Leitsatz (amtlich)

1. In der privaten Unfallversicherung genießt der Versicherungsnehmer im Grundsatz auch dann Versicherungsschutz, wenn Unfallfolgen durch eine bereits vor dem Unfall vorhandene besondere gesundheitliche Disposition verschlimmert werden; anders als im Sozialversicherungsrecht reichen im privaten Unfallversicherungsrecht grundsätzlich auch so genannte "Gelegenheitsursachen" aus (Anschluss BGH VersR 2016, 1492).

2. Die Bemessung des Invaliditätsgrades - hier: für die Schulter - hat sich auch außerhalb der Gliedertaxen an den vereinbarten Taxen zu orientieren und darf insbesondere nicht zu einem Wertungswiderspruch mit diesen führen (Fortführung BGH VersR 2015, 617; Anschluss OLG Hamm VersR 2008, 389; OLG Saarbrücken VersR 1997, 956).

3. Ein mitwirkendes Gebrechen i.S.d. § 182 VVG liegt vor, wenn bei der Gesundheitsbeschädigung oder der Ausprägung der Unfallfolgen ein vorbestehender Zustand mitgewirkt hat, der über einen normalen Verschleiß oder über das Maß einer unkritischen Normvariante hinausgeht, und dies auch unabhängig davon, ob deswegen vor dem Unfall eine akute Behandlungsbedürftigkeit bestanden hat oder nicht (Anschluss BGH VersR 2016, 1492; OLG Schleswig VersR 2014, 1074).

4. Geht ein Degenerationszustand über das alterstypische Maß hinaus, ist er insgesamt als Gebrechen anzusehen; eine Unterteilung der Degeneration in alterstypische und altersuntypische Anteile erfolgt dann nicht, und alterstypische Anteile werden nicht herausgerechnet (Fortführung BGH VersR 2016, 1492).

 

Verfahrensgang

LG Mannheim (Urteil vom 06.05.2016; Aktenzeichen 10 O 95/14)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Mannheim vom 06.05.2016 - 10 O 95/14 - im Kostenpunkt aufgehoben, im Übrigen abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.000,- EUR sowie weitere 888,- EUR, jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.01.2015, zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weiter gehende Berufung der Beklagten sowie die Berufung des Klägers werden zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 85 % und die Beklagte zu 15 % zu tragen.

4. Dieses Urteil und die angefochtene Entscheidung, soweit sie durch dieses Urteil aufrecht erhalten wird, sind vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung der jeweiligen Gegenpartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die vollstreckende Partei nicht zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Invaliditätsleistungen aus einer Unfallversicherung geltend.

Zwischen der E. GmbH als Versicherungsnehmerin und der Beklagten besteht ein Unfallversicherungsvertrag (Anl. K1). Versicherte Person ist (u.a.) der Kläger. Die Versicherungsnehmerin hat ihre Ansprüche auf Versicherungsleistungen an den Kläger abgetreten. Der Versicherungsvertrag beinhaltet für unfallbedingte Invaliditätsschäden eine Grundsumme von 250.000 EUR als Berechnungsgrundlage. Vertragsbestandteil sind u.a. die von der Beklagten gestellten besonderen "Bedingungen 2008 für die Unfallfallversicherung für den Fall der Invalidität" (im Folgenden: UB-Inv). Darin heißt es auszugsweise:

"§ 3 Invaliditätsgrade

1 Als feste Invaliditätsgrade gelten unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität

a) bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit:

eines Armes

70 Prozent

eines Armes bis oberhalb des Ellenbogengelenks

65 Prozent

eines Armes unterhalb des Ellenbogengelenks

60 Prozent

...

b) bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung eines der vorstehenden Körperteile... der entsprechende Teil des Prozentsatzes nach Nr. 1a).

2 Werden durch den Unfall Körperteile... betroffen, deren Verlust oder Funktionsunfähigkeit nicht nach Nr. 1 geregelt ist, so ist maßgebend, inwieweit die normale körperliche... Leistungsfähigkeit unter ausschließlicher Berücksichtigung medizinischer Gesichtspunkte beeinträchtigt ist.

...

4 Wird durch den Unfall eine körperliche... Funktion betroffen, die schon vorher dauernd beeinträchtigt war, so wird ein Abzug in Höhe dieser Vorinvalidität vorgenommen. Die Vorinvalidität wird nach den Nrn. 1 bis 3 bemessen.

...

§ 4 Mitwirkende Krankheiten oder Gebrechen

Abweichend von [den allgemeinen Unfallbedingungen der Beklagten] wird, wenn Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt haben, nicht die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens gekürzt, sondern der mitwirkende Anteil der Krankheit oder des Gebrechens bei der Bemessung des Invaliditätsgrades abgezogen, wenn dieser Anteil 25 Prozent oder mehr beträgt."

Am 03.12.2010 rutschte der damals 62-jährige Kläger aus und fiel auf die rechte Schulter. In der Folgezeit wurde der Kläger wiederholt ärztlich untersucht und behandelt, teils auch operativ. Aufgrund einer Komplettr...

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