Befangenheit des Gerichts wegen zu hohen Vergleichsdrucks
Das BVerfG hat Grenzen für die - grundsätzlich zulässigen - Bemühungen eines Gerichts gezogen, streitende Parteien zum Abschluss eines Vergleiches zu bewegen. Insbesondere die Drohung mit einer überlangen Verfahrensdauer wegen einer erheblichen Überlastung des Gerichts verbunden mit der Weigerung, in angemessener Zeit einen Beweisbeschluss zu erlassen, hält das höchste deutsche Gericht für kein adäquates Mittel zur Verfahrensbeschleunigung. Übt ein Gericht in dieser Weise Druck auf eine Partei zum Abschluss eines Vergleiches aus, so kann dies die berechtigte Besorgnis der Befangenheit begründen.
Mehrfache Vergleichsbemühungen blieben ohne Erfolg
Im konkreten Fall ging es um ein seit dem Jahr 2015 beim LG München geführtes baurechtliches Zivilverfahren mit einer langen Mängelliste. Mehrfach geführte Vergleichsverhandlungen blieben ohne Erfolg. Die zur Entscheidung berufene Landgerichtskammer nahm im Jahr 2022 in einem Verhandlungsprotokoll einen Vermerk auf, wonach sie durch eine Vielzahl von Verfahren überlastet und daher nicht in der Lage sei, innerhalb des nächsten halben Jahres den zur Förderung des Rechtsstreits erforderlichen, äußerst komplexen Beweisbeschluss zu erlassen.
Kammer drängte wiederholt auf Vergleichsabschluss
In einem weiteren Verhandlungstermin unterbreitete die Kammer einen ausgearbeiteten Vergleichsvorschlag und verband diesen mit einem ausführlichen Hinweis auf die schwierige Geschäftslage infolge einer erheblichen Überlastung des Gerichts. Die Klägerin lehnte den gerichtlichen Vergleichsvorschlag ab und forderte erneut den Erlass eines Beweisbeschlusses. Die Kammervorsitzende gab dennoch nicht auf und drängte in 2 weiteren Verhandlungsterminen erneut auf eine einvernehmliche Lösung. Ein Beweisbeschluss erging wiederum nicht.
Ablehnung zweier Richter wegen Besorgnis der Befangenheit
Daraufhin lehnte die Klägerin die Kammervorsitzende sowie einen beisitzenden Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Begründung: Das Gericht habe die Klägerin unangemessen unter Druck zum Abschluss eines Vergleiches gesetzt, obwohl sie mehrfach deutlich gemacht habe, einem Vergleich nicht zuzustimmen. Besonders deutlich sei der seitens des Gerichts ausgeübte Druck in den Formulierungen des schriftlichen Hinweises zum Ausdruck gekommen. Darüber hinaus habe die Kammervorsitzende durch ostentativ zurückweisendes Verhalten gegenüber der Klägerin dieser Grund zur Besorgnis einer einseitigen Prozesshaltung gegeben.
Weiterer Befangenheitsantrag wegen Verletzung der Wartepflicht
Wenig später stellte die Klägerin ein 2. Ablehnungsgesuch und rügte die Verletzung der Wartepflicht des § 47 Abs. 1 ZPO. Nach dieser Vorschrift darf ein Gericht vor der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nur solche Prozesshandlungen vornehmen, die keinen Aufschub gestatten. Unter Verletzung dieser Bestimmung hatte das Gericht während des noch laufenden ersten Ablehnungsverfahrens den Parteien Fristen zur Stellungnahme zu verschiedenen prozessrelevanten Fragen gesetzt.
Verfassungsbeschwerden erfolgreich
Nach Zurückweisung der Ablehnungsgesuche durch das LG hat das OLG die hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerden zurückgewiesen. Den daraufhin seitens der Klägerin eingelegten Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG stattgegeben. Die Zurückweisung des OLG verletzte die Klägerin nach Auffassung des BVerfG in ihrem Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG sowie in ihrem verfassungsrechtlichen Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Argumentative Auseinandersetzung mit Vergleichsdruck fehlt
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG, Beschluss v. 19.12.2013,1 BvR 859/13). Nach der Bewertung des BVerfG hat das OLG das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Kammer habe in unangemessener Weise Vergleichsdruck erzeugt, gar nicht erst erwogen. Das OLG sei damit auf den Kern des Vortrags der Klägerin, insbesondere der schriftlich formulierte Hinweis zur Überlastung des Gerichts habe unzulässigen Druck auf die Beschwerdeführerin aufgebaut, nicht eingegangen.
Befangenheitsgesuch mit Leerformeln abgewiesen
Das OLG hatte nach der Einschätzung des BVerfG lediglich allgemein und grundsätzlich die Sinnhaftigkeit des Abschlusses eines Vergleiches betont, ohne sich mit dem von der Klägerin vorgebrachten unangemessenen Drängen des Gerichts auseinandergesetzt zu haben. Auch den sachfremden Hinweis auf die hohe Geschäftslast der Kammer durch die Vorsitzende Richterin habe das OLG nicht thematisiert. Die vom OLG vorgenommene Gesamtbetrachtung einer möglichen Befangenheit des Gerichts enthalte überwiegend Leerformeln, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der konkreten, von der Klägerin empfundenen Drucksituation vermissen ließen.
Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt
Das BVerfG sah auch die verfassungsrechtliche Garantie des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Die Vorschrift garantiere, dass der Rechtsuchende auf einen Richter trifft, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Zweifel an diesen Voraussetzungen folgen nach Auffassung des BVerfG auch aus der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden Richterin zu dem Befangenheitsgesuch, die zum Teil ironische Formulierungen sowie nicht sachbezogene Äußerungen enthalte. Diese seien geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu erzeugen.
Auch die Verletzung der Wartepflicht begründet Besorgnis der Befangenheit
Auch die Entscheidung des OLG über das 2. Ablehnungsgesuch wegen Verletzung der Wartepflicht des § 47 Abs. 1 ZPO verletzte die Beschwerdeführerin nach der Entscheidung des BVerfG in ihrem gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Recht auf den gesetzlichen Richter, denn auch diese Vorgehensweise des Gerichts sei geeignet, bei einer Partei den Eindruck zu erzeugen, es nicht mit einer unbefangenen, neutralen Richterbank zu tun zu haben.
Verfassungsbeschwerden sind offensichtlich begründet
Im Ergebnis hat das BVerfG den Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerin als offensichtlich begründet stattgegeben.
(BVerfG, Beschluss v. 3.3.2025, 1 BvR 750/23 u. 1 BvR 763/23)
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