ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 § 32 § 35

Leitsatz

Ein die Kostenerstattung gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO ausschließender Rechtsmissbrauch liegt nicht allein darin, dass der im Ausland ansässige Kl. das ihm gem. § 35 ZPO zustehende Wahlrecht dahin ausübt, dass er weder am Gerichtsstand des Bekl. noch am Sitz seines Prozessbevollmächtigten klagt, sondern bei einem dritten, sowohl vom Sitz des klägerischen Prozessbevollmächtigten als auch vom Wohnsitz des Bekl. weit entfernten Gerichtsort.

BGH, Beschl. v. 12.9.2013 – I ZB 39/13

Sachverhalt

Der in Großbritannien ansässige Kl. hatte den Bekl., der seinen Wohnsitz im Bezirk des AG Wolgast hat, vor dem AG München auf Schadensersatz i.H.v. 200 EUR und Ersatz von außergerichtlich angefallenen Anwaltskosten i.H.v. 703,80 EUR wegen des unerlaubten öffentlichen Zugänglichmachens eines Filmwerks in einem dezentralen Computernetzwerk in Anspruch genommen. Mit seiner Prozessvertretung beauftragte der Kl. einen in Kiel ansässigen Anwalt. Der Rechtsstreit endete durch Vergleich, nachdem der Kl. 1/3 und der Bekl. 2/3 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kl. Fahrtkosten seines Prozessbevollmächtigten i.H.v. 227,49 EUR und 11 EUR sowie sonstige Auslagen des Anwalts i.H.v. 24 EUR geltend gemacht. Ferner hat der Kl. Fahrtkosten für eine Geschäftsreise bei Nutzung eines eigenen Kfz i.H.v. 54 EUR und Tage- und Abwesenheitsgeld i.H.v. 60 EUR zur Ausgleichung angemeldet. Das AG München hat die Erstattungsfähigkeit Reisekosten verneint. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Kl. hat das LG München I zurückgewiesen. Die zugelassene Rechtsbeschwerde führte zur Zurückverweisung an das LG.

2 Aus den Gründen:

[3] "… II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig waren und deshalb nicht erstattungsfähig sind. Der im Ausland ansässige Kl. habe das ihm gem. § 35 ZPO zustehende Wahlrecht dahin ausgeübt, dass er weder am Gerichtsstand des Bekl. noch am Sitz seines Prozessbevollmächtigten geklagt habe, sondern bei einem dritten, sowohl vom Sitz des klägerischen Prozessbevollmächtigten als auch vom Wohnsitz des Bekl. weit entfernten Gerichtsort. Ein derartiges Vorgehen müsse als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Es sei regelmäßig davon auszugehen, dass eine Sachaufklärung bei allen zur Wahl stehenden Gerichtsständen in gleicher Weise geschehen könne. Deshalb sei als Kriterium für die Ausübung des Wahlrechts allein der Gesichtspunkt der kostengünstigsten Geltendmachung maßgebend."

[4] III. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg. Die Beurteilung des Beschwerdegerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

[5] 1. Gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO sind Reisekosten eines Rechtsanwalts der obsiegenden Partei, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, nur insoweit zu erstatten, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Bei der Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig handelnde Partei die Kosten auslösende Maßnahme aus der Sicht ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich gehalten, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die kostengünstigste auszuwählen. Bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Maßnahme ist zudem eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Denn der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten werden kann, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Verteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder nicht (BGH RVGreport 2005, 233 (Hansens) = NJW-RR 2005,725 m.w.N.).

[6] 2. Nach diesen Maßstäben kann die Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Kosten nicht deswegen verneint werden, weil der im Ausland ansässige Kl. keinen am Gerichtsstand des Bekl. ansässigen Prozessbevollmächtigten gewählt hat (dazu unter a). Er war auch nicht gehalten, die ihm nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts zustehende Wahlfreiheit gem. §§ 32, 35 ZPO dahin auszuüben, die Klage am Sitz seines Prozessbevollmächtigten oder am Gerichtsstand des Bekl. zu erheben (dazu unter b).

[7] a) Es entsprach den berechtigten Interessen des Kl., einen in Kiel ansässigen Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung zu betrauen. Für eine ausländische Partei ist es grds. unzumutbar, zunächst das für den Fall örtlich zuständige Gericht zu ermitteln und hiernach ihren deutschen Rechtsanwalt auszusuchen (OLG Köln, Be...

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