Leitsatz

Stellt der Rechtsstreit zwar im Verhältnis zwischen dem Kläger und einem Beklagten, nicht aber im Verhältnis zu einem weiteren Beklagten eine Wohnungseigentumssache gemäß § 43 Nr. 1 bis 4 oder 6 WEG dar, richtet sich die Zuständigkeit in der Berufungsinstanz jedenfalls dann zweifelsfrei auch für den weiteren Beklagten nach § 72 Abs. 2 GVG, wenn die Entscheidung erster Instanz beide Streitgenossen betrifft

 

Normenkette

§ 43 Nr. 1 WEG; § 72 Abs. 2 GVG

 

Das Problem

In einer Wohnungseigentumsanlage befinden sich unter anderem 6 Gewerbeeinheiten, die im Teileigentum von Wohnungseigentümer B stehen und von M als dessen Mieterin genutzt werden. Ohne Genehmigung der übrigen Wohnungseigentümer lassen B und M im Hof und an den Flachdächern Lüftungsrohre einbauen und Klimageräte aufstellen. Die auf Beseitigung der Umbauten und Wiederherstellung gerichtete Klage von Wohnungseigentümer K hat vor dem Amtsgericht Gladbeck Erfolg. B und M legen Berufung beim Landgericht Essen ein. Nachdem dieses auf seine Unzuständigkeit hingewiesen hat, nimmt B seine Berufung zurück. Die Berufung von M verwirft das Landgericht Essen als unzulässig. Es sieht für beide Berufungen das Landgericht Dortmund als das gemäß § 72 Abs. 2 GVG i.V.m. § 43 Nr. 1 WEG zuständige Berufungsgericht an. Dagegen wendet sich M mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Abweisung der Klage erreichen will; hilfsweise beantragt er, die Sache an das für Streitigkeiten im Sinne von § 72 Abs. 2 GVG zuständige Landgericht Dortmund zu verweisen.

 

Die Entscheidung

  1. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Sie sei zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ohne Zulassung statthaft. Zulässig sei sie aber gemäß § 574 Abs. 2 ZPO nur, wenn auch die dort bestimmten weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Das sei nicht der Fall.
  2. Ein Zulassungsgrund ergebe sich nicht daraus, dass das Berufungsgericht das Landgericht Dortmund als zuständiges Berufungsgericht ansehe. Zwar sei die Klage nur insoweit Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG, als sie sich gegen B richtet; bezogen auf M sei sie allgemeine Zivilsache. Nachdem aber B und M zulässigerweise als Streitgenossen verklagt wurden, wirke die Konzentration der Berufungszuständigkeit gemäß § 72 Abs. 2 GVG auch für M; zweifelsfrei sei dies jedenfalls dann, wenn das Urteil 1. Instanz – wie hier – beide Streitgenossen betreffe. Dass die Zuständigkeitskonzentration des § 72 Abs. 2 GVG grundsätzlich auch für einen Streitgenossen gilt, für den die in der Norm genannten Voraussetzungen nicht gegeben seien, sei bereits für einen vergleichbaren Sachverhalt entschieden worden (Hinweis auf BGH v. 9.12.2010, V ZB 190/10, ZfIR 2011 S. 324).
  3. Zwar sei dort eine Zuständigkeitsbestimmung durch das Oberlandesgericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorausgegangen und die Berufung wurde vonseiten der Klägerin gegen sämtliche Beklagten des Rechtsstreits geführt. Ob eine Zuständigkeitsbestimmung erfolgt ist, sei indessen unerheblich, weil die Anwendung von § 72 Abs. 2 GVG nicht davon abhänge, ob ein gemeinsamer Gerichtsstand ohnehin besteht, oder ob dieser erst gerichtlich bestimmt werden muss; ebenso wenig sei es von Bedeutung, wer Berufungsführer ist und ob es eine einheitliche Berufung oder wie hier mehrere Rechtsmittel gebe. Entscheidend sei vielmehr, dass die Streitgenossen nicht in getrennten Prozessen, sondern gemeinsam vor dem Wohnungseigentumsgericht verklagt werden. Andernfalls käme es nämlich zu einer unerwünschten Aufspaltung der Berufungszuständigkeit und zu einer Trennung des Prozesses in der Berufungsinstanz; diese wäre auch mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit unvereinbar (Hinweis auf Elzer, in: BeckOK WEG § 43 Rn. 189 und Hogenschurz, ZfIR 2011, S. 325, 326).
  4. Diese Sichtweise entspreche der Rechtsprechung zur besonderen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für Sachverhalte mit Auslandsberührung gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG in der vom 1.1.2002 bis zum 31.8.2009 geltenden Fassung; auch diese Zuständigkeitskonzentration habe für inländische Streitgenossen gleichermaßen gegolten (Hinweis unter anderem auf BGH v. 27.3.2008, VII ZR 76/07, NJW-RR 2008 S. 1165).
  5. Die Rücknahme von B's Berufung ändere nichts. Ohnehin sei sie erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgt (Hinweis auf BGH v. 13.5.2003, VI ZR 430/02, BGHZ 155 S. 46, 49). Unabhängig davon trete die in § 72 Abs. 2 GVG vorgesehene Zuständigkeitskonzentration jedenfalls dann zweifelsfrei ein, wenn die Entscheidung 1. Instanz – wie hier – beide Streitgenossen betreffe; das zuständige Berufungsgericht müsse nämlich bei der Zustellung der Entscheidung 1. Instanz feststehen. Bislang ungeklärt sei die Zuständigkeit nur dann, wenn sämtliche Streitgenossen, für die der Rechtsstreit eine Streitigkeit gemäß § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 WEG darstellt, bereits vor der Entscheidung in 1. Instanz – etwa durch eine Klagerücknahme – ausgeschieden seien (dazu Hogenschurz, AnwZert MietR 24/2010 Anm. 1); diese Frage bedürfe hier jedoch keiner Entscheidung.
  6. Eine Verweisung des Rechtsst...

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