Neuregelung der ärztlichen Zwangsbehandlung betreuter Personen

Mit dem „Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Betreuten“ will das Kabinett die Balance zwischen dem notwendigen Schutz der Betreuten und deren Selbstbestimmungsrecht neu justieren.

Stein des Anstoßes ist ein Beschluss des BVerfG, der eine empfindliche Regelungslücke bei der medizinischen Behandlung Betreuter offen gelegt hat. Nach bisherigem Recht ist die zwangsweise medizinische Behandlung einer betreuten Person gegen ihren erklärten Willen nur durch Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, sprich: Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt, zulässig. Außerhalb freiheitsentziehender Maßnahmen ist der entgegenstehende natürliche Wille des Betreuten als Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts grundsätzlich zu akzeptieren.

Schutzlücke bei drohenden Gesundheitsgefahren

Diese Situation ist nach Auffassung des höchsten deutschen Gerichts äußerst unbefriedigend in den in der Praxis nicht seltenen Fällen, in denen der Betreute die Bedeutung einer medizinisch erforderlichen Maßnahme für seine Gesundheit geistig nicht erfassen kann und er der Durchführung einer medizinischen Maßnahme widerspricht, ohne die ihm ein schwerwiegender gesundheitlicher Schaden droht.

Der Staat muss Betreute vor schweren Gefahren schützen

In der Tatsache, dass die Durchführung der erforderlichen medizinischen Behandlung nur über den Umweg der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme erzwungen werden kann, deren besonders strenge Voraussetzungen häufig aber gar nicht vorliegen, sehen die höchsten deutschen Richter eine Verletzung eklatanter Grundrechte der Betreuten. Gemäß Art.2 Abs. 2 Satz 1 GG sei der Staat nämlich verpflichtet, Menschen, für deren Gesundheitssorge ein Betreuer bestellt ist, vor schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden, auch gegen deren, auf mangelnder Einsichtsfähigkeit beruhenden Willen zu beschützen (BVerfG, Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15).

Ultima-Ratio-Vorbehalt

Auch nach Auffassung der Verfassungsrichter dürfen Zwangsmaßnahmen gegen den Betreuten allerdings nur als letztes mögliches Mittel angewendet werden, wenn im Gefahrenfall eine andere Form der Abwendung der Gefahr nicht möglich ist. Für diese Fallkonstellation müsse der Gesetzgeber eine gesetzliche Grundlage schaffen, nach der die Ergreifung von geeigneten Schutzmaßnahmen zulässig sei.

Kabinett will Gesetzeslücke schließen

Zum Zwecke der Schließung der Gesetzeslücke hat das Kabinett nun einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Dieser sieht vor, dass die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt wird.

  • Dabei bleiben die derzeit im § 1906 Abs. 3 BGB geregelten materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Grundsatz bestehen.
  • Statt an eine freiheitsentziehende Unterbringung wird die Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen künftig an den stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus geknüpft.
  • Ambulante Zwangsmaßnahmen bleiben weiterhin ausgeschlossen.

Damit will der Gesetzgeber gewährleisten, dass im Rahmen einer ärztlichen Zwangsmaßnahme durch die stationäre Behandlung in jedem Fall eine umfassende medizinische Versorgung des Betroffenen gewährleistet ist. Außerdem soll hierdurch sichergestellt werden, dass eine sorgfältige Prüfung der Einwilligungsfähigkeit und des Willens des Betroffenen gemäß § 1901a BGB erfolgt.

Anforderungskatalog an Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen

Gemäß dem neuen § 1906a BGB-E  soll der Betreuer künftig in eine ärztliche Zwangsmaßnahme trotz Widerspruchs des Betreuten einwilligen dürfen, wenn

  • die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden,
  • der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistiger oder seelischer Gebrechen die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme selbst nicht erkennen kann,
  • ein beispielsweise in einer Patientenverfügung im Zustand der Einsichtsfähigkeit erklärter ausdrücklicher Wille des Betreuten nicht entgegensteht (Vorrang des Patientenwillens),
  • ernsthaft und mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen,
  • keine weniger belastenden Maßnahmen ergriffen werden können und
  • der zu erwartende Nutzen die damit einhergehenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

Evaluierung der Wirkungen nach 3 Jahren

Das Kabinett geht an die Reform zurecht mit äußerster Vorsicht heran. Keinesfalls soll das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten stärker als erforderlich tangiert werden. Ein mit Einsichtsfähigkeit geäußerter entgegenstehender Wille, beispielsweise in einer Patientenverfügung, geht in jedem Fall vor. Wegen der äußerst sensiblen Rechtsmaterie sieht der Gesetzentwurf vor, dass die praktischen Auswirkungen des Gesetzes drei Jahre nach Inkrafttreten evaluiert werden. Insbesondere soll dabei geprüft werden, ob die gesetzlich vorgesehenen Mechanismen zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten wirksam greifen.

 

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