VVG § 178 § 180 § 182; AUB 2010 2.1.2.2.2

Leitsatz

1. In der privaten Unfallversicherung genießt der VN im Grundsatz auch dann Versicherungsschutz, wenn Unfallfolgen durch eine bereits vor dem Unfall vorhandene besondere gesundheitliche Disposition verschlimmert werden; anders als im Sozialversicherungsrecht reichen im privaten Unfallversicherungsrecht grds. auch sog. Gelegenheitsursachen aus (Anschluss BGH VersR 2016, 1492).

2. Die Bemessung des Invaliditätsgrades – hier: für die Schulter – hat sich auch außerhalb der Gliedertaxen an den vereinbarten Taxen zu orientieren und darf insb. nicht zu einem Wertungswiderspruch mit diesen führen (Fortführung BGH VersR 2015, 617; Anschluss OLG Hamm VersR 2008, 389; OLG Saarbrücken VersR 1997, 956).

3. Ein mitwirkendes Gebrechen i.S.d. § 182 VVG liegt vor, wenn bei der Gesundheitsbeschädigung oder der Ausprägung der Unfallfolgen ein vorbestehender Zustand mitgewirkt hat, der über einen normalen Verschleiß oder über das Maß einer unkritischen Normvariante hinausgeht, und dies auch unabhängig davon, ob deswegen vor dem Unfall eine akute Behandlungsbedürftigkeit bestanden hat oder nicht (Anschluss BGH VersR 2016, 1492; OLG Schleswig VersR 2014, 1074).

4. Geht ein Degenerationszustand über das alterstypische Maß hinaus, ist er insgesamt als Gebrechen anzusehen; eine Unterteilung der Degeneration in alterstypische und altersuntypische Anteile erfolgt dann nicht, und alterstypische Anteile werden nicht herausgerechnet (Fortführung BGH VersR 2016, 1492).

OLG Karlsruhe, Urt. v. 30.12.2016 – 12 U 97/16

Sachverhalt

Der Kl. macht Ansprüche auf Invaliditätsleistungen aus einem bei der Bekl. unterhaltenen Unfallversicherungsvertrag geltend. Die AVB sahen keinen Beeinträchtigungen der Schulter erfassenden Gliedertaxenwert, jedoch einen Abzug des Grades der Vorinvalidität sowie des Anteils mitwirkender Vorerkrankungen bei der Bemessung des Invaliditätsgrades vor, wenn der Anteil 25 % oder mehr beträgt. Der Kl. erlitt am 3.12.2010 einen Unfall durch Sturz auf die rechte Schulter, in dessen Folge es zu einer Rekonstruktion der Rotatorenmanschette kam. Der Kl. wendet sich gegen eine Berücksichtigung einer Vorschädigung, weil er vor dem Unfall weder unter Schmerzen noch unter sonstigen Beeinträchtigungen gelitten habe.

2 Aus den Gründen:

" … 1. Dem Grunde nach schuldet die Bekl. dem Kl. aufgrund des Sturzes vom 3.12.2010 Versicherungsleistungen, §§ 178, 180 VVG. Von der dafür erforderlichen unfallbedingten Invalidität ist hier auszugehen."

a) Der Nachweis unfallbedingter Invalidität obliegt in der Unfallversicherung dem Versicherten. Dabei muss er einen unfallbedingten ersten Gesundheitsschaden und die eine Invalidität begründende dauernde gesundheitliche Beeinträchtigung im Wege des Strengbeweises nach § 286 ZPO beweisen, während für die kausale Verknüpfung dieser beiden Umstände die Beweiserleichterung des § 287 ZPO gilt; d.h. die Unfallbedingtheit der dauernden Beeinträchtigung kann nach § 287 ZPO bewiesen werden, wenn diese Beeinträchtigung als solche und eine erste Unfallverletzung feststehen. Allerdings genügt auch nach diesem erleichterten Beweismaßstab die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs von Unfallereignis einerseits und fortdauernder Krankheit oder Invalidität andererseits nicht, sondern es ist jedenfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich (BGH VersR 2011, 1171 m.w.N.). Wenn Beeinträchtigungen erstmals nach einem Unfall auftreten, spricht eine Vermutung für eine (Mit-)Kausalität des Unfallereignisses. Die Möglichkeit, dass nur bis dahin latente Schäden virulent wurden, schließt zumindest die Vermutung einer Mitkausalität nicht aus; auch insoweit greifen die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO. Insb. genießt der VN im Grundsatz auch dann Versicherungsschutz, wenn Unfallfolgen durch eine bereits vor dem Unfall vorhandene besondere gesundheitliche Disposition verschlimmert werden; anders als im Sozialversicherungsrecht reichen im privaten Unfallversicherungsrecht grds. auch sog. Gelegenheitsursachen aus (BGH VersR 2016, 1492). Etwas anderes gilt nur, wenn ausnahmsweise festgestellt werden kann, dass der Versicherte ohne den Unfall an den gleichen Beschwerden leiden würde. … Degenerative oder anlagebedingte Schäden als solche beweisen nicht, dass Beschwerden schon früher bestanden oder dass sie auch ohne das Ereignis später sicher eingetreten wären. Ob und inwieweit Vorschädigungen bei der Verursachung der Invalidität ebenfalls eine Rolle gespielt haben, ist erst beim Abzug wegen mitwirkender Gebrechen nach Ziff. 3 AUB 2010 – hier: § 4 UB-Inv – zu berücksichtigen (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, a.a.O. m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben hat das LG den Nachweis unfallbedingter Kausalität zu Recht als geführt angesehen.

b) Davon, dass der Kl. bei dem Sturz einer direkten Gewalteinwirkung auf seine rechte Schulter in Form einer Schulterprellung ausgesetzt war, geht auch die Bekl. aus. Dass beim Kl. eine – partielle – Invalidität vorliegt, hat das LG aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens zutreffe...

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