Es stellt sich die Frage, wie die Gutachter den ärztlichen Handlungsmaßstab bestimmen. Auf der einen Seite können sie dazu die evidenzbasierte Medizin verwenden. Als Richtschnur gelten in diesem Fall die medizinischen Maßnahmen, die anhand gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis einen Wirksamkeitsnachweis erbracht haben. Verwendet werden hierzu in der Regel randomisierte doppelblinde Studien.[3]

Auf der anderen Seite gibt es – wie oben unter B. dargestellt – noch genügend Bereiche in der Medizin, die wenig oder überhaupt nicht erforscht sind. Hier müssen die Gutachter entweder auf ihre eigene Erfahrung zurückgreifen oder medizinische Fachliteratur bemühen, die ihrerseits nicht immer auf ausreichender evidenzbasierter wissenschaftlicher Forschung, sondern Erfahrung oder tradiertem Wissen der Autoren beruht, wobei generell nicht sicher ist, ob die dort postulierten Maßnahmen tatsächlich wirksam im Sinne der evidenzbasierten Medizin sind.

Jedenfalls leuchtet ein, dass der Prozess der Standardfindung durch den Gutachter transparent gemacht werden muss, da der medizinische Laie den Weg und das Ergebnis der Beurteilung des Gutachters nicht ohne Weiteres nachvollziehen kann, wenn keine Studien im Sinne der evidenzbasierten Medizin existieren. Für alle nachvollziehbare "DIN-Normen" gibt es ja eben nicht.

Die Erfahrung zeigt zudem, dass die Gutachter den Weg zu ihrem Ergebnis teilweise verschleiern oder wenig konkret darstellen, wie sie dazu gelangt sind. Eine medizinische Maßnahme wird nicht etwa dadurch zum Standard, dass sie der Gutachter allein für sinnvoll erachtet. Auch reicht es nicht aus, die Autorität als gerichtlich bestellter Sachverständiger indirekt als Begründung heranzuziehen.

Schließlich gehen Gerichte zur Vermeidung längerer Prozesslaufzeiten dazu über, den Sachverständigen direkt in die mündliche Verhandlung einzubestellen, damit er dort – ohne schriftliche Ausarbeitung für die Prozessparteien! – sein Gutachten vorträgt. Auch hier dürfte auf der Hand liegen, dass es für die Prozessparteien und das Gericht schwierig ist, dem Gutachter zu folgen, selbst wenn in einer vorgelagerten mündlichen Verhandlung zunächst die Anknüpfungstatsachen festgelegt werden.

[3] Vgl. Gaßner/Strömer, Arzthaftung bei der Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patienten, MedR 2012, 8.159 ff.; Hart, Patientensicherheit, Fehlermanagement, Arzthaftungsrecht, MedR 2012, 12; Wessel, Behandlungsfehler, Sorgfaltspflichten und ärztliche Standards, zfs 2013, 135.

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