" … Das Rechtsmittel hat zumindest vorläufigen Erfolg."

Das AG ist zutreffend von einem in objektiver Hinsicht gegebenen Verstoß gem. §§ 41, 69 a StVZO ausgegangen. Der Betr. hat den Sattelzug in Betrieb genommen, obwohl die Bremsscheibe des rechten Vorderrades zwei durchgehende Risse aufwies. Diese Risse führten zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, wie das AG aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen rechtsfehlerfrei festgestellt hat.

Die Feststellungen tragen aber nicht die Annahme von Fahrlässigkeit des Betr. in Bezug auf den Verstoß. Der strafrechtliche Fahrlässigkeitsmaßstab fordert die nach den objektiven Umständen gebotene und den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., Einl. Rn 138). Gem. § 23 Abs. 1 S. 2 StVO ist der Fahrzeugführer für die Vorschriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs verantwortlich. Er hat sich jeweils vor Fahrtantritt im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren davon zu überzeugen (vgl. König a.a.O., § 23 StVO Rn 15 ff. m.w.N.). Da die Funktionsfähigkeit der Bremsanlage von enormer Wichtigkeit für die Verkehrssicherheit ist, bestehen insoweit strenge Anforderungen an die Prüfpflicht des Fahrers. Der Führer eines Lkw ist grds. vor Antritt der Fahrt verpflichtet, die Bremsanlage durch Bremsproben zu überprüfen (vgl. OLG Koblenz VRS 41, 267; 51, 267; BayObLGSt 1973, 216; OLG Frankfurt a.M. VersR 1980, 196; OLG Hamm, Beschl. v. 10.9.1992 – 3 Ss OWi 853/92, juris; König a.a.O. Rn 18). Eine derartige Bremsprobe hat der Betr. vor der Fahrt durchgeführt. Soweit das AG davon ausgeht, dass ein Lastzugfahrer jeweils vor Fahrtantritt die Bremsscheiben des Lastzugs durch die Löcher in den Felgen einer Sichtkontrolle auf Risse unterziehen muss, überspannt das AG aber die Sorgfaltsanforderungen an einen Lastkraftfahrer (vgl. auch OLG Celle, Beschl. v. 3.2.2009 – 311 SsRs 138/08, juris, OLG Hamm, Beschl. v. 26.2.2007 – 4 Ss OWi 146/07, juris). Eine Pflicht zu regelmäßigen Sichtkontrollen der Bremsscheiben ist in der obergerichtlichen Rspr. bislang nicht angenommen worden (OLG Celle, a.a.O., OLG Hamm a.a.O.). Auch der Senat sieht keine grds. Verpflichtung zur Kontrolle der Bremsscheiben vor Fahrantritt. Aus den Unfallverhütungsvorschriften (UVV) der “Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution‘ ist nicht zu entnehmen, dass die Bremsanlage einer Sichtprüfung zu unterziehen ist. In der Durchführungsanordnung zu § 36 Abs. 1 UVV wird auf den BG-Grundsatz “Prüfung von Fahrzeugen durch Fahrpersonal‘ (BGG 915) verwiesen. Darin sind die Prüfpunkte für die Fahrzeugkontrolle – u.a. für die Bremsanlage – festgelegt. Der Prüfungsumfang richtet sich nach der Art der Bremsanlage (hydraulisch, Druckluft, sonstige), wobei bei keiner Anlage eine optische Kontrolle vorgesehen ist. Den Betr. träfe nur dann ein Fahrlässigkeitsvorwurf, wenn er im konkreten Fall einen besonderen Anlass zu einer Sichtkontrolle der Bremsscheiben gehabt hätte. Ein solcher Anlass zu gesteigerter Sorgfalt kann etwa bestehen, wenn entsprechende Mängel zuvor bereits einmal festgestellt worden sind (vgl. dazu KG VRS 82, 149). Der Annahme des AG, der Betr. sei aufgrund der Vielzahl der Hitzerisse, die über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden seien, zur Prüfung der Bremsscheiben auch auf durchgehende Risse verpflichtet gewesen, folgt der Senat nicht. Denn die Hitzerisse waren nach den Angaben des Sachverständigen überwiegend unproblematisch. Bei harmlosen Mängeln, die sich erst über einen längeren Zeitraum verschlechtern, darf sich der Fahrer aber grds. darauf verlassen, dass diese bei der regelmäßigen Wartung, spätestens aber bei der Hauptuntersuchung des Fahrzeugs festgestellt und beseitigt werden. Die Pflicht zu genauerer Prüfung vor Fahrtantritt könnte hier allenfalls daraus folgen, dass die Mängel an der Bremsscheibe so auffällig waren, dass sie von dem Betr. bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Pflicht zur Kontrolle der Reifen auf ausreichenden Luftdruck und Profiltiefe sowie der Radmuttern auf festen Sitz hätten bemerkt werden müssen. Dies ist durch die Feststellungen des Urteils aber nicht hinreichend belegt. Dass der Zeuge POK M. und der Sachverständige die durchgehenden Risse durch die “in ausreichender Zahl vorhandenen und ausreichend großen Lüftungsöffnungen der Felgen ohne Zuhilfenahme von Werkzeugen‘ sehen konnten, besagt nicht, dass auch der Betr. diese erkannt haben musste. Hiervon wäre nur auszugehen, wenn mindestens ein durchgehender Riss – völlig unabhängig von der Radstellung – durch die Felgenlöcher zwingend erkennbar gewesen ist. Dazu ist weitere Aufklärung zur Position der durchgehenden Risse auf der Bremsscheibe erforderlich. Sollte nicht auszuschließen sein, dass beide Risse durch die Bremsbacken verdeckt gewesen sein könnten, scheidet ein Fahrlässigkeitsvorwurf aus. Denn der Betr. war nicht verpflichtet, den Sattelzug mehrfach um wenige Zentimeter zu bewegen, um so die Bremsscheiben vollstä...

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