Stille Reserven sind der Unterschiedsbetrag zwischen Buchwert und höherem gemeinen Wert (Verkehrswert) eines Wirtschaftsguts. Sie bilden also die Wertsteigerungen des Betriebsvermögens ab – Wertsteigerungen, die bislang wegen des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips nicht zu realisieren, mithin auch nicht zu versteuern waren. Sie sind es aber, wenn die Voraussetzungen eines Realisationstatbestands erfüllt sind, etwa bei der Aufgabe oder Veräußerung eines Betriebs (§ 16 EStG) oder eines Vermögens, das der selbstständigen Arbeit dient (§ 18 Abs. 4 EStG).

Wird ein Betrieb aufgegeben und führt dies zur Aufdeckung stiller Reserven, stellt die darauf entfallende Einkommensteuer nach Ansicht des BGH[71] grundsätzlich einen Schaden dar; im Streitfall ging es um die fehlerhafte Beratung durch einen Steuerberater. Ein solcher Schaden kann allerdings auch anlässlich eines Verkehrsunfalls eintreten, wenn der Geschädigte eben infolge des Unfalls seinen Betrieb oder seine freiberufliche Praxis nicht mehr fortführen kann.

Aus der steuerdogmatischen Einordnung der stillen Reserven als "Aufschub der Besteuerung" könne der Schädiger – so der BGH – nichts für sich herleiten. Die Befreiung von einer latenten Steuerlast sei schadensrechtlich dem Schädiger unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs nur gutzubringen, wenn der Geschädigte infolge dieser Befreiung Vorteile erzielt, die ihm ohne die Aufdeckung nicht zugeflossen wären. Dies richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls.[72]

Wird ein Betrieb veräußert und führt dies zur Aufdeckung stiller Reserven, stellt die darauf entfallende Einkommensteuer nach Ansicht des BGH[73] allerdings nicht ohne Weiteres einen Schaden dar. Beim Vermögensvergleich müsse – so der BGH – gegenübergestellt werden der Veräußerungsgewinn abzüglich Steuern einerseits und der Verkehrswert des Betriebsvermögens andererseits. Wenn der realisierte Verkehrswert sich nur bei einer Veräußerung erzielen lasse, diese aber zwangsläufig die Steuerlast auslöse, stelle die festgesetzte Steuerschuld im Gesamtvermögensvergleich keinen Schaden dar.

[72] Im Streitfall des BGH (Fn 70) hätte noch in Betracht gezogen werden können, dass zum Betriebsvermögen der Kläger auch eine Immobilie gehörte. Nach Betriebsaufgabe war diese Immobilie nunmehr Privatvermögen und so nur noch im Rahmen des § 23 EStG steuerbar, was den Klägern weitere Entscheidungsspielräume eröffnete.

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