Schmerzensgeldanspruch bei unrechtmäßiger Ingewahrsamnahme
Gegenstand des vom OLG Koblenz entschiedenen Falls war die Ingewahrsamnahme einer in Rheinland-Pfalz tätigen Realschullehrerin. Diese war seit Ende 2014 gehäuft und seit Frühjahr 2015 durchgängig dienstunfähig. Im Juli 2015 kam es zu einem Polizeieinsatz am Wohnort der Klägerin aufgrund des Anrufes eines Nachbarn, der sich von der Lehrerin angegriffen und bedroht fühlte.
Alkoholisierte Lehrerin war kaum ansprechbar
Kurz vor 19:00 Uhr fand die Polizeibeamten den Ehemann der Klägerin sowie den Nachbarn vor der Wohnungstür wartend vor. Die Lehrerin selbst saß in ihrer Wohnung auf dem Sofa und machte einen deutlich alkoholisierten Eindruck. Eine Ansprache seitens der Polizeibeamten führte zu einem wilden Geschrei der Lehrerin. Ein vernünftiges Gespräch war nicht möglich.
Unter körperlichem Zwang abgeführt
Die Polizeibeamten ordneten darauf eine Untersuchung der Frau in einem Klinikum an. Da sie nicht bereit war, freiwillig in den herbeigerufenen Krankenwagen einzusteigen, wendeten die Polizeibeamten körperlichen Zwang an, packten die Lehrerin an beiden Oberarmen, führten sie in den Krankenwagen und verbrachten sie in eine psychiatrische Klinik.
Richterliche Gewahrsamsverfügung erlassen
Die dortige Fachärztin für Psychiatrie untersuchte die Lehrerin und schloss anschließend die Gefahr einer Eigen- oder Fremdgefährdung aus, da kein akut psychotischer Zustand mehr vorliege. Die Ärztin äußerte allerdings den Verdacht auf eine Alkoholerkrankung der Lehrerin.
- Beim Verlassen des Krankenhauses ordneten die Polizeibeamten eine polizeiliche Ingewahrsamnahme der Frau an
- und verbrachten die sich widersetzende Lehrerin unter Anwendung körperlichen Zwangs in Polizeigewahrsam.
- Eine dort entnommene Blutprobe ergab das etwas widersprüchliche Ergebnis einer Blutalkoholkonzentration von 3,22 Promille um 21:00 Uhr und 2,32 Promille um 21:20 Uhr.
- Nach einer telefonischen richterlichen Anhörung der Lehrerin erließ die Untersuchungsrichterin am Amtsgericht eine „Schutz-, Sicherungs-, und Gewahrsamsverfügung“ nach § 14 POG Rheinland-Pfalz.
LG und OLG erkennen Schmerzensgeldanspruch an
Nach Auffassung des von der Lehrerin angerufenen LG und später des OLG stand der Lehrerin wegen unrechtmäßiger Ingewahrsamnahme ein Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß § 253 BGB i.V.m. § 839 BGB, Art 34 GG zu. Allerdings stellte das OLG klar, dass die anfängliche zwangsweise Überführung in ein psychiatrisches Krankenhaus nach § 14 Abs.1 Nr. 1 POG Rhl.-Pf. rechtmäßig gewesen sei.
- Nach dieser Vorschrift kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist,
- insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet.
- Diese Voraussetzungen waren beim Eintreffen der Polizei in der Wohnung der Klägerin nach Auffassung der Richter erfüllt. Dies folge aus dem stark alkoholisierten Zustand der Klägerin und der damit einhergehenden erkennbaren Aggressivität.
- Außerdem habe die untersuchende Fachärztin später bestätigt, dass bei der Klägerin ein begründeter Verdacht auf eine Alkoholerkrankung bestehe.
Die Verbringung ins Klinikum war daher nach Auffassung von LG und OLG zulässig und rechtmäßig.
Zwangsweise Verbringung in Polizeigewahrsam war unrechtmäßig
Anders verhält es sich mit der Verbringung der Klägerin in den Polizeigewahrsam, nachdem die untersuchende Ärztin für Psychiatrie sowohl eine Eigen- als auch eine Fremdgefährdung ausgeschlossen habe. Darüber hinaus habe die Ärztin nach eingehender Untersuchung und Befragung der Patientin diagnostiziert, dass die Lehrerin zu diesem Zeitpunkt nicht akut psychotisch gewesen sei. Vor diesem Hintergrund seien Zwangsmaßnahmen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vom § 14 POG gedeckt gewesen.
Deutlich weniger Schmerzensgeld als von der Lehrerin gefordert
Für die rechtswidrige Ingewahrsamnahme für die Dauer von ca. 13 Stunden über Nacht hat das OLG wie schon zuvor das LG ein Schmerzensgeld in Höhe von 400 Euro als angemessen und auch als ausreichend angesehen. Die deutlich höhere Forderung der Lehrerin hielt das OLG für nicht gerechtfertigt. Ihre Behauptung, sie habe sich vor den Polizeibeamten entblößen müssen, hatte sie erstmals zweitinstanzlich unter Beweis gestellt durch Zeugnis ihres Ehemannes. Diesen Beweisantritt wies das OLG gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO als verspätet zurück.
Schmerzensgeld auch wegen diverser Verletzungen
Demgegenüber hielt das OLG die an den Armen erlittenen Verletzungen der Lehrerin durch die zwangsweise Verbringung zur Polizeistation durch vorgelegte Lichtbilder für hinreichend erwiesen. Die dort sichtbaren Rötungen rechtfertigten nach Auffassung der Richter ein Schmerzensgeld in Höhe von 200 Euro.
Kein Schmerzensgeld wegen Rufschädigung
Dagegen drang die Lehrerin nicht mit ihrer Hauptforderung auf Zuerkennung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 6.000 Euro infolge der von ihr geltend gemachten Rufschädigung durch.
- Die Lehrerin hatte dies mit der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts infolge der Mitteilung des Einsatzberichtes der Polizei an die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz begründet.
- In der Folge hatte die Lehrerin sich einer „Zwangskur“ unterziehen müssen, um gegenüber ihrer Dienststellen den Vorwurf auszuräumen, sie leide unter einer Alkoholproblematik.
- Die erlittene Rufschädigung bei ihrem Dienstherrn und bei den Kollegen in der Schule ist nach Auffassung des OLG nicht durch ein rechtswidriges Verhalten der Polizeibeamten verursacht worden, denn diese seien zur Abwendung möglicher Gefahren für andere Personen berechtigt gewesen, gemäß § 34 Abs. 3 POG eine entsprechende Mitteilung an die vorgesetzte Dienststelle zu machen.
- Auch die Stornierungskosten für eine Urlaubsreise, die die Lehrerin wegen dieser Kur absagen musste, hielten die Richter für nicht erstattungspflichtig.
Für die Lehrerin ein eher unbefriedigender Teilerfolg
Im Ergebnis hat die Entscheidung des OLG die Klägerin zwar darin bestätigt, dass die nächtliche Ingewahrsamnahme auf der Polizeistation unrechtmäßig war. Im Hinblick auf ihre umfassenden Schmerzensgeld- und Schadensersatzforderungen ist das Ergebnis für die Lehrerin aber eher dürftig, denn unter Berücksichtigung des Gesamtstreitwertes dürfte der Teilerfolg für sie nicht annähernd kostendeckend gewesen sein.
(OLG Koblenz, Beschluss v. 7.3.2018, 1 U 1025/17).
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