BGB § 839; GG Art. 34; StrG NW § 9 § 91 § 43

Leitsatz

1. Außerhalb geschlossener Ortschaften besteht eine Pflicht zur Vorbeugung von Unfällen bei Glatteisgefahr nur dann, wenn die Gefahr auf besonders gefährlichen Stellen besteht.

2. Eine besonders gefährliche Stelle liegt dann vor, wenn der Straßenbenutzer selbst bei zu fordernder scharfer Beobachtung des winterlichen Straßenzustandes und damit erhöhter Sorgfalt den gefährlichen Zustand der Straße nicht oder nicht rechtzeitig erkennen konnte.

3. Hinsichtlich des Erfordernisses der Verkehrssicherung durch Streuen sind auch die Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges und die Stärke des dort zu erwartenden Verkehrs einzubeziehen, die Einfluss auf die Erwartungshaltung der Verkehrsteilnehmer bezüglich der Verkehrssicherung durch Streuen haben.

(Leitsätze der Schriftleitung)

OLG Hamm, Urt. v. 12.8.2016 – I-11 U 121/15

Sachverhalt

Der geschädigte Kl. verunglückte mit seinem Kfz bei Straßenglätte außerhalb einer geschlossenen Ortschaft in einer Kurve. Er nahm den beklagten Landkreis wegen von ihm angenommener Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz in Anspruch. Seine Klage war vor dem LG erfolgreich. In der Berufung nahm der Senat eine umfängliche Würdigung der Voraussetzungen der Haftung vor und gelangte zu einer Verneinung des Klageanspruchs.

2 Aus den Gründen:

" … Die zulässige Berufung des Bekl. hat in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage insgesamt."

Der von der Kl. geltend gemachte Schadensersatzanspruch gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG besteht nicht. Es liegt keine für den streitgegenständlichen Unfall kausale Amtspflichtverletzung i.S.d. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Form einer Verletzung einer Streupflicht durch den Bekl. vor. Im Einzelnen gilt insoweit:

1. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 StrWG NRW obliegt den Kreisen die Straßenbaulast für die in ihrem Gebiet verlaufenden Kreisstraßen. Dazu gehört die allgemeine Verkehrssicherungspflicht, in deren Rahmen auch der Winterdienst fällt. Nach § 9 Abs. 3 StrWG NRW sollen die Träger der Straßenbaulast nach besten Kräften die Straße bei Schnee und Eisglätte räumen und streuen. Es handelt sich gem. § 9a Abs. 1 S. 2 StrWG NRW ausdrücklich um eine hoheitliche Aufgabe.

Diese Räum- und Streupflicht wird allerdings – wie jede Verkehrssicherungspflicht – durch das Kriterium der wirtschaftlichen Zumutbarkeit begrenzt.

Daher haben die für die Verkehrssicherheit der Straßen Verantwortlichen nach gefestigter und einhelliger obergerichtlicher Rspr. sowie nach allgemeiner Auffassung in der Literatur den Glatteisgefahren auf öffentlichen Straßen außerhalb geschlossener Ortslagen nur ausnahmsweise vorzubeugen, und zwar grds. nur an besonders gefährlichen Stellen.

Eine solche besonders gefährliche Stelle liegt dann vor, wenn der Straßenbenutzer bei der für Fahrten auf winterlichen Straßen zu fordernden schärferen Beobachtung des Straßenzustandes und damit zu fordernder erhöhter Sorgfalt den die Gefahr bedingenden Zustand der Straße nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und deshalb die Gefahr nicht meistern kann (BGH, Beschl. v. 20.10.1994 – III ZR 60/94, Rn 5, juris; BGH, Beschl. v. 26.3.1987 – III ZR 14/86, BeckRS 1987, 30390074, beck-online; BGH, Urt. v. 13.12.1965 – III ZR 99/64, Rn 10, juris; OLG Braunschweig, NZV 2006, 586; OLGR München 2005, 754; OLG Brandenburg, Urt. v. 22.6.2004 – 2 U 36/03, Rn 14, juris; OLG Hamm NVwZ-RR 2001, 798; OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.7.1997 – 10 U 71/97, BeckRS 1997, 15938, beck-online; s. auch: OVG Münster NVwZ-RR 2014, 816; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., StVO § 45 Rn 57, 62; Hager, in: Staudinger, BGB Neubearbeitung 2009 BGB § 823 E, Rn E 136).

Demgegenüber liegt eine besonders gefährliche Stelle dann nicht vor, wenn ein umsichtiger Kraftfahrer unter Berücksichtigung der bei winterlichen Temperaturen gebotenen Vorsicht mit dem Auftreten von Glätte an der konkreten Stelle rechnen musste und die Gefahr der Stelle auch erkennbar war.

Dabei ist davon auszugehen, dass die Verkehrsteilnehmer wissen, dass sich aufgrund wechselnder Witterungseinwirkungen – wie insb. unterschiedlicher Sonnenbestrahlung, Bodentemperatur oder Bodenfeuchtigkeit – an einzelnen Straßenabschnitten Glätte bilden oder halten kann, auch wenn andere Straßenabschnitte noch oder schon wieder frei von Glätte sind. In einem Gebiet mit – wie vorliegend – abschnittsweise neben der Straße befindlichen Waldbeständen und damit unterschiedlicher Sonneneinstrahlung auf die Straßenoberfläche muss ein umsichtiger Kraftfahrer daher auch mit überraschendem Auftreten von Glätte rechnen (vgl. zum Vorstehenden: BGH, Beschl. v. 20.12.1984 – III ZR 19/84, Rn 3, juris; OLG Brandenburg, Urt. v. 22.6.2004 – 2 U 36/03, Rn 14, juris; OLG Hamm, Urt. v. 2.3.2001 – 9 U 133/00, Rn 8, juris; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.10.1992 – 18 U 99/92, juris; Hager, a.a.O.).

Hinsichtlich der Frage des Erfordernisses der Verkehrssicherung durch Streuen sind in die Abwägung auch die Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges und die S...

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