VVG § 178; ZPO § 286; AUB 1.3 1.5 2.1.1

Leitsatz

1. Die ärztliche Feststellung von Invalidität setzt nicht voraus, dass ein Arzt festgestellt hat, ein konkret beschriebener Unfall sei Ursache der diagnostizierten Gesundheitsschädigung, sondern lediglich, dass die festgestellte Gesundheitsschädigung einem bestimmten Unfallereignis nach den ärztlichen Angaben zugeordnet werden kann.

2. Ein "Beinahe-Ertrinken" ist einem Unfall durch Ertrinken nicht gleich zu erachten.

3. Eine Hirnblutung, die ein VN bei einem Tauchvorgang erleidet, ist nicht im Wege eines Anscheinsbeweises auf einen tauchtypischen Unfall zurückzuführen.

(Leitsätze der Schriftleitung)

OLG Jena, Urt. v. 10.8.2017 – 4 U 820/15

Sachverhalt

Der Kl. nimmt die Bekl. aus einer bei ihr unterhaltenen Unfallversicherung in Anspruch. In den dem Vertrag zugrunde liegenden AGB heißt es u.a.:

"1.5 Wir bieten Versicherungsschutz für"

– unfreiwillige tauchtypische Gesundheitsschädigungen, wie z.B. Caissonkrankheit oder Trommelfellverletzungen, und

– den unfreiwilligen Ertrinkungs- bzw. Erstickungstod unter Wasser; (…)

2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung:

2.1.1.1 (…) Die Invalidität ist

– innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.

5.2. Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen:

5.2.1 Schäden an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis nach Ziff. 1.3 die überwiegende Ursache war.“

Am 20.3.2009 gegen 10:00 Uhr verlor der zum damaligen Zeitpunkt 56-jährige Kl. in X während eines Tauchgangs in einer Tiefe zwischen zwölf und 15 m das Bewusstsein und wäre fast ertrunken. Unstreitig hatte er zuvor dem mit tauchenden Zeugen Z signalisiert, dass sein Luftvorrat zu Neige geht. Der weitere Verlauf des Tauchgangs ist zwischen den Parteien streitig.

2 Aus den Gründen:

"… Das LG hat im Ergebnis zu Recht Leistungsansprüche aus der streitgegenständlichen Unfallversicherung verneint."

1. Die geltend gemachten Ansprüche scheitern vorliegend allerdings nicht bereits daran, dass die unfallbedingte Invalidität nicht binnen 15 Monaten seit dem behaupteten Schadenstag von einem Arzt schriftlich festgestellt worden wäre.

Der ärztliche Bericht des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N vom 12.8.2009 enthält eine nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008 geforderte Invaliditätsfeststellung. Unschädlich hierbei ist, dass der Arzt die Ursache des “mit hoher Wahrscheinlichkeit' prognostizierten Dauerschadens nicht explizit als “Unfall' bezeichnet hat. Die Unfallbedingtheit des Dauerschadens ist nämlich durch die in dem ärztlichen Bericht vorgenommene Zuordnung als “Folgen einer Stammganglienblutung re. v. 20.3.2009' in ausreichendem Maße individualisiert und konkretisiert worden.

Gemessen am Zweck der fristgebundenen ärztlichen Feststellung genügt es, wenn diese Feststellung die Ursachen, auf denen der Dauerschaden beruht, so umreißt, dass der VR bei seiner Leistungsprüfung den medizinischen Bereich erkennen kann, auf den sich die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung erstrecken muss und vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invaliditätsursachen geschützt wird. (…)

Diese Voraussetzungen werden durch die ärztliche Feststellung vom 12.8.2009 gewahrt. Die angegebene Ursache “Stammganglienblutung re. v. 20.3.2009' ist sowohl in deren medizinischer Ausprägung als auch in zeitlicher Hinsicht so konkret bezeichnet, dass einerseits deren medizinischer Inhalt und andererseits der ihr zugrunde liegende Lebenssachverhalt jeweils eindeutig von etwaig in Betracht kommenden anderen Ursachen abgegrenzt werden können. Unschädlich ist, dass diese Ursache nicht selbst explizit als “Unfall' bezeichnet und der ihr zugrunde liegende Lebenssachverhalt nicht angegeben ist. Eine derartige Qualifizierung ist einem behandelnden Arzt aus eigenem Wissen im Allgemeinen gar nicht möglich, denn zum einen hat dieser regelmäßig den (ggf.) als “Unfall' zu beurteilenden Sachverhalt nicht selbst wahrgenommen. Zum anderen erfordert dessen begriffliche Einordnung als “Unfall' eine rechtliche Subsumtion des – dem Arzt aus eigener Wahrnehmung nicht bekannten – Lebenssachverhalts unter diesen Rechtsbegriff (oder ggf. auch unter einen etwaig dem Unfall bedingungsgemäß gleichgestellten Versicherungsfall). Beides unterfällt nicht der medizinischen Kompetenz des Arztes und entspricht auch nicht dem Zweck der ärztlichen Feststellung einer Invalidität.

2. Die eingeklagten Leistungsansprüche aus der Unfallversicherung sind jedoch unbegründet, da im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit der hierfür nach § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, dass die invaliditätsverursachende Erstschädigung auf einen Unfall i.S.d. Ziff. 1.3 AUB 2008 zurückzuführen ist oder eine tauchtypische Gesundheitsschädigung i.S.d. Ziff. 1.5 AUB 2008 darstellt.

a) Dabei kann Ziff. 1.5, 2. Spiegelstrich, nach der ein Ertrinkungs- bzw. Erstickungstod unt...

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