ZPO § 42 Abs. 2

Leitsatz

Zur Frage der Besorgnis der Befangenheit eines Richters, der Mitglied der Spruchgruppe eines beim BGH anhängigen Rechtsstreit ist, der derzeit ausgesetzt und dem EuGH zur Auslegung einer Richtlinie vorgelegt ist, weil der Richter sich zu dem Fall und der Vorlageentscheidung des BGH auf einer Fachtagung öffentlich geäußert hat.

BGH, Beschl. v. 13.1.2016 – VII ZR 36/14

Sachverhalt

Die beklagte Prüforganisation wurde von dem inzwischen insolventen französischen Hersteller von Brustimplantaten mit der für Medizinprodukte durch EU-Recht vorgeschriebenen Zertifizierung beauftragt. Im Rahmen des Zertifizierungsverfahrens führte die Bekl. bei dem Hersteller Kontrollen durch, die allerdings nicht zu der Aufdeckung des Produktfehlers führten, der in der Verwendung von minderwertigem Industriesilikon statt des genehmigten Silikons bestand.

Die durch ein fehlerhaftes Brustimplantat geschädigte Kl. macht in einem zum BGH gelangten Rechtsstreit Schadensersatz geltend. Das BG bestätigte in seiner Entscheidung die Klageabweisung des LG und hat die Revision zugelassen. Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Auslegung der für seine Entscheidung zugrunde zu legenden Richtlinie 93/42/EWG vorgelegt (NJW 2016, 2737). Der Berichterstatter des Senats hielt auf einer öffentlichen Fachtagung einen Vortrag zur Haftung von Prüforganisationen für fehlerhafte Medizinprodukte, wobei er sich erkennbar auch zu den im anhängigen Verfahren entscheidungserheblichen Fragen äußerte. Die Zuordnung seiner Ausführungen zu dem Verfahren war unschwer möglich, da der später abgelehnte Richter zwar die Namen der Verfahrensbeteiligten nicht nannte, in den Informationsunterlagen für die Teilnehmer der Tagung jedoch das Aktenzeichen des BGH angegeben war. Das von der Bekl. angebrachte Ablehnungsgesuch wurde auch darauf gestützt, dass den von dem Richter in seinem Vortrag gewählten Formulierungen die Besorgnis der Befangenheit entnommen werden könne.

Der BGH ging in seiner Entscheidung von der grundsätzlichen Unbedenklichkeit der Teilnahme eines Richters an Seminaren zu aktuellen Rechtsfragen aus und ging auch auf die von der Bekl. zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit angeführten Formulierungen im Rahmen des Vortrags des Richters ein. Das Ablehnungsgesuch blieb erfolglos.

2 Aus den Gründen:

[8] "… Der Senat kann über das Ablehnungsgesuch trotz Aussetzung des Verfahrens entscheiden, weil es sich dabei nicht um eine Entscheidung in der Hauptsache, sondern um eine Nebenentscheidung handelt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 249 Rn 9)."

[9] 1. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet gem. § 42 Abs. 2 ZPO nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (BVerfG, BVerfGE 88, 17, 22 f. = NJW 1993, 2230; BGH NJW-RR 2013, 1211; NJW 2012, 1890; NJW-RR 2003, 281). Als Umstände in diesem Sinne kommen dabei nur objektive Gründe in Betracht, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit parteiisch gegenüber (vgl. BGH BGH-Report 2005, 1350 = BeckRS 2005, 02127).

[10] 2. Nach diesen Maßstäben liegen Ablehnungsgründe nicht vor. Es liegen keine Umstände vor, die den Anschein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit begründen.

[11] a) Die Teilnahme eines Richters an Seminaren zu aktuellen Rechtsfragen stellt keinen Befangenheitsgrund dar. Die Teilnahme von Richtern am BGH und anderen Gerichten an wissenschaftlichen Veranstaltungen ist üblich und allgemein bekannt. Sie dient der Darstellung und Vermittlung der Rspr. der Gerichte und dem Austausch von Meinungen, auch in Bezug auf sich neu stellende Probleme und deren wissenschaftlichen Hintergrund.

Ein solcher wissenschaftlicher Austausch ist für ein oberstes Bundesgericht unverzichtbar. Damit geht einher, dass die Teilnahme von Richtern an solchen Tagungen und Seminaren und ihre dortigen Meinungsbekundungen grds. nicht geeignet sind, ihre Befangenheit zu begründen (BGH NJW 2002, 2396; vgl. auch BVerfGE 95, 189, 191 = NJW 1997, 1500).

[12] Das stellt sich im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht der Bekl. nicht anders dar, weil es sich um ein beim Senat noch anhängiges Verfahren handelte, zu dem der abgelehnte Richter vorgetragen hat. Denn dieser Rechtsstreit ist durch Beschl. v. 9.4.2015 ausgesetzt, weil der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zur Auslegung der Richtlinie 93/42/EWG des Rates v. 14.6.1993 über Medizinprodukte vorgelegt hat. Das unterbricht zwar nicht die Anhängigkeit des Rechtsstreits beim BGH (§§ 148, 249 ZPO), führt aber zu einer Zäsur des Verfahrens durch die Vorlage der Sache an den Gerichtshof. Diese Entscheidung über die Aussetzung und Vorlage ist eine unanfechtbare Zwischenentscheidung, die mit Gründen versehen un...

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