Germanwings-Absturz: ist das Entschädigungsangebot beleidigend?

50.000 Euro Soforthilfe. 25.000 Euro Schmerzensgeld für 7 Minuten Todesangst. 10.000 Euro für „unterstellte eigene Gesundheitsschäden“ der nächsten Angehörigen. Die Betroffenen haben das Angebot empört abgelehnt. Die Katastrophe wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die Depression, die "Krankheit des Jahrhunderts" - sie schreibt auch ein Kapitel zum Thema Schmerzensgeld in Deutschland.

Sind 25.000 Euro ein adäquater Ausgleich für den Tod eines Menschen? Geld als Anerkennung für den Schmerz der Hinterbliebenen. Wie ist das zu berechnen?

Diskriminiert deutsches Recht das Schmerzensgeld?

Kann der Tod eines Menschen in Geld aufgewogen werden? Das überkommene deutsche Recht sagt ganz klar: Nein! Weder der Tod eines Menschen noch der seelische Schmerz, den Eltern bei dem Verlust ihres Kindes oder Kinder bei dem Verlust ihrer Eltern oder ihrer Geschwister empfinden, können durch eine Geldleistung angemessen entschädigt werden.

Deutsche Recht hat sich, auf Grund der starken Ausrichtung an materiellen Werten, traditionell schwer getan mit dem Ersatz von Schäden, die keine Vermögensschäden sind. Die Zahlung einer Geldsumme hierfür erscheint nach deutscher Rechtslage als eher unwürdig.

Obwohl immaterielle Schäden das Leben eines Menschen oft stärker beeinträchtigen können als materielle, fallen die von der Rechtsprechung zuerkannten Entschädigungsbeträge für immaterielle Schäden  im internationalen Vergleich in Deutschland überhaupt immer noch eher gering aus.

Hinterbliebenen der Germanwings-Katastrophe fordern Geld

Die Welt wird aber auch rechtlich immer kleiner: Den Hinterbliebenen fehlt auch deshalb für diese althergebrachte deutsche Rechtsposition jegliches Verständnis, weil sie international isoliert ist.

Die Hinterbliebenen der 150 Menschen, die bei dem Flugzeugabsturz in Südfrankreich starben, monieren außerdem, dass man bereits seit Monaten auf eine angemessene Entschädigung warte. Auch habe man lange kein persönliches Wort von Lufthansa-Chef Carsten Spohr gehört. Das stimmt allerdings nicht so ganz, denn immerhin hat die Lufthansa unmittelbar nach dem Unglück für jedes Opfer 50.000 Euro Soforthilfe geleistet.

Entschädigungsangebot brüsk zurückgewiesen

Mittlerweile hat die Lufthansa über die bereits geleistete Soforthilfe hinaus offiziell eine Entschädigung angeboten.

  • 25.000 Euro Schmerzensgeld für die Opfer des Flugzeugabsturzes und damit für die letzten ca. sieben Flugminuten, in denen den Passagieren das Geschehen in der Luft bewusst wurde. 25.000 Euro also für 7 Minuten Todesangst. Dieser Betrag stünde dann den rechtmäßigen Erben des Opfers zu.
  • Darüber hinaus beinhaltet das Lufthansa Angebot einen Betrag in Höhe von 10.000 Euro für die nächsten Angehörigen, also Eltern, Kinder, Ehegatten, eheähnliche Lebenspartner. Diese 10.000 Euro werden laut Lufthansa gewährt für „unterstellte eigene Gesundheitsschäden“, also insbesondere für das psychische Leid der Angehörigen aufgrund des Verlustes der nahen Verwandten. 

Offener Brief an die Lufthansa

Die Angehörigen ebenso wie deren Anwälte sind über das Angebot empört. In einem offenen Brief haben sie moniert:

„das Leben eines jeden unserer Kinder und unseren Schmerz mit 45.000 Euro zu bemessen, beleidigt uns und vor allem unsere Kinder zutiefst“

(Berechnung der Summe: 25.000 Euro für jedes Opfer sowie je 10.000 für die Eltern = 45.000).

Der Preis für Leid

Hiernach stellt sich die Frage: Welcher Betrag ist als Ausgleich für den Verlust eines Kindes weniger beleidigend als das bisher Angebotene? Der Berliner Anwalt Elmar Giemulla fordert

  • ein Schmerzensgeld für jeden Toten im Bereich von 100.000 bis 200.000 Euro. Er weist auf die Höllenqualen hin, die ein Mensch erleidet, der minutenlang den sicheren Tod vor Augen hat.
  • Zusätzlich fordert er ein Schmerzensgeld für jeden Angehörigen in Höhe von 100.000 Euro.

