßigkeit eines möglichen Fahrverbots,
  • die Frage der verfassungsrechtlich gewährten Eigentumsgarantie im Hinblick auf die Fahrzeughalter, Art 14 GG,
  • die verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit im Hinblick auf die große Anzahl von Dieselfahrzeugen beispielsweise bei kleineren Handwerksbetrieben, Art 12 GG
  • und das damit verbundene Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb,
  • des Schutzauftrages des Staates im Hinblick auf die Gesundheit der Menschen, Art 2 GG,
  • sowie die Möglichkeit einer sukzessiven Einführung von Fahrverboten, beispielsweise die Einführung von zeitlich gestaffelten Fahrverboten zunächst für Fahrzeuge der Schadstoffklasse 4, die später auf andere Schadstoffklassen ausgedehnt werden könnten.

(BVerwG, Verkündungstermine am 27.2.2018, 7 C 26.16 und 7 C 30.17). 

Mögliche Entscheidungsvarianten

Vor dem Hintergrund der geführten Verhandlung sind verschiedene Varianten eines Richterspruchs möglich:

  • Für die Landesregierungen wie für die Fahrzeughalter besonders einschneidend wäre eine Zurückweisung der Revisionen. In diesem Fall wäre der Weg für Fahrverbote frei.
  • Eine zweite Möglichkeit wäre ein Handlungsauftrag an die Bundesregierung, beispielsweise durch Einführung einer bundesweit gültigen blauen Plakette, möglicherweise unter Berücksichtigung der vom Gericht in Betracht gezogenen sukzessiven Einführung von Fahrverboten.
  • Denkbar wäre auch ein Auftrag an die Vorinstanzen, verschiedene in der Verhandlung erörterte Sachfragen weiter aufzuklären, was eine Zurückverweisung an die Vorinstanzen bedeuten würde.
  • Schließlich ist auch ein Vorlagebeschluss an den EuGH nicht auszuschließen, mit welchem der EuGH um Klärung verschiedener europarechtlicher Fragen gebeten würde. 

Die Erwartungen sind angespannt: FDP-Chef Christian Lindner spricht von ideologisch motivierten Enteignungen, sollten Fahrverbote ausgesprochen werden. Die Umweltverbände halten demgegenüber Fahrverbote für die einzig sinnvolle Entscheidung.

Wie konnte es soweit kommen: An Grenzwerten hat es nicht gemangelt, weder für die Luft in den Städten, nicht für die Autos. Doch die Entwicklungsabteilungen tüftelten wohl nicht zuletzt an der Frage, wie sich die Grenzwerte im Test einhalten ließen.

Eine Entscheidung mit weitreichender Bedeutung

Wie der Richterspruch auch ausfallen wird, von ihm wird eine hohe Signalwirkung ausgehen. Die Landesregierungen - auch die grüne Landesregierung Baden-Württemberg - wollen Fahrverbote mit allen Mitteln vermeiden. Die nachhaltigste, aber gleichzeitig teuerste Lösung wäre eine schnellstmögliche Hardware-Nachrüstung von Dieselautos. Die Kosten lägen bei 1.500 - 2.000 Euro pro Fahrzeug. Insoweit ist bereits die Möglichkeit von staatlichen Zuschüssen Unterbeteiligung der Industrie angedacht. Möglicherweise wäre das die sicherste Lösung, um die bereits von der EU-Kommission erwogene Klage gegen Deutschland vor dem EuGH zu vermeiden, aber noch ist alles offen.




Norm:

§ 47 BImSchGLuftreinhaltepläne, Pläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen, Landesverordnungen

(1) Werden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten, hat die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Satz 1 gilt entsprechend, soweit eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 zur Einhaltung von Zielwerten die Aufstellung eines Luftreinhalteplans regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.

(2) Besteht die Gefahr, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Alarmschwellen überschritten werden, hat die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufzustellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Besteht die Gefahr, dass durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegte Immissionsgrenzwerte oder Zielwerte überschritten werden, kann die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufstellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Die im Plan festgelegten Maßnahmen müssen geeignet sein, die Gefahr der Überschreitung der Werte zu verringern oder den Zeitraum, während dessen die Werte überschritten werden, zu verkürzen. Ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen kann Teil eines Luftreinhalteplans nach Absatz 1 sein.

(3) Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1a festgelegten Immissionswerte nicht eingehalten werden, oder sind in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Absatz 2 sonstige schädliche Umwelteinwirkungen zu erwarten, kann die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufstellen. Bei der Aufstellung dieser Pläne sind die Ziele der Raumordnung zu beachten; die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung sind zu berücksichtigen.