" … 1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Kl. als auch die Bekl. grds. für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m, § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil die Unfallschäden bei dem Betrieb eines Kfz entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der unfallbeteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Das ist zutreffend und wird zweitinstanzlich auch nicht in Zweifel gezogen."

2. im Rahmen der danach gem. § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und -verschuldensanteile hat das Erstgericht angenommen, der Erstbekl. habe den Unfall durch einen Vorfahrtsverstoß nach § 8 Abs. 1 StVO (“rechts vor links‘) verursacht. Das hält einer Überprüfung nicht stand.

a) Allerdings hat das Erstgericht im Ausgangspunkt zutreffend die StVO angewandt. Die StVO regelt und lenkt den Verkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen. Öffentlich ist ein Verkehrsraum, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 5.10.2011 – 4 StR 401/11, NZV 2012, 394; Kammerurt. v. 7.5.2010 – 13 S 14/10). Eröffnet der Betreiber eines Einkaufsmarktes – wie hier – einen dazugehörigen Parkplatz für die Allgemeinheit, so sind diese Voraussetzungen jedenfalls zu den Öffnungszeiten des Einkaufsmarktes unabhängig davon erfüllt, ob die Geltung der StVO durch eine vorhandene Beschilderung ausdrücklich angeordnet ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.4.1965 – III ZR 53/84, VersR 1985, 835; BGH, Urt. v. 9.3.1961 – 4 StR 6/61, BGHSt 16, 7, 10).

b) Der Erstbekl. war an der Unfallstelle jedoch nicht nach § 8 Abs. 1 StVO wartepflichtig, weil die Vorfahrtsregel “rechts vor links‘ hier nicht anwendbar war.

aa) Nach vorherrschender Auffassung ist § 8 Abs. 1 StVO auf Parkplätzen grds. unmittelbar oder jedenfalls analog anwendbar, wenn die angelegten Fahrspuren (eindeutig) Straßencharakter haben (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 28.7.2014 – 14 U 2515/13, juris; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.6.2010 – 1 U 240/09, juris; Kammerurt. v. 8.6.2012 – 13 S 33/12 (jew. unmittelbare Anwendung); OLG Koblenz VRS 48, 133, 134; OLG Stuttgart VRS 45, 313, 314 (jew. analoge Anwendung)). Wann diese Voraussetzung erfüllt ist, wird im Einzelnen unterschiedlich beurteilt und überwiegend vom Vorhandensein typischer baulicher Merkmale einer Straße abhängig gemacht (vgl. etwa OLG Frankfurt zfs 2010, 19 f.; OLG Hamm SP 2001, 229; OLG Koblenz OLGR 1999, 224; OLG Köln SP 1998, 199; OLG Karlsruhe VM 1989, 7; OLG Düsseldorf VRS 56, 294, 295).

bb) Eine andere Auffassung nimmt an, § 8 Abs. 1 StVO sei auf Parkplätzen regelmäßig unanwendbar, doch sei die allgemeine Sorgfaltspflicht des vermeintlich Wartepflichtigen in Annäherung an § 8 Abs. 1 StVO gesteigert, weil die Orientierung an der Regel “rechts vor links‘ einem verbreiteten – wenngleich irrigen – Rechtsempfinden entspreche (vgl. Saarländisches OLG NJW 1974, 1099, 1100).

cc) Teilweise wird auf Parkplätzen zwar eine Wartepflicht nach § 8 Abs. 1 StVO bejaht, dem Vorfahrtsberechtigten jedoch die Berechtigung abgesprochen, auf die Einhaltung der Vorfahrt zu vertrauen, oder jedenfalls eine (mit-)haftungsbegründende gesteigerte Sorgfaltspflicht des Vorfahrtsberechtigten angenommen (vgl. OLG Köln OLGR 1995, 1 f.; OLG Bremen VM 1975, 48; LG Saarbrücken, Urt. v. 3.2.2008 – 13A S 36/05).

dd) Im fließenden Verkehr werden Vorfahrtsregeln eingesetzt, um die Leichtigkeit des Verkehrs zu fördern (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1962 – VI ZR 249/61, NJW 1963, 152; Saarländisches OLG a.a.O.; OLG Stuttgart VRS 45, 313, 314; KG VRS 35, 458). Für die regelmäßige Anwendung von § 8 Abs. 1 StVO auch auf Parkplätzen könnte sprechen, dass die Leichtigkeit des Verkehrs – gerade auf Großparkplätzen mit hohem Verkehrsaufkommen – an ihre Grenzen stoßen kann, wenn anstelle fester Vorfahrtsregeln nur Rücksichtnahme- und Verständigungspflichten gelten. Allerdings steht auf dem Parkplatz nicht das zügige Vorankommen des Verkehrs im Vordergrund, sondern das Bemühen, den verfügbaren Platz möglichst effizient für das Parken zu nutzen und den Verkehr unter Berücksichtigung auch der Fußgängerströme und Ladevorgänge möglichst gefahrlos zu ordnen (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1962 a.a.O.; Siegel, SVR 2012, 321, 324). Dabei ist insb. den spezifischen Gefahren des Such- und Rangierverkehrs sowie der Begegnung von Fahrzeugen und Personen Rechnung zu tragen. Dem entspricht es, die Pflichten der Verkehrsteilnehmer untereinander grds. nach § 1 Abs. 2 StVO anzunähern und § 8 Abs. 1 StVO nur anzuwenden, wenn die Fahrbahnen so eindeutig Straßencharakter haben, dass die Funktion des § 8 Abs. 1 StVO, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs, deutlich im Vordergrund steht.

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