Das KG Berlin[33] betont die Notwendigkeit des Vorliegens eines vollständigen schriftlichen Urteils als Prüfungsgrundlage für das Rechtsbeschwerdegericht. Dies setzt voraus, dass es von dem Tatrichter ordnungsgemäß unterzeichnet ist, ansonsten liegt nur ein Entwurf vor. Eine fehlende oder unzureichende Unterschrift stellt einen sachlich-rechtlichen Fehler dar, der nur innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO berichtigt werden kann. Sind hingegen keinerlei Buchstaben erkennbar und besteht die Unterschrift lediglich aus der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder Linien, fehlt es an dem Merkmal einer Schrift und damit an einer formgerechten Unterschrift.

Das OLG Hamm[34] hatte sich mit einem erstinstanzlichen Urteil zu befassen, das ohne Gründe erstellt wurde. Dieses ist bereits auf die Sachrüge hin aufzuheben. Dem völligen Fehlen von Urteilsgründen ist der Fall gleichzustellen, dass sich bei den Akten zwar eine schriftliche Urteilsbegründung befindet, diese aber keine einzige richterliche Unterschrift trägt, weil in dieser Konstellation der Sache nach lediglich ein Begründungsentwurf vorliegt.

Das OLG Jena[35] musste – in einem sicherlich besonderen Fall – feststellen, dass die Ausnahmevorschrift des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit lediglich auf Fristüberschreitungen in überschaubarem Maß anwendbar ist. Ein mit der Rechtsbeschwerde angefochtenes Urteil, das wegen Erkrankung der zuständigen Richterin mehr als 10 Monate nach seiner Verkündung noch nicht in schriftlicher Form zu den Akten gelangt ist und mit dessen alsbaldiger Absetzung wegen nicht absehbarer Fortdauer der Erkrankung nicht zu rechnen ist, ist ungeachtet seiner fehlenden Zustellung auf die bereits zulässig erhobene Sachrüge vom Rechtsbeschwerdegericht aufzuheben, da der Verfahrensmangel auf anderem Wege nicht mehr zu beheben und die Beendigung des eingetretenen Schwebezustandes geboten ist.

Der BGH[36] machte im vergangenen Jahr der kurzzeitig schwelenden Debatte über die Frage der "Zustellung" des Protokolls samt Urteilsformel und Unterschriften an die Staatsanwaltschaft zwecks Einholung des Rechtsmittelverzichts ein Ende. Vereinzelt wurde entschieden, dass nach einer gem. § 41 StPO verfügten Zustellung der Akte und Rechtsmitteleinlegung durch den Betroffenen eine Ergänzung des Urteils nach § 77b OWiG nicht mehr erfolgen könne.[37] Der BGH erläuterte dazu nun, dass im Bußgeldverfahren die Urteilsgründe auch dann innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO zu den Akten gebracht werden dürfen, wenn der Staatsanwaltschaft zunächst ein unterzeichnetes Hauptverhandlungsprotokoll und ein unterzeichnetes Urteilsformular mit vollständigem Tenor und der Liste der angewandten Vorschriften mit der Bitte um Kenntnisnahme vom Protokoll der Hauptverhandlung sowie der Anfrage zugeleitet worden sind, ob auf Rechtsmittel verzichtet werde. Für die Annahme einer Zustellung i.S.v. § 41 StPO durch Vorlegung der Urschrift des Urteils ist kein Raum, weil auf Seiten des Tatrichters ein entsprechender Zustellungswille fehlt und dies in der Zuleitungsverfügung auch deutlich zum Ausdruck kommt. Der Richter will dann noch kein fertiges Urteil in den Geschäftsgang geben. In ähnlicher Weise entschied das OLG Hamm.[38]

[33] KG Berlin, Beschl. v. 27.11.2013 – 3 Ws (B) 535/13 – juris.
[35] OLG Jena, Beschl. v. 8.4.2013 – 1 Ss Bs 8/13 – juris = StraFo 2013, 475.
[36] BGH, Beschl. v. 8.5.2013 – 4 StR 336/12 – juris = BGHSt 58, 243.
[37] OLG Celle, Beschl. v. 30.8.2011 – 311 SsRs 126/11 – juris; OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.11.2011 – (1 B) 53 Ss-OWi 446/11 (244/11) – juris.

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