Hinweis

In der Bußgeldsache gegen (…) beantragt die Verteidigung die Einsicht in nachfolgende Unterlagen:

kompletter Messfilm,
Bedienungsanleitung,
Lebensakte (wenn vorhanden; sonst Erklärung der Behörde, dass keine eichrelevanten Reparaturen stattfanden),
Eichschein,
Messprotokoll,
verifizierbarer Nachweis zur Auswertesoftware (Bladt DAR 2014, 604 ff.)

Diese werden von der Verteidigung zur Auswertung der Messung benötigt und dem Betroffenen steht vor dem Hintergrund des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 EMRK) ein Anspruch auf Einsicht in alle Messunterlagen zu.

Einem Eingang der Unterlagen sehen wir bis zum (…) entgegen.

 

Erläuterung:

Entweder sofort mit Akteneinsichtsgesuch oder spätestens bei Rückgabe der Ermittlungsakte sind die obigen Informationen anzufordern, soweit sie nicht bereits in der Akte enthalten sind.

Die Balance im Verfahren wird entscheidend verschoben, wenn es dem Verteidiger nicht mehr möglich ist, sich die für seine Verteidigung erforderlichen Informationen über die gegen seinen Mandanten verwendeten Beweismittel zu beschaffen. Darüber entscheidet ausschließlich er in voller Autonomie. Das ist der Kerngehalt des fair-trial-Prinzips: die Gewährleistung einer effektiven, eigenverantwortlichen Teilhabe am Verfahren. Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist sowohl verfassungsrechtlich als auch in Art. 6 Abs. 1 MRK verankert; er gilt nach der Rechtsprechung bekanntlich auch im Bußgeldverfahren und innerhalb eines solchen schon im Vorverfahren (so Czierniak zfs 2012, 664 ff.).

Wir Verteidiger brauchen diese Unterlagen. Die obergerichtliche Rechtsprechung verlangt von uns den Vortrag zu konkreten Messfehlern im Einzelfall.

Daher müssen wir in der Lage sein, bereits im Vorverfahren durch einen nicht behinderten Zugriff auf Messdaten und Messunterlagen – ggf. auch mit Hilfe eines privat hinzugezogenen und von ihm mit den notwendigen Anknüpfungstatsachen ausgestatteten Sachverständigen – die konkreten Anhaltspunkte erst einmal zu ermitteln, die wir dann der Bußgeldstelle oder dem Gericht vortragen, um die Amtsaufklärungspflicht auszulösen.

Wenn die Unterlagen nicht fristgerecht eintreffen, dann (noch vor Erlass des Bußgeldbescheids) einen Antrag nach § 62 OWiG auf gerichtliche Entscheidung stellen. Er ist nicht im Unterbrechungskatalog des § 33 OWiG aufgeführt. Eine echte Chance auf Verjährungseintritt besteht.

Stehen der Verteidigung die Unterlagen bis zur Hauptverhandlung nicht zur Verfügung, dann im Hauptverhandlungstermin die Rechtsbeschwerde vorbereiten mit Antrag auf Aussetzung wegen nicht vollständig gewährter Akteneinsicht. Bei Ablehnung durch Richter: Maßnahme im Hinblick auf § 338 Nr. 8 StPO beanstanden und einen Gerichtsbeschluss nach § 238 Abs. 2 StPO herbeiführen.

Die Gehörsrüge ist als Verfahrensrüge auch bei einer Zulassungsrechtsbeschwerde möglich.

Autor: Gerhard Hillebrand

RA Gerhard Hillebrand, FA für Strafrecht und Verkehrsrecht, Neumünster

zfs 5/2018, S. 243

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