Schutz des Familie gilt auch bei Entscheidung über eine Betreuung

Die Mutter einer an Schizophrenie leidenden Tochter hat sich erfolgreich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen ihre Entlassung als Betreuerin und die Einsetzung einer Berufsbetreuung zur Wehr gesetzt. Die Bedeutung und Tragweite der persönlichen Beziehung und familiären Bindung sind gem. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG auch bei der Entscheidung über eine Betreuung zu berücksichtigen.

Für die im Jahre 1992 geborene Tochter wurde 2014 eine Betreuung eingerichtet, weil sie aufgrund einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie nicht im Stande war, ihre Angelegenheit selbständig zu regeln.

Kontroverse um Wechsel zu familienfremder Berufsbetreuung und dauerhafte externe Unterbringung

Ihre Mutter wurde als Betreuerin für die Aufgabenbereiche Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung bestellt. Auf deren Antrag wurde die Betreute mehrfach für kurze Zeit in der geschlossenen Abteilung der örtlichen Psychiatrie untergebracht. Ein vom Betreuungsgericht beauftragter Gutachter empfahl eine weitere mehrmonatige Unterbringung, um eine akute Eigengefährdung abzuwenden. Ein Orts- und Betreuerwechsel sollte nach Ansicht des Gutachters aber möglichst vermieden werden. Eine Behinderung der Genesung der Tochter durch die Betreuung seitens der Mutter konnte der Gutachter nicht erkennen. 

Demgegenüber befürworteten die Betreuungsbehörde und die behandelnden Ärzte den Wechsel zu einem unvorbelasteten, familienfremden Berufsbetreuer. Sie sahen eine innerfamiliäre Dynamik, die für die Betroffene kontraproduktiv wirke. Dieser Empfehlung schloss sich das Betreuungsgericht an, obwohl die Betreute den ausdrücklichen Wunsch geäußert hatte, ihre Mutter als Betreuerin zu behalten. 

Auf Antrag der eingesetzten Berufsbetreuerin genehmigte das Betreuungsgericht daraufhin die Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses sowie nachfolgend in der geschlossenen Abteilung einer von dem Wohnort der Mutter ca. 120 km entfernten psychiatrischen Einrichtung

Als Betreuerin entlassene Mutter zieht vor das Bundesverfassungsgericht

Gegen ihre Entlassung als Betreuerin legte die Mutter zunächst Beschwerde und gegen den ablehnenden Beschluss des Landgerichts Verfassungsbeschwerde ein. Sie machte eine Verletzung in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG sowie eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in seiner Ausprägung als Willkürverbot und von Art. 19 Abs. 4 GG geltend. 

Es fehle an nachvollziehbaren Fakten, welche die Ungeeignetheit der Mutter als Betreuerin belegten und die Gerichte hätten das Ziel verfolgt, die Tochter dem Einflussbereich der Beschwerde führenden Mutter zu entziehen, obwohl die Tochter selbst durchgängig den Wunsch äußerte, zu Hause wohnen bleiben zu dürfen

Das Bundesverfassungsgericht gab der Mutter Recht. Es sah, unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechtes der Betreuten, eine Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes der Familie.

Verfassungsrechtlicher Schutz aus Art. 6 GG nicht ausreichend berücksichtigt

Diese Verfassungsgrundsätze in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG würden eine bevorzugte Berücksichtigung der Familienangehörigen bei der Auswahl von Pflegern und Vormündern für das (minderjährige) Kind gebieten, sofern keine Interessenkollisionen bestehe oder der Zweck der Fürsorgemaßnahme aus anderen Gründen die Bestellung eines Dritten verlange. Dem Schutz des Familiengrundrechts sei auch bei der Bestellung einer Betreuerin Rechnung zu tragen.

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts wurde dem innerfamiliären Zusammenhalt und dem Schutzraum der Familie keine ausreichende Bedeutung beigemessen. In dem Zusammenhang hätte insbesondere die Empfehlung des gerichtlich beauftragten Gutachters nicht außer Acht gelassen werden dürfen, der Betreuten keinen Orts- und Betreuerwechsel zuzumuten.

Grundgesetz schützt das Selbstbestimmungsrecht Betreuter

Darüber hinaus sei das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Betreuten zu beachten, deren Wunsch es war, weiterhin von ihrer Mutter betreut zu werden.

 Der Vorrang des Willens der Betreuten bei der Auswahl der Betreuerin gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ist „Ausdruck des grundrechtlich verbürgten und umfassenden Selbstbestimmungsrechts (auch) betreuungsbedürftiger Personen“ 

Die Bestellung einer anderen als der von der Betreuten gewünschten Person zum Betreuer ist gemäß § 1897 Abs. 1 BGB nur ausnahmsweise möglich,

  • wenn die gewünschte Person ungeeignet ist
  • und deren Bestellung dem Wohl der Betreuten zuwiderläuft.

Einzelfallabwägung geboten

Hier hat im Hinblick auf Art. 6 Abs. GG eine sorgfältige Abwägung zu erfolgen und es dürfen keine vorschnellen Entscheidungen gefällt werden. Insbesondere ist ein Betreuerwechsel gegen den Willen der Betreuten nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil das Betreuungsgericht eine andere Person für besser geeignet hält. Die Frage der fehlenden Eignung der Betreuerin ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls und mit Blick auf den betroffenen Aufgabenkreis zu prüfen und mit dem ausdrücklichen Wunsch der Betreuten abzuwägen. Dabei ist auch zu klären, ob etwaige Zweifel an der Eignung durch andere Maßnahmen, wie ein konkretes Hilfsangebot, ausgeräumt werden können.

(BVerfG, Beschluss v. 31.03.2021, 1 BvR 413/20).

Weitere News zum Thema:

Persönliche Anhörung in Betreuungsverfahren trotz Corona erforderlich

Reform im Vormundschafts- und Betreuungsrecht

Sittenwidriges Testament zu Gunsten der Betreuerin


Schlagworte zum Thema:  Betreuungsrecht, Verfassungsbeschwerde, Familie