Auffällige Verbrauchsabweichungen in Stromrechnung

Stromkunden wundern sich manchmal über aus ihrer Sicht nicht erklärliche Abweichungen in der jährlichen Stromrechnung. Die Geltendmachung von Einwendungen gegen die Abrechnung ist häufig schwierig, denn die Stromversorger berufen sich in der Regel auf die dokumentierten Ablesungen und die Funktionsfähigkeit der turnusmäßig überprüften Ablesevorrichtungen.
Rechtliche Grundlagen der Stromabrechnung
Die Bedingungen, zu denen Elektrizitätsversorgungsunternehmen Haushalte aus dem Niederspannungsnetz zu beliefern haben, werden in der Stromversorgungsgrundverordnung (StromGVV) geregelt. Gemäß § 8 StromGVV wird die Menge der gelieferten Elektrizität durch genormte Messeinrichtungen festgestellt. Erhebliche und unplausible Abweichungen in einer Stromabrechnung gegenüber dem Vorjahr können gegenüber dem Stromversorger ein Recht auf Zahlungsverweigerung begründen. Dieses Recht besteht aber nicht, wenn der Stromversorger eine vernünftige und nachvollziehbare Erklärung für die Abweichung hat.
Recht zur Zahlungsverweigerung unter engen Voraussetzungen
Das OLG Celle hat sich in einer Entscheidung ausführlich mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen auffällige Abweichungen im jährlichen Stromverbrauch zu einem Recht des Stromkunden auf Zahlungsverweigerung gegenüber dem Stromlieferanten führen. Die maßgebliche Regelung hierzu befindet sich in § 17 StromGVV. Danach besteht ein Recht des Kunden auf Zahlungsverweigerung, sofern
- die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers besteht und
- der in einer Rechnung angegebene Verbrauch ohne ersichtlichen Grund mehr als doppelt so hoch wie der vergleichbare Verbrauch im vorherigen Abrechnungszeitraum ist und
- der Kunde eine Nachprüfung der Messeinrichtung verlangt.
Bestätigt sich die Fehlervermutung, so ist die Abrechnung entsprechend den Vorschriften des § 18 zu korrigieren (berichtigter Verbrauch gegebenenfalls durch Schätzung auf Grundlage der Vorjahresrechnung).
Verbrauchsschätzung für mehrere Jahre
In dem vom OLG Celle entschiedenen Fall hatte die Stromkundin dem Stromversorger zuletzt im Jahr 2017 den Zählerstand mitgeteilt, sodass der Stromversorger den Verbrauch für die Jahre 2017-2022 schätzte. Der Schätzwert lag um das 5,5 fache höher als der Verbrauch im Vorjahreszeitraum und um das 3,3 fache höher als der Verbrauchswert des Nachzeitraums.
Kundin verweigerte Zahlung der Schätzbeträge
Im Hinblick auf die erheblichen jährlichen Abweichungen waren die Schätzwerte nach Auffassung der Kundin offensichtlich unrichtig. Sie berief sich auf § 17 StromGVV und verweigerte die Zahlung der in Rechnung gestellten Beträge. Der Stromversorger nahm die Kundin daraufhin gerichtlich auf Zahlung rückständiger Beträge in Höhe von ca. 11.000 EUR in Anspruch und beantragte, eine Sperrung der Energieversorgung vornehmen zu dürfen.
Zahlungsklage des Stromversorgers erstinstanzlich abgewiesen
Das LG wies die Klage erstinstanzlich ab. Begründung: Die Abweichungen der Verbrauchswerte seien so erheblich, dass der Mehrverbrauch plausibel nicht zu erklären sei. Die Klägerin habe die Richtigkeit der abgerechneten Verbrauchsmengen weder bewiesen noch nachvollziehbar dargelegt.
Klage in 2. Instanz erfolgreich
Das OLG sah dies anders und stellte fest, dass im konkreten Fall ein Recht der Kundin zur Zahlungsverweigerung schon deshalb nicht in Betracht kam, weil sie von dem Stromversorger keine Nachprüfung der Messeinrichtung verlangt habe, die gemäß § 17 Voraussetzung für ein Recht zur Zahlungsverweigerung sei. Der Senat gestand der Beklagten allerdings zu, dass eine Abweichung gegenüber dem Vorjahreszeitraum um das 5,5 fache so erheblich ist, dass dieser Abweichung eine Indizwirkung für das Vorliegen eines Berechnungsfehlers zukommt. Die Abweichung gegenüber dem Nachzeitraum von nur noch dem 3,3 fachen beseitige diese Indizwirkung nicht, schwäche sie aber ab.
Defekte Photovoltaikanlage erklärt die aufgetretenen Abweichungen
Die Indizwirkung der erheblichen Abweichung wurde nach Auffassung des OLG vollständig dadurch beseitigt, dass die Beklagte in den entscheidungserheblichen Jahren unstreitig eine teilweise defekte Photovoltaikanlage nutzte, durch die sich die aufgetretenen Verbrauchsunterschiede erklären ließen. Zu berücksichtigen seien auch die in den maßgeblichen Jahren unterschiedlich strengen Winter, die aufgrund eines schlechten Dämmzustandes des schon älteren Gebäudes zu erheblichen jährlichen Verbrauchsunterschieden führen könnten.
Unsichere Schätzbasis von der Klägerin verschuldet
Hinzu kam nach der Bewertung des OLG ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten. Diese habe über mehrere Jahre die erforderliche Ablesung der Zähler unterlassen, sodass der Verbrauch über einen Zeitraum von mehreren Jahren habe geschätzt werden müssen. Als Folge habe sich dann nicht mehr feststellen lassen, ob die Mehrverbräuche in den Zeiträumen entstanden sind, in denen die Photovoltaikanlage defekt war. Da die Beklagte selbst diese fehlende Zuordnungsmöglichkeit verschuldet haben, falle das Risiko der fehlenden Eingrenzung der Ursachen und Zeiträume der hohen Abweichungen in den Risikobereich der Kundin. Sie habe die Aufklärung der Gründe für die Verbrauchsunterschiede durch ihr Verhalten schuldhaft erschwert, sodass sie die Folgen zu tragen habe.
Stromversorger hat Anspruch auf Zahlung
Im Ergebnis war die Beklagte nach der Entscheidung des OLG daher nicht berechtigt, die Zahlung der in Rechnung gestellten Beträge zu verweigern. Die Zahlungsklage des Stromversorgers war damit erfolgreich.
(OLG Celle, Urteil v. 4.3.2025, 13 U 60/24)
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