Keine Verweigerung des Umgangsrechts wegen Corona-Pandemie
Die Beteiligten des vom OLG Braunschweig entschiedenen Verfahrens streiten um das Recht des Kindesvaters auf Umgang mit seiner knapp sechs Jahre alten Tochter. U.a. wegen der durch die Corona-Pandemie entstandenen Gesundheitsgefahren wollte die Kindesmutter dem Kindesvater das Umgangsrecht verweigern.
Familiengerichtliche Umgangsregelung ging der Kindesmutter zu weit
Zugunsten des nichtehelichen Vaters und gegen den Widerstand der Kindesmutter des Mädchens hatte das Familiengericht eine Umgangsregelung getroffen, wonach der Vater für die Zeit bis Ende Juni 2020 an den Wochenenden Umgang mit dem Kind haben darf, an jedem zweiten Wochenende mit einer Übernachtung.
Mutter verweigert Umgangsrechts wegen Corona-Gefahren
Die Kindesmutter, die sich bereits vor Eintritt der Corona-Krise vor Gericht jedem Umgangsrecht des Kindesvaters vehement widersetzte, beabsichtigte gegen den Beschluss des Familiengerichts Beschwerde einzulegen und beantragte zu diesem Zweck die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Neben der Auffassung, dass dem Kindesvater das nötige Verantwortungsbewusstsein für ein so weitgehendes Umgangsrecht insgesamt fehle, war die Kindesmutter der Meinung, auch wegen der durch die Corona-Pandemie entstandenen besonderen Gesundheitsgefahren müsse sie dem Kindesvater den Umgang mit dem Kind verweigern.
COVID-19-Pandemie kein Grund für Umgangsverweigerung
Hierzu stellte das OLG klar, dass die COVID-19-Pandemie grundsätzlich kein Anknüpfungspunkt für eine Verweigerung des Umgangsrechts gemäß § 1684 BGB sein könne. Nach dieser Vorschrift habe das Kind ein Recht auf Umgang mit jedem Elternteil und jeder Elternteil habe sowohl das Recht als auch die Pflicht dieses Umgangsrecht auszuüben. Dies gelte auch in Pandemie-Zeiten.
In Ausnahmefällen darf Umgangsrecht nicht zwangsweise durchgesetzt werden
Allerdings schränkte das OLG diesen Grundsatz insoweit ein, als besondere Lagen infolge punktueller Infektionsgeschehen eintreten könnten, in denen das Umgangsrecht vorübergehend nicht mit den Ordnungsmitteln des § 89 FamFG (Ordnungsgeld, Ordnungshaft) durchgesetzt werden dürfe. Denkbar sei dies aber nur bei besonderen regionalen Entwicklungen, die zu einer konkreten Gefahrenlage für das Kind in Verbindung mit der Ausübung des Umgangsrechts führten. Dies könne beispielsweise der Fall sein
- bei einer behördlichen Quarantäneanordnung,
- einer Ausgangssperre oder
- einer nachweislichen Infektion des umgangsberechtigten Elternteils oder eines Angehörigen von dessen Haushalt.
Der Umgangsberechtigte ist auch zur Pflege eines erkrankten Kindes befugt
Selbst eine mögliche Erkrankung des Kindes stünde nach Auffassung des Familiensenats einem Umgangsrecht grundsätzlich nicht entgegen, da auch der zum Umgang berechtigte Elternteil sein krankes Kind versorgen und pflegen dürfe.
Keine Verpflichtung des Umgangsberechtigten zum Corona-Test
Eine Verpflichtung des Umgangsberechtigten, sich auf das Virus testen zu lassen, besteht nach der Entscheidung des Senats grundsätzlich nicht. Der sorgeberechtigte Elternteil könne eine Testung des umgangsberechtigten Elternteils allerdings dann fordern, wenn hierfür die Voraussetzungen nach den von den Gesundheitsämtern vorgegebenen Richtlinien vorlägen, beispielsweise bei Vorliegen Covid-19-typischer Symptome des umgangsberechtigten Elternteils oder der mit diesem in einem Haushalt lebenden Personen.
Landesrechtliche Kontaktbeschränkungen hebeln Umgangsrecht nicht aus
Ergänzend wies das OLG darauf hin, dass der Umstand, dass Vater und Kind nicht in einem Haushalt leben, kein Hindernis für die Ausübung des Umgangsrechts ist. Selbst wenn landesrechtliche Verordnungen Kontakte zu Personen eines anderen Hausstandes untersagen, sei das Umgangsrecht hiervon nicht betroffen. Familienrechtlich gehöre das Umgangsrecht zum absolut notwendigen Minimum zwischenmenschlicher Kontakte zwischen dem Kind und dem nicht mit seiner täglichen Erziehung befassten Elternteil.
Antrag der Kindesmutter zurückgewiesen
Im Ergebnis wies das OLG den Antrag der Kindesmutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die beabsichtigte Beschwerde gegen den Umgangsbeschluss des Familiengerichts mit diesen Argumenten zurück.
(OLG Braunschweig, Beschluss v. 20.5.2020,1 UF 51/20).
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Hintergrund:
In der Praxis geben die Gerichte auch während der Corona-Pandemie dem Wohl der Kinder in ihren Entscheidungen in begründeten Einzelfällen den Vorrang vor den landesrechtlichen Bestimmungen der jeweiligen Coronaschutzverordnungen. So hat das VG Gelsenkirchen den Eltern eines in einer Pflegeeinrichtung lebenden vierjährigen schwerstbehinderten Kindes entgegen den Bestimmungen der CoronaSchVO des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem überragenden Interesse des Kindeswohls ein Besuchsrecht zugesprochen. Das Mädchen sei auf sozialen Kontakt zu seinen Eltern in besonderer Weise angewiesen (VG Gelsenkirchen, Beschluss v. 29.4.2020, 20 L 516/20). Mit ähnlicher Begründung hat es das VG Hamburg einer Mutter gestattet, ihre in einem Kinderschutzhaus untergebrachten Kinder entgegen dem in der dortigen CoronaSchVO geregelten Besuchsverbot für solche Pflegeeinrichtungen zu besuchen (VG Hamburg, Beschluss v. 16.4.2020, 11 E 1630/20).
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