Die Kirchensteuersteuerpflicht entsteht mit der Taufe

Eine heute 66-jährige Frau, die als Säugling in der DDR evangelisch getauft wurde, davon aber nichts wusste und immer kirchenfern lebte, wurde zu ihrer Überraschung für die Jahre 2012 und 2013 zur Kirchensteuer veranlagt - zu Recht, wie das VG Berlin nun entschied.

Die aus Bitterfeld in der ehemaligen DDR stammende Klägerin war äußerst erstaunt, als sie an ihrem heutigen Wohnort vom Finanzamt Berlin Prenzlauer Berg für die Jahre 2012 und 2013 zur Kirchensteuer veranlagt wurde. Das Finanzamt buchte einen Steuerbetrag von insgesamt knapp 1.900 Euro auch prompt von Ihrem Konto ab.

Klägerin bestreitet Kenntnis ihrer Kirchenzugehörigkeit

Die Klägerin erhob zunächst Einspruch gegen ihre Veranlagung und erklärte, keiner Kirche anzugehören. Sie habe in der DDR schon ihre Jugend konfessionslos verbracht, als Mitglied der FDJ die DDR-Jugendweihe erhalten und dort allein dem Sozialismus Treue geschworen.

Von ihren Eltern sei sie ohne jegliche Religion erzogen worden und habe ihr gesamtes Leben als Jugendliche und als Erwachsene komplett kirchenfern verbracht. Ihre Eltern hätten sie gewiss nicht taufen lassen. Mit ihrer gegen die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg gerichteten Klage verlangte sie den aus ihrer Sicht rechtswidrig eingezogenen Steuerbetrag zurück.

Taufe durch Taufregister belegt

Zur Überraschung der Klägerin konnte die Evangelische Kirche die Taufe der heute 66-jährigen im Jahre 1953 - zwei Monate nach ihrer Geburt - belegen. Die Klägerin wird im Taufregister der Gemeinde Bitterfeld geführt. Die Eltern der Klägerin waren später in den Jahren 1956 und 1958 aus der Kirche ausgetreten. Die Klägerin konnte ihre Behauptung, ihre Eltern hätten mit Sicherheit anlässlich ihres Kirchenaustritts den Kirchenaustritt für ihre Tochter miterklärt - so sie denn überhaupt getauft worden sei - nicht belegen.

Nicht einmal zu Weihnachten in die Kirche

Die Klägerin verwies darauf, von ihren Eltern atheistisch erzogen zu sein. Eine Religionszugehörigkeit sei ihr niemals bewusst gewesen. Ihre Eltern hätten praktisch nie über die Kirche gesprochen und wenn, dann negativ. Am Religionsunterricht habe sie nicht teilgenommen. Die Eltern seien mit ihr nie in eine Kirche gegangen, nicht einmal an Weihnachten. Über die Taufe hätten ihre Eltern sie nicht informiert. Bis zum Erhalt der Steuerbescheide sei ihr eine Mitgliedschaft in der Kirche zu keinem Zeitpunkt bewusst gewesen.

Klägerin rügt Verfassungsverstoß

Die jetzige Anknüpfung der Kirchensteuerschuld an eine ihr nicht bewusste Kirchenmitgliedschaft verletzt nach Auffassung der Klägerin das Prinzip der Religionsfreiheit und hier insbesondere den Grundsatz der Freiwilligkeit bei der Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion. Die Steuerbescheide seien daher ebenso verfassungswidrig wie der Einzug der geltend gemachten Steuerbeträge von ihrem Konto. Sie habe deshalb Anspruch auf Erstattung.

Die Taufe führt zur Kirchenmitgliedschaft auch bei Säuglingen

Das Gericht folgte den Argumenten der Klägerin nicht und betonte in seiner Entscheidung, die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche sei mit dem Tag der Taufe begründet worden. Aufgehoben werden könne eine Mitgliedschaft nur durch eine ausdrückliche Austrittserklärung. Eine Austrittserklärung der Klägerin läge aber bis einschließlich 2013 nicht vor. Erst nach Erhalt der Steuerbescheide sei die Klägerin im Jahre 2014 wirksam aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Der Kirchenaustritt der Eltern in den Jahren 1956 und 1958 berühre die Mitgliedschaft der Klägerin nicht.

Religionsfreiheit und Freiwilligkeitsprinzip nicht verletzt

Nach Auffassung des Gerichts verstößt die durch eine Taufe erworbene Mitgliedschaft zur evangelischen Religion nicht gegen die verfassungsrechtlich geschützte Religionsfreiheit, auch wenn die Klägerin zum Zeitpunkt der Taufe noch ein Säugling gewesen sei. Der durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Religionsfreiheit sei zwar die Freiwilligkeit der Religionszugehörigkeit immanent, die durch die Eltern der Klägerin veranlasste Taufe verletze dieses Freiwilligkeitsprinzip aber nicht, da nach allgemeiner Rechtsauffassung Eltern über die Religionszugehörigkeit ihrer Kinder entscheiden können. Damit scheide auch ein Verstoß gegen das auch in Art. 29 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung von Berlin statuierte Freiwilligkeitsprinzip bei der Entscheidung über eine Religionszugehörigkeit aus.

Die Taufe ist konstitutiv für Kirchenmitgliedschaft

Die Evangelische Landeskirche begrüßte das Urteil und sah sich in ihrer Rechtsauffassung bestätigt, dass die Taufe rechtswirksam zur Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche führt. Die Taufe müsse als zentrales kirchliches Sakrament auch in Zukunft für die Kirchenmitgliedschaft konstitutiv bleiben. Die Landeskirche bedauerte, dass die Klägerin nicht auf das kirchliche Angebot einer einvernehmlichen Beilegung der Streitigkeit eingegangen sei. Die Kirche hatte außergerichtlich angeboten, die Steuerschuld zu halbieren. Nach dem Urteil muss die Klägerin nun auf eine Rückerstattung der eingezogenen Kirchensteuern komplett verzichten.

(VG Berlin, Urteil v. 12.12. 2019, 27 K 292.15).

Da bekommt der Satz "Lasst die Kindlein zu mir kommen" doch gleich eine andere Bedeutung.

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