Mindestabstand ist in Schulen nicht mehr zwingend einzuhalten

Einem Grundschullehrer ging die Rückkehr zum Regelunterricht in Schulen in Sachsen-Anhalt zu weit, insbesondere was die Dispensierung der Regeln zur Einhaltung des Mindestabstands angeht. Er hatte beim OVG Magdeburg einen Eilantrag auf Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 m auch an allgemeinbildenden Schulen eingereicht.
Landesverordnung erlaubt Abweichungen vom Mindestabstand in Schulen
Mit der „Sechsten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus in Sachsen-Anhalt“ (6. SARS-Cov-2-EindVO) hat die dortige Landesregierung am 26.5.2020 gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 der 6. SARS-Cov-2-EindVO die schrittweise Öffnung von allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen beschlossen.
- Nach dieser Vorschrift kann u.a. für den Schulbetrieb von der allgemeinen Abstandsregelung von 1,5 m abgewichen werden, soweit dies zur Durchführung des Regelunterrichts erforderlich ist.
- Außerdem besteht an den Schulen keine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung. Daneben regelt die Verordnung begleitende Hygienemaßnahmen.
Gesundheitsgefahr für Schüler und Lehrer?
Ein Grundschullehrer sah sich durch diese Lockerungen unangemessen in Gefahr gebracht und speziell für Schulen das Recht der Schüler sowie das Recht der Lehrer auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Er forderte daher die gerichtliche Außervollzugsetzung dieser Regelung.
Gesundheitsschutz ist eine originäre Staatspflicht
Das OVG gab dem Antragsteller insoweit recht, als das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit grundsätzlich die staatliche Verpflichtung umfasse, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen und seine Bürger vor Beeinträchtigungen der Gesundheit zu schützen. Die gesundheitliche Gefährdung durch das COVID-19-Virus sei auch immer noch bundesweit als hoch einzuschätzen.
Gesundheitsschutz ist nicht das einzige Rechtsgut
Der Schutz der Bevölkerung vor gesundheitlichen Gefahren sei aber kein isolierter Wert, vielmehr habe der Staat seine Pflicht zum Schutz der Gesundheit mit dem durch Art. 14 der Charta der Grundrechte der EU garantierten Recht der Kinder auf Bildung und dem Schutz der Familien gemäß Art.6 GG abzuwägen. Die ständige Beschulung und Betreuung der Kinder zu Hause durch die Eltern hindere diese daran, ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen und führe in einzelnen Haushalten auch zu einem nicht zu unterschätzendem Konfliktpotenzial.
Weiter Beurteilungsspielraum des Staates
Vor diesem Hintergrund habe der Staat den zu treffenden Maßnahmen einen gründlichen Abwägungsprozess voran zu stellen. Ein Recht der Lehrkräfte und Schüler auf staatliche Maßnahmen, die eine Infektionsgefahr vollständig ausschließen, existiere nicht. Vielmehr stehe der Landesregierung ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zur Verfügung, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar sei.
Diese Linie entspricht der Rechtsprechung des BVerfG, das ebenfalls der Exekutive bei Anordnung einzelner Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zugesprochen hat (BVerfG, Beschluss v. 12.5.2020, 1 BvR 1027/20 u. Beschluss v. 13.5.2020, 1 BvR 1021/20).
Staat reagiert auf Gefahrenlagen angemessen und schnell
Schließlich wies das OVG auf die im Vergleich zu anderen Bundesländern eher niedrigen Infektionszahlen in Sachsen-Anhalt hin, auch wenn vor kurzem in der Landeshauptstadt Magdeburg einige bedenkliche Infektionsfälle aufgetreten seien, die zu Schließungen mehrerer allgemeinbildender Schulen und Jugendeinrichtungen geführt hätten. Gerade diese sofortigen Schließungen zeigen aber nach Auffassung des OVG, dass der Staat zügig auf punktuelle Gefahrenlagen reagiert und bei auftretenden Problemen umgehend Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung einleitet.
Umfangreiches flankierendes Maßnahmenbündel zum Gesundheitsschutz
Auch bei der Entscheidung zur Umsetzung der Regelbeschulung habe der Staat mit einem Maßnahmenbündel zur Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten, durch spezielle Hygienehinweise, durch die Möglichkeit der Befreiung vom Präsenzunterricht in begründeten Einzelfällen, durch besondere Anordnungen zum Reinigungsverhalten hinreichende flankierende Maßnahmen zur Eindämmung von Gesundheitsgefahren ergriffen.
Antrag des Grundschullehrers abgewiesen
Im Ergebnis bewertete das OVG die schrittweise Öffnung von allgemeinbildenden Schulen und die Wiederherstellung des Regelunterrichts als vertretbar und verhältnismäßig. Das Gericht wies daher den Antrag des Grundschullehrers auf Außervollzugsetzung des § 15 der 6. SARS-Cov-2-EindVO des Landes Sachsen-Anhalt zurück.
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