Nicht jeder Unfall ist Zufall und Mancher Schaden wird unterschlagen[2]

[2] Stand Februar 2018.

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Nach Schätzungen der Versicherungswirtschaft entsteht durch manipulierte Verkehrsunfälle jährlich ein Schaden von rund 2 Milliarden EUR.[4] Ein Großteil davon wird durch Unfälle mit Vorsatz verursacht. Die Versicherungsbranche geht davon aus, dass etwa jeder zehnte Kfz-Schadensfall typische Anzeichen einer Manipulation aufweist. Ziel der Täter ist es, sich über den abgerechneten Blechschaden möglichst viel Geld von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners zu erschleichen. Dabei leitet sich die kriminelle Energie speziell aus dem Besitz eines Kfz ab, verbunden mit nachfolgenden Motiven: teures, reparaturanfälliges Fahrzeug; Vorschaden; hoher Preisverfall nach Neukauf; vorzeitiger Ausstieg aus Leasing- oder Kreditverträgen; Änderung gesetzlicher Vorgaben (z.B. Abgasnormen); Habgier.[5] In den letzten Jahren sind die Anforderungen an die Darlegung und den Nachweis des "Unfall"schadens sowie der Umgang mit Vorschäden Schwerpunkte der Gerichtsurteile in Manipulationsfällen.[6] Der Nachweis des Schadensereignisses hängt entscheidend von der Glaubhaftigkeit der Schilderung des Unfallgeschehens durch die Unfallbeteiligten ab (denn i.d.R. gibt es keine Zeugen). In den gerichtlichen Verfahren geht es deshalb fast immer um tatsächliche Fragen der Substantiierung und der Beweiswürdigung (§ 286 ZPO). Um aus der Haftung frei zukommen, erheben die Versicherer häufig schon bei den geringsten Anzeichen den Manipulationseinwand. Hier gilt es für die Gerichte, den Manipulationsverdacht entweder auszuräumen oder aber bis hin zur richterlichen Überzeugung aufzuklären. Dabei haben sich in der Rechtsprechung bestimmte Grundsätze herauskristallisiert, die eine sachgerechte Lösung dieser Fälle ermöglichen.[7]

[6] Dr. Ulrich Staab, Aktuelle Rechtsprechung zum Betrug in der Kfz-Haftpflichtversicherung, DAR 2016, 445–451.
[7] Dr. Matthias Franzke/Dr. Michael Nugel, Unfallmanipulation im Kraftfahrtbereich, vgl. unter B. Grundsätze der Beweislast und Beweisführung im Manipulationsprozess, NJW 2015, 2071–2077.

A. Oberbegriff "Unfallmanipulation": Verschiedene Varianten der Tatbegehung

I. Gestellter (verabredeter) Unfall

Der vermeintlich Geschädigte hat in die Beschädigung seines Kfz eingewilligt und das behauptete Unfallereignis zusammen mit dem Schädiger inszeniert.[8] Ein Unterfall ist das sog. Berliner Modell,[9] bei dem das Fahrzeug des Geschädigten entweder durch ein gestohlenes Fahrzeug oder aber durch ein Mietfahrzeug vorsätzlich beschädigt wird, um dessen Haftpflichtversicherung in Anspruch zu nehmen. Das gestohlene Schädigerfahrzeug wird dabei am vermeintlichen "Unfallort" zurückgelassen, um auf diese Weise die Feststellung des Ersatzverpflichteten zu erleichtern. Für den Eigentümer des "Opferfahrzeugs" hat diese Methode den Vorteil, dass aufgrund der fehlenden Feststellbarkeit der Person des Fahrers, der das Schädigerfahrzeug gelenkt hat, eine Verabredung zur Unfallmanipulation und damit für einen die Ersatzpflicht des Haftpflichtversicherers entfallen lassenden Umstand im Regelfall nicht über die Feststellung einer Bekanntschaft zwischen beiden nachgewiesen werden kann.[10]

[8] Vgl. Franzke/Nugel, a.a.O.
[9] KG Berlin, Urt. v. 6.2.2006 – 12 U 4/04 unter Hinweis auf weitere Urt. v. 30.10.1995 – 12 U 3716/94; v. 15.5.2000 – 12 U 9704/98; v. 3.8.2000 – 12 U 212/99; v. 22.4.2002 – 12 U 20/01.
[10] OLG Celle, Beschl. v. 13.9.2012 – 14 U 116/12, OLG Report Nord 6/2013, Anm. 4.

II. Provozierter Unfall

Im Unterschied zum "gestellten Verkehrsunfall", bei dem beide Unfallbeteiligte am Versicherungsbetrug beteiligt sind, nutzt bei einem provozierten Verkehrsunfall der angeblich Geschädigte eine aus seiner Sicht "günstige Verkehrssituation" aus, um aus der Unachtsamkeit des anderen, ahnungslosen Verkehrsteilnehmers Profit zu schlagen. Die Täter nutzen dabei gezielt ihnen bekannte Besonderheiten der Verkehrsführung aus (z.B. Ampelschaltungen; Kreuzungen mit "rechts vor links"-Regelung; Fahrbahnverengungen oder Kreisel), um das ahnungslose Opfer (am besten allein im Auto sitzend und ohne Zeugen) zu rammen oder sich rammen zu lassen.[11]

Provozierte Unfälle sind ein besonderes Phänomen ("Nicht jeder Unfall ist Zufall").[12] Die Kollision wird von einem Verkehrsteilnehmer vorsätzlich herbeigeführt und es wird eine Unfallsituation geschaffen, bei der die Schuldfrage vermeintlich eindeutig ist. Dass zufällig ausgewählte Opfer bemerkt nichts und soll dabei stets als (eindeutiger) Unfallverursacher angesehen werden.

Beispielsweise erzwingen die Täter einen Streifschaden beim Spurwechsel im Zuge einer Fahrbahnverengung oder in einem Kreisel oder sie provozieren einen Auffahrunfall durch abruptes Abbremsen vor einer gelb/rot geschalteten Ampel oder sie rammen an einer Kreuzung mit "rechts vor links"-Regelung gezielt einen ahnungslosen Fahrzeugführer, indem sie im letzten Moment doch noch in die Kreuzung einfahren. Derartige Fälle erfüllen zugleich den Straftatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB (Gefährlicher Eingriff in ...

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