AUB 1.1. 5.1.1. 5.1.2.; ZPO § 286

Leitsatz

Wechselt ein VN mit weit überhöhter Geschwindigkeit im Bereich einer kurzen, unfallträchtigen Autobahnauffahrt vorsorglich auf die linke Fahrspur, fährt aber dennoch einem die Auffahrt nutzenden und gleichwohl sofort auf die linke Fahrspur wechselnden Fahrzeug auf, ist der Unfall auf eine trunkenheitsbedingte Geistes- und Bewusstseinsstörung zurückzuführen.

(Leitsatz der Schriftleitung)

OLG Saarbrücken, Urt. v. 1.2.2017 – 5 U 45/16

Sachverhalt

Der Kl. begehrt die Feststellung der Leistungspflicht der Bekl. aus einem Unfallversicherungsvertrag, die mit Blick auf eine erhebliche Alkoholisierung des Kl. zum Unfallzeitpunkt und einen darauf bezogenen Risikoausschluss in den einschlägigen Versicherungsbedingungen streitig ist.

Am 28.5.2014 hatte der Kl. einen schweren Verkehrsunfall. Er fuhr gegen 17:50 Uhr mit seinem Kleinlastwagen auf der linken Spur der Bundesautobahn A620 im Bereich der Anschlussstelle auf ein anderes Fahrzeug auf. Er und seine beiden Mitfahrer, die Zeugen A und K, hatten vorher Alkohol getrunken. Beim Kl. wurde ein Blutalkoholgehalt von 1,18 Promille festgestellt. Er wurde mit rechtskräftigem Urteil des AG V vom 14.4.2015 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Das klägerische Fahrzeug hatte vor der Kollision eine Ausgangsgeschwindigkeit von ca. 130–154 km/h anstelle der zulässigen 80 km/h.

2 Aus den Gründen:

" … 2. Zu Recht hat das LG die Feststellung, dass die Bekl. verpflichtet sei, dem Kl. Versicherungsschutz wegen des Unfallereignisses vom 28.5.2014 zu gewähren, abgelehnt. Ihre Leistungspflicht ist nach den maßgeblichen Versicherungsbedingungen ausgeschlossen."

a. Allerdings kommt der Risikoausschluss gem. Ziffer 5.1.2 AUB für Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht, nicht zum Tragen.

Soweit insb. eine Straftat gem. § 315c Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs) oder § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr) in Betracht kommen könnte, kann von einer vorsätzlichen Begehung nicht ausgegangen werden. Der Kl. müsste zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben, dass seine Gesamtleistungsfähigkeit in einer Weise beeinträchtigt war, welche die Erfüllung der im Verkehr zu stellenden Anforderungen ausschloss. Nach einhelliger Rspr. der Strafgerichte existiert kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass der Täter bei Antritt einer Fahrt nach hohem Alkoholkonsum stets (bedingt) vorsätzlich handele, weil sich gerade Personen mit hohem Blutalkoholgehalt durchaus noch fahrsicher fühlten (…). Die Bekl. hat nicht substantiiert behauptet und unter Beweis gestellt, dass und warum der Kl. die eigene Fahruntüchtigkeit zumindest billigend in Kauf genommen hätte.

b. Das LG hat zutreffend jedoch die Voraussetzungen des Risikoausschlusses gem. Ziff. 5.1.1 AUB in Verbindung mit Ziff. 13 BV als erfüllt angesehen.

Danach sind Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, beim Lenken von Kfz vom Versicherungsschutz ausgenommen. Der Ausschluss erfasst Risiken, die über das normale Unfallrisiko hinausgehen, weil der Versicherte bei den genannten Zuständen nicht in der Lage ist, eine drohende Unfallgefahr klar zu erkennen oder überhaupt wahrzunehmen und sich zur Vermeidung des Unfalls entsprechend richtig zu verhalten. Für diese erhöhten Risiken will der Unfallversicherer nicht eintreten (Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl. 2013, Nr. 5 AUB 2010, Rn 7).

(1) Bewusstseinsstörung i.S.d. Nr. 5.1.1 AUB ist nicht erst die völlige Bewusstlosigkeit. Relevant sind alle, insb. auf Alkoholgenuss beruhenden erheblichen Störungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit, die den Versicherten außerstande setzten, Gefahrenlagen in der gebotenen Weise zu begegnen (…). Das kann nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, weil die Frage, was genau dem Versicherten abverlangt wird, nur situationsbezogen beantwortbar ist (…).

Für Fälle der Trunkenheit im Straßenverkehr greift die Rspr. im Versicherungsvertragsrecht – auch der Senat – auf die Grundsätze zurück, die von den Strafgerichten zur alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit entwickelt worden sind. Bei absoluter Fahruntüchtigkeit ist grds. eine Bewusstseinsstörung i.S.d. Ausschlussklausel gegeben (BGH VersR 1986, 141; zfs 2015, 220; […]). Je nach Art der Verkehrsteilnahme gelten unterschiedliche Grenzwerte. Ein Kraftfahrer ist bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille absolut fahruntüchtig (zfs 2015, 220).

Dass der Kl. mit 1,18 Promille die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit überschritten hatte, als es zum Unfall kam, und damit eine trunkenheitsbedingte Bewusstseinsstörung beim Lenken eines Kfz vorlag, ist unstreitig.

(2) Die Klausel des Nr. 5.1.1 AUB schließt Unfälle im Zustand einer durch Alkohol verursachten Bewusstseinsstörung nur aus, wenn diese für den Unfall (adäquat) kausal war. Mitursächlichkeit genügt (Senat zfs 2006, 336; […]...

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