Patientenverfügung: Sterbewille muss klar zum Ausdruck kommen

Wie präzise muss eine Patientenverfügung den Willen, unter bestimmten Voraussetzungen und Umständen sterben zu dürfen, zum Ausdruck bringen? Der BGH hat seine Rechsprechung hierzu weiter konkretisiert.

Eine im Jahr 1940 geborene Frau befindet sich nach Herz-Kreislauf-Stillstand seit mehr als 8 Jahren in einem wachkomatösen Zustand und wird künstlich ernährt, obwohl sie in einer schriftlichen „Patientenverfügung“ und mehrfach später mündlich geäußert hat, dass sie einen solchen Zustand auf keinen Fall ertragen, sondern dann lieber sterben wolle.

Sterbewille mehrfach geäußert

Im Mai 2008 erlitt die Betroffene einen Schlaganfall, von dem sie sich nicht mehr wirklich erholt hat. In einer kurzen Bewusstseinsphase im Jahre 2008 äußerte sie, sie wolle sterben. Kurz danach erlitt sie einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Seither wird sie mit einer Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt. Auf dem von der evangelischen Kirche herausgegebenen Musterformular für Patientenverfügungen hatte die Frau bereits im Jahre 1998 schriftlich verfügt, dass

  • lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollen, wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht oder
  • aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe.
  • In Ihrem Bekanntenkreis hatte sie hinsichtlich zweier Wachkomapatienten geäußert, sie wolle auf keinen Fall auf diese Weise am Leben erhalten und künstlich ernährt werden. Bevor Sie einen solchen Zustand erleide, sterbe sie lieber.

Gerichte lehnen Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen ab

Der Sohn ist - im Unterschied zum Ehemann - in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt der Auffassung, dass die lebenserhaltenden Maßnahmen beendet werden sollten. Im Jahr 2012 wurde der Sohn gerichtlich zum Betreuer bestellt. Den gerichtliche Antrag des Sohnes auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr lehnten das AG sowie das zweitinstanzlich zuständige LG ab.

LG will jegliche aktive Sterbehilfe vermeiden

Das LG begründete seine Entscheidung mit dem Inhalt der Patientenverfügung der Betroffenen, wonach diese keine aktive Sterbehilfe wünsche. Das LG vertrat die Auffassung, zwar habe die Patientin in eine solche Behandlungssituation wie die bestehende möglicherweise nicht kommen wollen. Nachdem die Situation jetzt aber so eingetreten sei, stelle das Abschalten der künstlichen Ernährung eine aktive Tätigkeit dar und sei damit als aktive Sterbehilfe zu werden, die die Patientin aber gerade nicht gewünscht habe.

Der BGH stellt entscheidend auf den Willen der Patienten ab

Der BGH bewertet die Qualifizierung des Abschaltens der künstlichen Ernährungssonde als aktive Sterbehilfe als absurd. Der BGH stellte die Vorschrift des § 1904 Abs. 2 BGB in den Vordergrund seiner Entscheidung. Hiernach bedürfe der Widerruf der ursprünglich auch durch den Sohn gegebenen Einwilligung in die künstliche Ernährung grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung. Die Genehmigungspflicht entfalle jedoch, wenn in einer gemäß § 1901 a BGB errichteten Patientenverfügung eindeutig der Wille der Betroffenen zur Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen zum Ausdruck komme. Nach Auffassung des BGH kommt es daher entscheidend auf den Willen der Betroffenen an.

Hohe Anforderungen an die Konkretisierung des Patientenwillens

Bereits im Jahre 2016 hatte der BGH in einem ähnlich gelagerten Fall die Anforderungen an die Konkretisierung des Patientenwillens ziemlich hoch gesteckt. Die Formulierung, keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu wünschen, wertete der BGH in seinem damaligen Beschluss als zu unbestimmt und zu vage.

Nach dem Diktum des BGH muss ein Betroffener

  • die einzelnen medizinischen Maßnahmen, die er im Krankheitsfalle nicht wünscht
  • sowie die näheren Umstände und gesundheitlichen Voraussetzungen, die konkreten Behandlungssituationen, unter denen er keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht,

möglichst konkret benennen (BGH, Beschluss v. 6.7.2016, XII ZB 61/16).

Entscheidend ist die Formulierung der Patientenverfügung

Im anhängigen Fall folgt der Wille der Betroffenen nach Auffassung des BGH in erster Linie aus der Patientenverfügung aus dem Jahre 1998. Darin habe die Frau verfügt, sie wünsche dann keine lebenserhaltenden Maßnahmen, wenn „keine Hoffnung auf Wiedererlangung des Bewusstseins“ besteht. Dieser für die Betroffene wichtigen Frage, ob eine solche Hoffnung realistischerweise besteht, seien die Vorinstanzen aber nicht nachgegangen. Nach dem Willen der Betroffenen sei dies das entscheidende Kriterium für die Feststellung ihres Sterbewillens. Deshalb müsse sich das LG mit dem Fall erneut befassen und diese Frage sorgfältig prüfen.

Kulminationspunkt: Wie würde die Betroffene selbst entscheiden?

Darüber hinaus habe das LG bei der Feststellung des Sterbewillens

  • die früheren Äußerungen der Frau in ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis,
  • ihre ethischen und religiösen Überzeugungen
  • sowie sonstigen Wertvorstellungen zugrunde zu legen.

Entscheidend ist es nach Auffassung des Senats, dass das LG endlich der Frage nachgeht, wie würde die Betroffene selbst entscheiden, wenn sie hierzu noch in der Lage wäre.

Wachkoma noch lange nicht beendet

Im Ergebnis hat der BGH damit dem LG die Klärung einer Reihe weiterer Fragen zugewiesen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in nicht unerheblichen Umfang weitere Zeit in Anspruch nimmt. Angesichts der Tatsache, dass die Betroffene sich in einer medizinischen Versorgungslage befindet, die sie nach allen bisherigen Erkenntnissen nach Möglichkeit vermeiden wollte, muss die Frage erlaubt sein, ob der vom BGH priorisierte Wille der Betroffenen hier tatsächlich im Vordergrund steht.

(BGH, Beschluss v. 8.2.2017, XII ZB 604/15)


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Schlagworte zum Thema:  Patientenverfügung, Sterbehilfe