Wäre das ein angemessener Betrag als Ausgleich für den Verlust des Lebens?

Angebot der Lufthansa geht über die Rechtslage weit hinaus

Die deutsche Rechtsprechung beurteilt die Frage allerdings völlig anders als Anwalt Giemulla.

  • Nach bestehender Rechtslage löst die „normale“ Trauer, die beispielsweise Eltern bei dem Verlust eines Kindes empfinden, grundsätzlich keinerlei Schmerzensgeldansprüche aus.
  • Nur wenn das Leiden eines Angehörigen über diese normale Trauer hinausgeht und zu gewichtigen psychopathologischen Ausfällen von einiger Dauer führt, die als eigenständige Gesundheitsbeeinträchtigung bewertet werden müssen, entsteht ein eigener Schmerzensgeldanspruch des Angehörigen (OLG Karlsruhe, Urteil v. 18.10.2011, 1 U 28/11).

Der BGH hat darüber hinaus einen eigenen Schmerzensgeldanspruch anerkannt, wenn zum Beispiel der Ehemann den Tod seiner Ehefrau optisch und akustisch in einer Weise miterleben muss, dass hierdurch ein psychischer Schockschaden mit eigenem Krankheitswert entsteht (BGH, Urteil v. 27.1.2015, VI ZR 548/12).

Renommee der Lufthansa steht auf dem Spiel

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu verkennen, dass das Angebot der Lufthansa, so makaber es klingt, rechtlich betrachtet ein Kulanzangebot ist. Die Opfer-Anwälte erwarten in diesem Fall von der Lufthansa allerdings keine rechtliche, sondern eine unternehmenspolitische Entscheidung.

  • Im Kern gehe es nicht darum, eine adäquate Summe als Ausgleich für den Verlust eines Menschenlebens zu finden,
  • es gehe vielmehr darum, dass das Leid der Opfer und der Angehörigen in einer sozialadäquaten Weise von dem Unternehmen anerkannt wird,
  • das den Todespiloten eingestellt und dessen gesundheitliche Verfassung möglicherweise zu wenig überprüft hat.

Das darin liegende Bekenntnis zur eigenen Verantwortlichkeit müsse sich auch in der Höhe des Betrages ausdrücken, der den Opfer als Entschädigungsleistung gewährt werde. Hier sei bei dem Angebot der Lufthansa die angemessene Höhe einer solchen Entschädigungsleistung noch nicht erreicht.

Politik will die Rechtslage für Opfer verbessern

Einige SPD-Regierungsmitglieder und auch einige grüne Politiker halten das Gezerre und Geschacher um Entschädigungsleistungen für würdelos. Nach ihrer Auffassung ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die rechtlichen Voraussetzungen für Entschädigungsleistungen in solchen Fällen klar zu regeln. Es wurde bereits angekündigt, für solche Fälle eine gesetzliche Regelung schaffen zu wollen.

Gesetzliche Grundlagen für Hinterbliebenen-Schmerzensgeld?

Die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, die auch Angehörigen Schmerzensgeld für psychisches Leid beim Verlust einer nahestehenden Person gewährt, ist eine rechtspolitische Entscheidung. Sie wäre nicht abwegig, immerhin kennen sämtliche Staaten des romanischen Rechtskreises und des „common law“ einen eigenen Schmerzensgeldanspruch für Angehörige.

Zwar ist der Verlust eines Menschen mit Geld nicht wirklich aufzuwiegen.  In den USA gibt es dafür trotzdem, auch um potentielle Schädiger abzuschrecken, astronomische Summen. Ob durch eine solche Rechtsänderung das schwierige auch mediale Ringen um eine angemessene Höhe und Bewertung verhindert werden könnte, bleibt allerdings offen.

Mit Entschädigungsleistungen allein ist es nicht getan

Über die angebotenen Entschädigungsleistungen hinaus ist die Lufthansa verpflichtet, den materiellen Schaden der Opfer zu ersetzen. D.h. für Familien, in denen beispielsweise der alleinverdiendende Ehegatte im Flugzeug saß, Unterhaltszahlungen oder Renten für die betroffenen Familien über einen unabsehbaren Zeitraum, nämlich der mutmaßlichen Lebensdauer des Verstorbenen. Da können in einzelnen Fällen schnell mehrere 100.000 Euro zusammenkommen.

Die Lufthansa hat bereits angekündigt, der eigenen hohen Unternehmensethik gerecht zu werden und ihren Verpflichtungen insoweit in vollem Umfange nachzukommen.

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